„L’homme qui n’adhère à rien“ – die ideologischen Irrwege des Panait Istrati
Panait Istrati wurde 1884 im ostrumänischen Brăila geboren. Er gilt als ein außerordentlich komplexer Schriftsteller. Sein Werk ist stark sozial geprägt und gibt einen Einblick in die Welt der Proletarier und der sozial bedürftigen Menschen.
Steliu Lambru, 12.10.2015, 18:19
Panait Istrati hat sich als junger Schriftsteller der kommunistischen Bewegung angeschlossen. Er ist auch einer der Intellektuellen, der sich nach einem kurzen Besuch in der Sowjetunion von dieser politischen Ideologie abwendet. Der Politikwissenschaftler und Publizist Ioan Stanomir erläutert den politischen und intellektuellen Werdegang des Schriftstellers:
Die Beweggründe seiner Hinwendung in jungen Jahren zum Kommunismus ist — genau wie bei anderen Intellektuellen der Zeit in Europa — die Unzufriedenheit mit der damaligen sozialen Ordnung. Wie dürfen nicht vergessen, dass Panait Istrati erstens ein Sozialist war, ein Anhänger und guter Bekannter des bulgarischen Revolutionärs Christian Rakowski, ein Zeuge der Streiks, die Anfang des 20. Jahrhunderts unterdrückt wurden. Nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass Istrati aus bescheidenen, ja prekären Verhältnissen stammte. Das alles mag ihn in seiner späteren Befürwortung des Kommunismus beeinflusst haben. Eine ausschlaggebende Rolle spielte dabei aber auch die Tatsache, dass er mit französischen Intellektuellen Kontakte knüpfte. Im französischen Kulturmilieu galt er als ein wahrer Gorki des Balkans, als Stimme der Verfolgten und Unterdrückten. Nicht zufällig habe ich den Vergleich mit Gorki erwähnt, die Schicksale Panait Istratis und Maxim Gorkis unterscheiden sich auf den ersten Blick voneinander, im Grunde genommen sind sie sich jedoch sehr ähnlich. Istrati war zunächst ein Kommunist, wurde dann aber von der Realität desillusioniert und folgte dem Weg der Nüchternheit, während Gorki hingegen ein Freund und Befürworter der Bolschewiken und Lenins war, der in einer ersten Etappe des Bolschewismus dennoch ins Exil ging. Später kehrte er in sein Heimatland zurück und schloss sich der Ideologie von Stalin an. Istrati und Gorki haben doch etwas gemeinsam: einen europäischen Ruhm und ein ideologisches Engagement, das Bild eines Schriftstellers, der die Berufung hat, den Bedürfnissen der Menschen, aus deren Milieu er selber stammt, Ausdruck zu verleihen.“
1927 besuchte Istrati Moskau und Kiew. 1929 reist er wieder in die Sowjetunion und das ist der Zeitpunkt, an dem er den Schleier vor den Augen fallen lässt. Dem jungen Intellektuellen wird dann klar, dass das kommunistische Regime seine Worte nicht in Taten umsetzte. In seinem politischen Reisebericht Vers lautre flamme. Confession pour vaincus“ (rumänischer Titel: Spre o altă flacără”, deutscher Titel: Auf falscher Bahn. Geständnisse für Besiegte“), erschienen in französischer Sprache, prangert er den Totalitarismus der kommunistischen Ideologie an. Nachdem das Buch veröffentlicht wird, sieht sich der Schriftsteller Faschismus-Vorwürfen ausgesetzt. Dazu Ioan Stanomir:
