Nationalitätenverhältnis in Rumänien 1918-38: Pendeln zwischen Toleranz und Konflikten
Zum Verhältnis zwischen der rumänischen Mehrheit und den vielen Minderheiten im neuen Staat nach 1918
Steliu Lambru, 23.10.2017, 17:30
Wer über das Verhältnis der rumänischen Mehrheitsbevölkerung mit den vielen Minderheiten recherchiert, muss die Umstände berücksichtigen, unter denen der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen war. Zwischen den beiden Weltkriegen kann man über den Daumen gepeilt von guten Beziehungen sprechen, sagt der Historiker Ioan Scurtu: Bei der Pariser Friedenskonferenz von 1919-1920 ist man vom Nationalprinzip ausgegangen: Die neuen Staaten, die nach dem Zusammenbruch des Habsburger Reiches und des Zarenreiches entstanden, sollten Nationalstaaten sein. Die Wirklichkeit zeigte aber, dass keiner der neuen Staaten ethnisch rein sein konnte“, so Prof. Scurtu.
Auch Rumänien war keine Ausnahme, doch gab es gewisse Unterschiede im Vergleich zu anderen Ländern wie die Tschechoslowakei, Polen oder Jugoslawien. Zwar gab es in Rumänien historisch bedingt viele Minderheiten — in der Dobrudscha wurden vom Osmanischen Reich zwischen 1417 und 1878 Türken und Tataren kolonisiert; das Russische Reich kolonisierte Bessarabien mit Russen, Juden, Ukrainern, Bulgaren und Gagausen. Siebenbürgen hatte Sachsen und Szekler, in der Bukowina waren es Deutsche, Juden und Ukrainer, im Banat Deutsche, Serben und andere Minderheiten. Dazu kommt, dass Rumänen verfolgte Minderheiten hier aufnahmen, zum Beispiel Juden, die vor Pogromen aus Polen oder Russland flüchteten. Doch bei all diesem Flickmuster hatte keine einzige Minderheit mehr als 10 Prozent, führt Prof. Scurtu aus. Problematisch war dabei das Spannungsfeld zwischen der ungarischen Minderheit und dem neuen rumänischen Staat, meint er:
Aufgrund des Vertrags von Trianon hatten einige der Siebenbürger Ungarn — sogenannte Entscheider — die ungarische Staatsangehörigkeit angenommen und siedelten nach Ungarn um. Bei einer Bodenerform waren Großgrungbeseitzer enteignet worden, das Land ging an die Bauern. Natürlich wurden auch ungarische Besitzer enteignet, die Mehrheit waren aber rumänische Landeigentümer. Boden bekamen gleichermaßen ungarische und rumänische Bauern, aber auch Ukrainer, Russen, Bulgaren und andere. Die Entscheider fühlten sich unberechtigt und klagten gegen die rumänische Regierung beim Völkerbund.“ Doch alles sei Propaganda des ungarischen Staates gewesen, der der Welt zeigen wollte, dass es ein Siebenbürgenproblem geben würde, meint der Historiker. Durch die Haager Konvention von 1932 wurde schließlich festgelegt, dass die Entscheider von dem ungarischen Staat entschädigt werden sollten, das Geld kam aus den Kriegsentschädigungen, die Ungarn an Rumänien zu zahlen hatte.
Neben der ungarischen Minderheit gab es auch mit den Bulgaren einige Probleme, meint der Historiker Ioan Scurtu. Durch den Vertrag von Bukarest von 1913, durch den der Zweite Balkankrieg zu Ende ging, bekam Rumänien die Region Süddobrudscha (Cadrilater), wo ein beträchtlicher Anteil Bulgaren lebte. Doch es gab keine eigentliche Mehrheit — weder Rumänen noch Bulgaren noch Türken stellten eine absolute Mehrheit. Es war einfach ein Patchwork der Ethnien. Bulgarien forderte nicht nur diese Region zurück, sondern die gesamte Dobrudscha und setzte bulgarische Bauern [als Aufständische] ein, die die Gemüter erhitzen sollten.“
Wie der Historiker erklärt, gab es einen Schulterschluss zwischen ungarischen und bulgarischen Revisionisten, die auf eine Zerschlagung des rumänischen Staates aus waren — was 1940 auch eintrat. Doch die rumänische Verfassung räumte sowohl Ungarn als auch Bulgaren und anderen Minderheiten Rechte und Freiheiten ein — zum Beispiel eine Vertretung im Parlament.
Die jüdische Minderheit hatte unter dem politischen Klima der Zwischenkriegszeit am meisten zu leiden — Juden wurden nicht selten auch ermordert. Doch Prof. Scurtu glaubt, dass das Verhältnis bis etwa 1935 normal war: Es wird meiner Meinung nach überspitzt dargestellt, dass es Konflikte oder Progrome gegeben hat. Ich akzeptiere das nicht, und auch dokumentarische Belege gibt es keine. Nach 1934-1935, vor dem Hintergrund des Aufschwungs rechtsextremer Bewegungen, vor allem nach Hitlers Machübernahme in 1933, gab es in der Tat auch ein Erstarken der Nationalisten, die unter dem Motto »Rumänien den Rumänen!« agierten. Was dann nach 1940 geschah, kann nicht mehr als natürliche Entwicklung der rumänischen Gesellschaft betrachtet werden. Unter dem Militärregime von Ion Antonescu wurden 1941 Maßnahmen zur Massenvernichtung der Juden getroffen. Sie sind zu verurteilen, denn Juden aus der Bukowina und Bessarabien wurden ohne Rechtfertigung nach Transnistrien deportiert“, so der Historiker abschließend.