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Kontrafaktuale Geschichte: Wie sähe der rumänische Raum ohne die Vereinigung von 1918 aus?

Oft stellt man sich die Frage, wie die Geschichte gewesen wäre, wäre sie nicht so verlaufen, wie wir sie kennen. Welches Schicksal hätten die Menschen, die Gesellschaften, die Nationen, die Welt allgemein gehabt?

Kontrafaktuale Geschichte: Wie sähe der rumänische Raum ohne die Vereinigung von 1918 aus?
Kontrafaktuale Geschichte: Wie sähe der rumänische Raum ohne die Vereinigung von 1918 aus?

, 26.11.2018, 17:30

Die Alternativgeschichte, die auch als Gegengeschichte oder kontrafaktuale Geschichte bezeichnet wird, ist ein Literaturgenre, in dem man sich die Geschichte anders vorstellt als jene, die uns bis in die Gegenwart geführt hat. Diese Art von Literatur ist sehr reichhaltig. Derjenige, der zum ersten Mal den Begriff Uchronie“ verwendet hat, war der französische Philosoph und Schriftsteller Charles Renouvier, der Autor eines gleichnamigen Textes im Jahr 1876. Seitdem lie‎ßen die Schriftsteller ihrer Imagination freien Lauf, und zahlreiche Alternativszenarien wurden aufs Papier niedergeschrieben.



Das Alternativ-Rumänien“ oder das Mehrfache Rumänien“ ist ein Fiktionsdiskurs, in dem Autoren wie der Literaturkritiker und Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft Virgil Nemoianu, Professor an einigen amerikanischen Universitäten, eine Geschichte aufgebaut hat, in der die Vereinigung von 1918 nicht stattgefunden hätte. In seiner Jugend war Nemoianu ein leidenschaftlicher Leser von Geschichtsromanen.



Das ich immer wieder Geschichtsromane las, bin ich in letzter Zeit dazu gekommen, die Gegengeschichte zu entdecken. Diese geht von Ereignissen aus, die nicht stattgefunden haben und manchmal sogar absurd sein können, wie z.B. der Eingriff einiger Au‎ßerirdischen in den Zweiten Weltkrieg. Der populäre Romanschriftsteller Harry Turtledove schrieb unter seinen zahlreichen Romanen den Band »Ruled Britannia«. Er stellt sich vor, dass die Unbesiegbare Armada 1588 England erobert hat. Dabei wird Königin Elisabeth im Tower of London eingekerkert und England wird wieder katholisiert. Lope de Vega ist ein junger Leutnant, der sich Shakespeare nähert, um von ihm etwas über die Dramaturgie zu erfahren. Alte Politiker bereiten allerdings einen Aufstand vor, der letztendlich siegreich ist. Er hat auch einen weiteren Roman, der »Die beiden Georges« hei‎ßt. Darin versöhnen sich George III. mit George Washington, anstatt dass es zu einer Aufspaltung zwischen den USA und England kommt.“




1918 entstand Gro‎ßrumänien durch die Vereinigung zwischen dem Rumänischen Königreich und Siebenbürgen, dem Banat und der Bukowina. Diese Situation nehmen die Historiker so wahr, wie sie sich ereignete, und sind der Meinung, dass eine Alternativgeschichte nicht der Geschichtswissenschaft wert ist. Virgil Nemoianu glaubt nicht, dass eine Alternativgeschichte etwas Absurdes sein würde.



