Intellektuelle Bürgerallianz: ein Argument gegen Polit-Zynismus
Die 1990er Jahre gelten als romantisch-naive Zeit der rumänischen Politik nach der Wende. Und kaum eine Story passt dazu wie die der Bürgerallianz, zu dem sich engagierte Bürger und Verbände bereits im Herbst 1990 zusammengeschlossen hatten.
Steliu Lambru, 18.09.2017, 17:30
Nach der Wende war in der rumänischen Gesellschaft besonders ein Bedürfnis nach Dialog und Diskussion zu spüren — und vor diesem Hintergrund entstand die Bürgerallianz — eine Plattform für politische Ideen und Initiativen, ein Debattenforum, ein loser Zusammenschluss vieler Akteure. Und sie war auch ein Gegenpart zur Front der Nationalen Rettung, einem Mammut-Gebilde, das nach der Wende das Machtvakuum nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes gefüllt hatte. Die Bürgerallianz war zugleich Kaderschmiede für die künftigen Oppositionspolitiker. Sie wurde am 7. November 1990 von Intellektuellen und Bürgervereinen gegründet. Eine der zentralen Figuren war die Dichterin und Regimekritikerin Ana Blandiana. Sie erinnert sich an den gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem vor 27 Jahre die Bürgerallianz entstand:
Nach dem als Mineriade bezeichneten Bergarbeitereinfall vom Juni 1990 in Bukarest, als Studenten verhaftet wurden, sagten wir uns, dass wir etwas tun müssen. Selbst wenn wir keinen Erfolg haben, müssen die Menschen sehen, dass wir es dennoch versuchen. Und so schalteten wir eine Anzeige in der Zeitung »România liberă«. Dass heute über diese Zeitung und ihren Chef Petre Mihai Băcanu so wenig erzählt wird, ist ungerecht. Ohne diese Zeitung, die damals auf eine Auflage von mehreren Hunderttausend Stück kam, hätte es in Rumänien keine Opposition gegeben“, erzählt die ehemalige antikommunistische Dissidentin.
In einer Zeit ohne Facebook schaltete die frisch gegründete Bürgerallianz Inserate von 10 Quadratzentimetern auf der Titelseite der România liberă“ — Wir treffen uns am Donnerstag um 16.00 Uhr an der Universität“. Und es kamen so viele Leute, dass bei einem Marsch der Universitätsplatz noch voll war, während die ersten Demonstranten den Siegesplatz in fast 2,5 km Entfernung erreichten, wo das Regierungshauptquartier steht. In einem anderen Aufruf hieß es, dass die Menschen weiße Kleidung und eine Blume tragen sollten — ein Zeichen der Gewaltlosigkeit, sagt Ana Blandiana. Eines der wichtigsten Anliegen der neuen Plattform war die Etablierung einer Kultur der Erinnerung an die jüngere Geschichte der kommunistischen Diktatur in Rumänien.
Ana Blandiana spielte eine große Rolle bei der Einrichtung der Gedenkstätte der Opfer des Kommunismus im ehemaligen Gefängnis von Sighet. Im Namen der Bürgerallianz habe ich in Straßburg das weltweit erste Memorial des Kommunismus vorgeschlagen. Das war 1993, wir waren in Krakau auf einer Konferenz gewesen und auf Besuch auch in Auschwitz, das ganz in der Nähe liegt. In Straßburg sollte ich dann eine Rede vor dem Parlament des Europarates halten. Beim Abendessen saß ich neben der Generalsekretärin des Europarates, Catherine Lalumière — ein Zufall, dachte ich, doch jemand hatte ein gutes Wort eingelegt: Professor Enver vom Ausschuss der Menschenrechte. Die Diskussion mit Catherine Lalumière war der Grundstein des Memorials“, erinnert sich Ana Blandiana.
In Europa blies ein Wind der Einheit und es ging nicht nur den osteuropäischen Ländern darum, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen: Nicht einmal mit meinem Mann hatte ich über ein Memorial gesprochen. Die Idee kam uns bei diesem Gespräch. Wir kamen aus Auschwitz, wo der Europarat ein internationales Zentrum für Nazi-Studien einrichten wollte, und ich fragte dann nach, ob es nicht mindestens genauso wichtig wäre, ein Zentrum für Kommunismus-Studien zu gründen, denn über den Kommunismus wusste man so gut wie nichts. Dann sprachen wir über Europa, über die Vereinigung, die zwischen Ost und West stattfinden sollte, und ich sagte, dass wir nicht nur Politik und Wirtschaft vereinigen müssen, sondern auch unsere Obsessionen. Aber dafür müssen wir sie erst einmal kennen.“
Sehr lebhaft sind die Erinnerungen der Schriftstellerin an die naiv-linkischen Momente von damals — bestes Beispiel ist immer noch das Memorial von Sighet. Heute kann ich nachvollziehen, wie komisch sich das anhört, aber damals dachten wir keinen Augenblick nach, wie das Memorial per se entstehen wird. Wir dachten, der Europarat kümmert sich darum und baut es. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich keinen Moment dachte, wir würden etwas tun. Und dann stand in der Projektbroschüre neben unseren Vorstellungen auch etwas über die Finanzierung — und das klang für uns surreal. Denn es stand da, wieviel die Kommunalverwaltung beisteuert, wieviel der Zentralstaat, wieviel die Privatwirtschaft. Dabei waren wir Staatsfeind Nr. 1, keine Behörde würde uns Geld geben, weder lokale, noch zentrale. Eine Bedingung des Europarates war, dass wir eine Stiftung gründen — die Bürgerakademie. Das war einfach, das haben wir gemacht — und die Idee, die uns gerettet hat, lag auf der Hand: Wir haben Filialen der Stiftung in Städten eröffnet, wo viele Exilrumänen lebten, also München, Paris, New York, Los Angeles. Die ersten Summen kamen aus Spenden dieser Exilrumänen zusammen.“
Ana Blandianas Erinnerungen sind relevant für diese romantisch-naiven Momente der Politik nach der Wende. Doch die Alianţa Civică ist fester Bestandteile der jüngeren Geschichte geworden und auch ein Argument gegen den Zynismus der Politik neuerer Machart.