In zahlreichen Fällen war eine Reise in die Sowjetunion in der Regel kein Anlass, sich vom Kommunismus abzuwenden, sondern hingegen ein Anlass, sich in diese Ideologie weiter zu vertiefen. Die Ausnahmen bestätigen aber die Regel und es gibt wenige Intellektuelle der Zeit, die die Kraft finden, diesen ideologischen Schleier über die Augen zu lüften. Der englische Schriftsteller Herbert George Wells hat beispielsweise die Sowjetunion besucht und die Reise wirkte sich überhaupt nicht auf seine Weltanschauung aus. Es gibt zwei Namen, die hingegen ein gutes Beispiel für die Ernüchterung darstellen: Panait Istrati und André Gide. Die beiden sind nach Moskau gereist und haben Bücher geschrieben, die sie in heikle Situationen ihren Kampfgenossen gegenüber brachten. Nachdem Istrati »Auf falscher Bahn« geschrieben hatte, wurde ihm vorgeworfen, er würde den antifaschistischen Kampf verraten und eine Verleumdungskampagne gegen die Sowjetunion führen.“
Panait Istrati prangert aber die Verbrechen von Stalin, nicht die kommunistische Ideologie an. Er bleibt ein Anhänger von Trotzki und gilt als einer der Intellektuellen, die nach einer reinen, unbefleckten Seele der Revolution“ suchten. Ioan Stanomir ist der Ansicht, dass Istrati eigentlich nur dem Stalinismus den Rücken kehrt:
Trotzki war ein bewaffneter Prophet, der gegen sein eigenes Volk vorging. Die rote Armee, die Trotzki gegründet hatte, war ein Unterdrückungsinstrument gegen das russische Volk. Die rote Armee hat im russischen Bürgerkrieg die Bauern vernichtet. Trokzi stellte die antibürokratische und antitotalitäre Alternative aus Sicht der radikalen Linken dar. Istrati wendet sich von der politischen Ideologie Lenins ab, weil er einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Leninismus aus Sicht der Linken und dem Stalinismus aus Sicht der antistalinistischen Linken merkt. Istrati streift seine linksextremistischen Überzeugungen niemals ab, sieht aber ein, dass Stalins Russland die Prinzipien Lenins nicht einhält. Genau wie andere Intellektuelle lässt sich Panait Istrati täuschen, dass der Leninismus unterschiedlich vom Stalinismus und dass der Leninismus kein totalitäres Regime sei.“
Wie hat das kommunistische Regime in Rumänien den Schriftsteller für seine Zwecke instrumentalisiert? Dazu Ioan Stanomir:
Panait Istrati wird in den 1960er Jahren in Rumänien ideologisch ausgeschlachtet. Es war kein Zufall, dass gerade in jenen Jahren die rumänisch-französische Kooperation in vielen Bereichen ausgebaut wurde. Aus der Zeit stammt die rumänisch-französische Film-Koproduktion »Codin«, die auf einem Text von Istrati beruht, ebenso die Verfilmung seines Romans »Die Disteln des Baragan«. Bei der Wiederanspornung der Beziehungen zu Frankreich spielte sein literarischer Nachlass auf jeden Fall eine ausschlaggebende Rolle. Istrati war ein geistiges Kind Frankreichs, ein balkanischer Gorki, der von dem linken Kulturmilieu Frankreichs gefördert wurde. Zu jenem Zeitpunkt waren zahlreiche französische Kommunisten nach Rumänien gekommen, Regisseure aus Frankreich machten sich für eine volksdemokratische Filmkunst in Rumänien stark. Zahlreiche Werke Istratis wurden dann ins Rumänische übersetzt, weil ein guter Teil ursprünglich auf französisch verfasst worden war. Wenn man einen Blick in die rumänischen Werkausgaben jener Zeit wirft, ist die Interpretation seines Lebenslaufes im Vorwort ebenfalls aufschlussreich: Istratis Abkehr vom Stalinismus sei zwar ein gravierender zeitweiliger Fehler gewesen, den er jedoch durch seine Verdienste um die Arbeiterbewegung wieder gut zu machen vermocht habe.“
1933, zwei Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte Panait Istrati den Essay L’homme qui n’adhère à rien“ (zu dt. in etwa Der Mensch, der sich zu nichts verpflichten lässt“), in dem er dem Stalinismus erneut eine Absage erteilte und seine Unabhängigkeit innerhalb linker Ideologien betonte.