Missbrauch der Psychiatrie im kommunistischen Rumänien
Die politische Psychiatrie gilt als subtile Form der kommunistischen Unterdrückung. Aller Wahrscheinlichkeit nach entstand das Konzept in der poststalinistischen Periode in der Sowjetunion.
Steliu Lambru, 20.10.2014, 16:04
Die politische Psychiatrie gilt als subtile Form der kommunistischen Unterdrückung. Aller Wahrscheinlichkeit nach entstand das Konzept in der poststalinistischen Periode in der Sowjetunion. Dabei ging es nicht mehr darum, massenhaft Terror in der Bevölkerung zu verbreiten, wie bei der standardisierten Form der Repression.
Mit der politischen Psychiatrie sollten Gegner des Regimes isoliert und mundtot gemacht werden. Die Vorgehensweise war dabei recht einfach: Dissidenten und Opponenten, die völlig gesund waren, wurden mit Schizophrenie oder paranoiden Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert. Die neuen Patienten“ wurden in Nervenheilanstalten zwangseingewiesen. Dort wurden ihnen Neuroleptika verabreicht, die sie nicht brauchten, zudem wurden sie unter die tatsächlich kranken Patienten gemischt. Manche von ihnen wurden aufgefordert, sich ihrer politischen Überzeugung zu entledigen, was ihre Rehabilitation belegen sollte.
Die Idee von der politischen Psychiatrie soll zu einem Zeitpunkt aufgekeimt sein, als Moskau sein internationales Image aufpolieren wollte, das unter den stalinistischen Schau-Prozessen gelitten hatte. Das behauptet zumindest der australische Psychiater Sidney Bloch, der sich mit der Repression in der Sowjetunion auseinandergesetzt hat.
Der Arzt Ion Vianu gehörte zu den ersten Rumänen, die diese Form der Unterdrückung der Bürger durch den kommunistischen Staat im Ausland anprangerten. Nach seiner Auswanderung in die Schweiz 1977 trat Vianu einer internationalen Gruppe bei, der sogenannten Genfer Initiative für Psychiatrie, die vor allem gegen die politische Psychiatrie der Sowjets gerichtet war. Im Interview mit Radio Rumänien ruft Vianu die Anfänge des Konzepts in Rumänien in Erinnerung.
In den Jahren 1967-1968 habe ich als wissenschaftlicher Assistent an der Bukarester Universitätsklinik für Psychiatrie mehrere Gespräche mitbekommen, deren Zweck ich ignorierte. Ich befand mich im Büro des Lehrstuhlleiters Vasile Predescu und habe so mithören können, was Dr. Angheluţă vorhatte. Später habe ich aus den Akten der Behörde für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs erfahren, dass er zeitgleich Chefarzt der Klinik und Aufseher der Securitate in der Klinik war; das kam eher selten vor. Jedenfalls habe ich Angheluţă sagen hören, dass man einige große Nervenheilanstalten mit Stacheldraht und Wachhunden ausstatten und die gefährlichen Patienten dort einweisen wollte. Ich habe nicht von Anfang gewusst, worum es ging, auch wenn die mir vorliegenden Informationen und insbesondere die Geschichten über die sowjetische Psychiatrie gewisse Hinweise darauf gaben. Ich konnte zu dem Zeitpunkt nicht verstehen, warum die gefährlichen Patienten sich auf einmal so schnell gehäuft hatten und so gefährlich geworden waren, dass sie wie in einem Sicherheitstrakt einer Strafvollzugsanstalt überwacht werden mussten.“
Auch wenn das Ceauşescu-Regime sich als anti-sowjetisch inszenieren wollte, schien die politische Psychiatrie den Verantwortlichen in Bukarest eine gute Idee, die man von Moskau leihen sollte, wie Vianu erzählt.
