Rumänischer Bauernaufstand von 1907 hatte vielschichtige Hintergründe
Fehlentscheidungen der Kommunalverwaltung - auch aufgrund von Korruption - prägten den Kontext; Deutungsperspektiven wie Antisemitismus und Klassenkampf sind weniger relevant.
Monica Chiorpec, 08.02.2016, 18:00
Im Zuge des Wandels der rumänischen Agrarwirtschaft von einem pastoralen Gewerbe zu einem exportorientierten Geschäft war am Anfang des 19. Jahrhunderts die Leibeigenschaft praktisch wieder eingeführt worden. Diese feudale Form der Abhängigkeit der Bauern von Grundbesitzern war diesmal jedoch kurzlebig und wurde mit der Agrarreform von 1864 wieder abgeschafft. Doch auch nach 1864 gehörten fast 60% der Agrarflächen wenigen Großgrundbesitzern, die den Boden dann weiter verpachteten. Die Pächter bezahlten einen festen Pachtzins und versuchten später durch eine gezielte Ausbeutung der Bauern ihre Erträge zu maximieren. Das war der grobe Kontext des Aufstands, sagt der Historiker Alin Ciupală:
Der Aufstand von 1907 war ein echter Schock für die Gesellschaft — nicht nur aufgrund seiner Ausmaße, sondern auch deshalb, weil er in einer sehr gewaltgeladenen Form der Gesellschaft den Spiegel des eigenen Versagens im Prozess der Modernisierung vorhielt. Interessant ist, dass ein knappes Jahr früher eine Ausstellung im Karlspark in Bukarest sowohl die Bürger Rumäniens als auch ausländische Besucher auf die großen Modernisierungsleistungen unter der Herrschaft Karls dem Ersten zwischen 1866-1906 begeistern wollte. Es gibt also zwei gegensätzliche Momente: Die Jubiläumsausstellung pries die Errungenschaften, der Aufstand von 1907 zeigte, dass es auch viele Widersprüche und Missstände gab.“
Die Hintergründe des Aufstands sind differenzierter, auch eine antisemitische Komponente spielte eine Rolle. Die Einstellung, nach der jüdische Pächter die rumänischen Bauern ausbeuteten, war verbreitet, aber vereinfachend und mit Daten nicht zu belegen.
Aus einer breiteren Perspektive sind die Ursachen vielfältiger und komplizierter. Es kann keine Rede sein von Übergriffen jüdischer Pächter als Hauptursache. Auch zeigt die Statistik, dass Juden keineswegs das Pachtsystem dominierten. Es sind genauso viele rumänische oder auch einige westeuropäische Pächter, die sich hier bereichern wollten. Das Pachtsystem war in der hauptsächlich ländlich geprägten Wirtschaft Rumäniens eine kapitalistische Form der Ausbeutung des Bodens.“
Der Aufstand von 1907 gibt allerdings umgekehrt betrachtet Aufschluss über das Ausmaß des Antisemitismus in der rumänischen Gesellschaft, sagt Alin Ciupală:
Es ist gewissermaßen eine Art Dreyfus-Affaire. Der Fall Dreyfus hatte einige Jahrzehnte früher den Antisemitismus in Frankreich offenbart – in Rumänien spielte der Bauernaufstand von 1907 diese Rolle. Er ist deshalb nicht nur wichtig, um die verschiedenen Aspekte der Landwirtschaftsfrage in Rumänien zu beleuchten — die hier damals das zentrale gesellschaftliche Problem war. Der Aufstand hilft uns, den Antisemitismus in Rumänien besser zu verstehen.“
Auch eine andere, klassenorientierte Auslegung der damaligen Ereignisse wurde versucht, meint der Historiker.
Diese Perspektive kam im Kommunismus zur Sprache. Nach damaliger Lesart war 1907 ein Moment des generellen Aufstands von Ausgebeuteten gegen Ausbeuter. Das ist falsch — es ist ein streng landwirtschaftlich geprägter Aufstand gewesen. Zudem rebellierten nicht die Armen am Dorf, sondern eher der Mittelstand des Bauerntums, also nicht mittellose Leute, Menschen, die schon etwas Boden hatten. Das zeigt uns eigentlich, dass die Ursachen nicht mit den Eigentumsverhältnissen zu tun hatten. Nicht mangelnder Grundbesitz war die Hauptursache.“
Wie der Historiker weiter ausführt, kam es nach dem 21. Februar 1907, als der Aufstand in der Gemeinde Flămânzi nahe Botoşani im Nordosten Rumäniens ausbrach, schnell zu Blutvergießen im ganzen Land. Auf der einen Seite wüteten Lynchmobs, auf der anderen Seite schossen Soldaten der Regierung auf die Bauern. Zwischen Februar und März 1907 wurden 140 Tausend Soldaten mobilisiert. Mehrere westeuropäische Historiker gehen von 11 Tausend Toten aus, andere setzen diese Zahl nicht so hoch an. Alin Ciupală zufolge ist aber nicht die genaue Zahl der Opfer relevant, sondern die unverhältnismäßig brutale Reaktion der Regierung. So gesehen erinnert der Konflikt eher an eine mittelalterliche Welt:
Bauern und Behörden sind die wichtigsten Akteure im Konflikt gewesen. Die Behörden gerieten in Panik und griffen extrem hart durch. Die Gesellschaft war vollkommen überrumpelt, weil der Aufstand urplötzlich ausbrach. In der Moldau, wo sich der Aufstand schnell verbreitete, brach allgemeine Panik aus. Die Psychose erklärt die Gewaltexzesse der Behörden. Als Innenminister hat Ionel Brătianu dann versucht, die Exzesse zu beruhigen, er hat in den betroffenen Bezirken neue Regierungsvertreter ernannt, um die Gemüter zu beruhigen und den Militäreinsatz zu beendigen.“
Der Bauernaufstand von 1907 hat letztendlich komplexe Gründe, unter denen die Fehlentscheidungen der Kommunalverwaltung — auch aufgrund von Korruption — zu zählen sind. Deutungsperspektiven wie Antisemitismus und Klassenkampf sind dahingehend weniger relevant.