Mehrere Staaten, in denen dieselbe Sprache gesprochen wird, gibt es sowohl in Europa als auch weltweit. Welche wären die Vorteile gewesen? Wie hätte man die Dinge verstanden? Erstens standen die Rumänen fast ein Jahrtausend lang an der Kreuzung und zwischen dem Druck gro‎ßer Reichsmächte aus dem Osten, aus dem Süden, aus dem Westen. Das bedeutet zugleich mindestens drei unterschiedliche Einflüsse. Sie veränderten die Natur, die Art des Seins und die Bräuche in jedem dieser Länder. Im alten Königreich gab es einen französischen und einen russischen Einfluss. Jenseits der Karpaten gab es einen deutsch-österreichischen Einfluss, trotz der ungarischen Domination. Wie hätten sich diese Staaten einzeln entwickelt? Ich stelle mir vor, dass der Umzug der Menschen von einer Seite der Karpaten auf die andere einfach und vorteilhaft gewesen wäre. Bevölkerungsumzüge hat es sowieso gegeben. Auch nach der Gründung Gro‎ßrumäniens wei‎ß man, dass es gegensätzliche Tendenzen gegeben hat. Einerseits die Anziehung Mitteleuropas, andererseits das Balkanbündnis, in dem sich Rumänien eher mit Ländern wie Jugoslawien, Bulgarien und Griechenland, verbunden sah.“




Das heutige Rumänien ist aus zwei unterschiedlichen geokulturellen Räumen gebildet, dem extrakarpatischen Raum, wo der Einfluss des Osmanischen Reiches und die christlich-orthodoxe Religion dominierend waren, und dem mitteleuropäischen Raum, wo der Einfluss Ungarns, des Habsburgischen Reiches und des Katholizismus ausgeprägt waren. Auf diesen Voraussetzungen baute Virgil Nemoianu seine Alternativgeschichte des mehrfachen Rumäniens auf.



Die interne Natur der beiden Staaten wäre unterschiedlich gewesen. Wir können uns vorstellen, dass im transkarpatischen Raum es eine höhere Verstädterung gegeben hätte, vielleicht eine mitte-links-gerichtete politische Orientierung, denn hier gab es eine etablierte sozialdemokratische Tradition, ein gutes Finanznetz, mit recht kleinen Banken und Industrieanfängen. Dieser imaginäre Staat könnte der heutigen Slowakei, Slowenien oder Kroatien ähnlich sein. Das, was das alte Königreich war, wäre vielleicht intellektuell stärker entwickelt, denn hier gab es sehr solide Universitäten, eine solide intellektuelle Tradition, und auch die Landwirtschaft hätte sehr entwickelt sein können. Dieser Staat hätte zuversichtlicher nach Süden, auf den Balkan blicken können. Aus religiösem Gesichtspunkt hätte es im imaginären transkarpatischen Staat eine gewisse Zusammenarbeit zwischen Orthodoxen und Griechisch-Katholiken gegeben. Es gab auch Konflikte, allerdings bestand eine gewisse Freundschaft. Das alte Königreich war überwiegend orthodox, stand also dem Balkan und dem Osten näher. Ich denke au‎ßerdem, dass keine Rechtsextreme auf dieselbe Weise entstanden wäre. Es hätte auch Nachteile gegeben. Das vereinte Rumänien hatte eine gewisse Wirtschaftsmacht, die in der Zwischenkriegszeit und sogar während des Kommunismus zum Ausdruck kam. Aus intellektueller und kultureller Sicht kann man über Zusammenarbeit und über Kontakte zwischen den beiden Seiten der Karpaten sprechen. Ich möchte nicht behaupten, dass es besser gewesen wäre, wären die beiden Seiten getrennt, hätte es zwei rumänische Staaten gegeben. Ich wollte nur sagen, dass es sowohl Vorteile als auch Nachteile gegeben hätte. Deshalb habe ich dieses mehrfache Rumänien verbildlicht.“




Die Geschichte hat so stattgefunden, wie wir sie heute kennen. Denn diese war für die Menschen jener Zeit die gültigste Formel. Die Alternativgeschichte tut nichts anderes, als sich Szenarien vorzustellen, und sie ist ein literarisches Gedankenspiel. Das mehrfache Rumänien oder das Alternativ-Rumänien findet im Mentalitätsunterschied Substanz, den man auch heute feststellt, aber dieses blieb blo‎ß eine Variante, die für die Staatsraison nicht glaubwürdig war.

Foto: ExplorerBob / pixabay.com

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