Revolution von 1989: Wie nimmt die junge Generation die historischen Ereignisse wahr?
Für unser Geschichtsmagazin haben wir uns mit einer Historikerin unterhalten, die sich mit dem Thema Revolution von 1989 in einem Buch auseinandergesetzt hat.
Steliu Lambru und Sorin Georgescu, 30.12.2024, 17:30
Seit 1989 gedenken die Menschen in Rumänien im Dezember der antikommunistischen Revolution. Fast ein halbes Jahrhundert hatte ihnen das kommunistische Regime ihrer Rechte und Freiheiten und sogar ihrer menschlichen Würde beraubt. Im Unterschied zu anderen Ostblockstaaten wurde die Rückkehr zur Demokratie und zur Normalität im Dezember 1989 außerdem durch Blutvergießen erreicht.
35 Jahre später lässt die emotionale Aufladung des Gedenkens nach, und die zeitliche Entfernung trägt zu einer zunehmend distanzierten Berichterstattung über die damaligen Ereignisse bei. Die neuen Generationen blicken auf den Dezember 1989 zwar mit der Neugierde für Ereignisse, die sich nicht hautnah erlebt haben. Doch besorgniserregend ist die Tatsache, dass viele junge Menschen heute nicht begreifen, was das totalitäre politische Regime für das Land und das Leben ihrer Eltern und Großeltern bedeutete.
Die Historikerin und Schriftstellerin Alina Pavelescu entstammt der Generation, die die Revolution von 1989 erlebt und an ihr mitgewirkt hat. Sie hat ein Buch veröffentlicht, mit dem sie den Jugendlichen von heute vermitteln will, wie das Leben der Jugendlichen von damals war und wie es zur Revolution kam. Das Buch trägt den Titel „Die Revolution von 1989 – ein Nacherzählung für jene, die sie nicht erlebt haben“, und wir haben die Autorin gefragt, ob es eine Botschaft des Jahres 1989 für die Nachwelt gibt und ob es ihrer Generation gelungen ist, sie zu entziffern.
„Natürlich hätten wir das Vermächtnis des Jahres 1989 weitertragen müssen, um uns selbst zu finden und zu verstehen, was in den letzten 35 Jahren mit uns geschehen ist. Das ist uns bisher nicht gelungen, und wir können nur hoffen, dass wir von nun an weiser werden. Ich kann nur ein persönliches Zeugnis ablegen, und das ist die Bekundung eines Zeitzeugen, der auch 35 Jahre später noch eine große emotionale Belastung im Zusammenhang mit der Revolution verspürt. Dieser emotionale Ballast hindert uns daran, die Dinge klar zu sehen. Aber zumindest können wir unsere Geschichten so ehrlich erzählen, dass Menschen, die jünger sind als wir, heute begreifen, wie die Revolution von 1989 auch ihr Leben verändert hat. Und ich meine, dass sie ihr Leben zum Besseren verändert hat. Wenn meine Generation den Sinn der Ereignisse von 1989 nicht eruieren kann, schafft es vielleicht die junge Generation von heute, die Bedeutung dieser historischen Veränderung für ihr Leben zu begreifen.“
Alina Pavelescu hatte das Gefühl, dass sie der heutigen und der kommenden Generation etwas über 1989 zu sagen hat. Ein Buch sei der geeignetste Weg gewesen, dies zu tun.
„Ich habe mir vor allem vorgenommen, junge Menschen zum kritischen Denken anzuregen. Mir ist klar, dass sie mit verschiedenen Geschichten und verschiedenen Versionen konfrontiert sind und sich wahrscheinlich fragen, wo die Wahrheit bei all den unterschiedlichen Darstellungen liegt. Deshalb habe ich im Buch zunächst alle Theorien und Hypothesen, die ich in den Diskursen über die Revolution identifiziert habe, mit ihren Pro- und Contra-Argumenten Revue passieren lassen. Aber ich gebe zu, dass ich es mir nicht verkneifen konnte, den Lesern im Nachwort zu dieser Abhandlung ausdrücklich zu sagen, dass die Revolution von 1989 tatsächlich eine solche war, weil sie unser aller Leben radikal verändert hat. Wir verdanken ihr die Freiheit der letzten 35 Jahre, auch wenn wir damals nicht wirklich wussten, was wir mit dieser Freiheit anfangen sollten, und wir stets das Gefühl hatten, dass sie uns jemand vor der Nase wegschnappt. Heute haben wir diese Freiheit immer noch, und das verdanken wir der Revolution von 1989 und den Menschen, die sich damals auf der Straße vor die Gewehrläufe gestellt und ihr Leben geopfert haben.“
Doch wie ist Alina Pavelescu beim Schreiben ihres Buchs vorgegangen? War ihre Herangehensweise eher die einer Historikerin oder die subjektive Wahrnehmung der Schriftstellerin?
„Ein Historiker sollte eine kohärente und soweit wie möglich wahre Geschichte liefern, so nah wie möglich an der Schnittmenge der Wahrheit unterschiedlicher Ereignisse. Er muss nicht notwendigerweise Lektionen erteilen oder Interpretationen liefern, die über das persönlich Erlebte hinausgehen, auf das wir alle ein Recht haben. Aber ich fürchte, dass in Osteuropa und besonders in Rumänien, wo die Geschichte viel zu oft das Terrain politischer Kämpfe ist, die Historiker es nie wirklich schaffen werden, im Elfenbeinturm der abstrakten Geschichtsschreibung zu bleiben. Folglich denke ich, das Ehrlichste, was wir tun können, ist, zu versuchen, das Beste aus unserer Perspektive und aus der Perspektive des historischen Kontextes zu liefern. Ich glaube nicht, dass wir uns im Elfenbeinturm einschließen sollten, und ich glaube auch nicht, dass der Elfenbeinturm eine realistische Option ist. Gleichzeitig sollten wir aber auch nicht zulassen, dass Politiker unser Studienfach, nämlich die Geschichte, als Schlachtfeld für ihre ideologischen Grabenkämpfe missbrauchen.“