Es folgte die Eröffnungsveranstaltung zum Universitätsjahr 1969-1970 auf dem Universitätsplatz, unter Anwesenheit von Nicolae Ceauşescu selbst. In einer wie gewohnt langen Ansprache machte er unter anderem folgende Aussage: ‚Nur ein Verrückter könnte auf den Gedanken kommen, dass die sozialistische Ordnung in Rumänien einstürzen könnte. Und für diese Leute haben wir Behandlungsmethoden, nicht nur Zwangsjacken, sondern auch andere Mittel.‘ Und da habe ich plötzlich die Verbindung hergestellt zu dem, was ich in dem Kabinett von Professor Predescu gehört hatte, die Behauptungen des Dr. Angeluţă. Ich habe mir gesagt, da wird etwas ausgebrütet. Aber eigentlich stimmte das so nicht, es war schon etwas ausgebrütet worden, was bereits in die Tat umgesetzt wurde. Die Akten, die ich später einsehen konnte, waren der Beweis dafür, dass zu dem Zeitpunkt bereits Regimegegner eingewiesen worden waren. Mit der Zeit habe ich einige dieser Menschen direkt kennenlernen dürfen.“
Ion Vianu erinnerte sich im RRI-Interview an einen ihm direkt bekannten Fall zurück, den des Anwalts Haralamb Ionescu aus Kronstadt.
Ich werde den Fall eines Anwalts aus Kronstadt in Erinnerung rufen, ein Rentner, den ich damals noch für jung hielt, er war nicht einmal 70 Jahre alt. Er hatte sich in einem Schreiben an die Vereinten Nationen darüber beschwert, dass in Rumänien die Menschenrechte verletzt würden. Und es war zur damaligen Zeit unerhört und wahnsinnig, so etwas zu behaupten. Die Securitate, die mit einem strengen Blick über den Briefverkehr nach außen wachte, hat den Brief abgefangen, den Mann verhaftet und ihn in die Nervenklinik »Gheorghe Marinescu« in Bukarest zur Untersuchung eingeliefert. Er wurde für geistig krank befunden, für einige Zeit im Krankenhaus festgehalten, aber danach wurde er in der Tat ambulant behandelt, er musste sich einmal wöchentlich in der Poliklinik zeigen lassen. Später bin ich ausgewandert und habe nach einiger Zeit erfahren, dass er gestorben war. Er hatte mir aber die Bitte zukommen lassen, nicht mehr über seinen Fall im Ausland zu berichten, weil man ihm klargemacht hatte, dass sein Fall nicht mehr gegen das Regime verwendet werden soll. Mit anderen Worten wurde er erpresst und auch ich fühlte mich erpresst. Eine Zeit lang konnte ich mich nicht mehr auf den Fall beziehen. Es hat auch andere Fälle gegeben, die ich direkt kannte, etwa den eines Schriftstellers, Ion Vulcănescu hieß er. Er war ein weniger bekannter Dichter, der plötzlich auf einer der Alleen des Krankenhauses vor mir stand. Er war in einem Seitenflügel der Klinik untergebracht, gegen ihn lief ein politischer Prozess. Und auch Ion Vulcănescu war nicht geistig krank, denn später konnte er auswandern und wurde Hausverwalter eines großen Immobilienkomplexes in New York. Und ein Geisteskranker könnte einer derartigen Tätigkeit nicht uneingeschränkt nachgehen.“
Zu den Opfern der erzwungenen psychiatrischen Behandlung zählte auch der bekannte Arbeiter und Regimekritiker Vasile Paraschiv. Die genaue Anzahl der der politischen Psychiatriepatienten in Rumänien ist schwer einzuschätzen. Geschichtsforscher sind eher zurückhaltend, wenn es darum geht, eine offizielle Zahl zu nennen. Das Problem der Wiedergutmachung und Verantwortung ist in diesem Fall kompliziert. Es liegen wenig Informationen vor, die Verantwortlichen von damals sind nicht mehr am Leben.