Historische Fälschungen aus patriotischer Gesinnung: die Huru-Chronik
Im 19. Jh. wünschten sich die rumänische Gesellschaft und die Intellektuellen einen Nationalstaat. Um dieses Unterfangen zu untermauern, wandten sich Historiker und Philologen nicht nur wissenschaftlichen Argumenten, sondern auch Fälschungen zu.
Steliu Lambru, 12.08.2019, 17:30
Patriotische Fälschungen mobilisierten die latenten Energien, die sich paradoxerweise schließlich positiv auf die nationale Emanzipation auswirkten. Mitte des 19. Jahrhunderts, nach dem Krimkrieg von 1853–1856, wurde das Schicksal der rumänischen Donaufürstentümer Moldau und Walachei entschieden. Die nationale Bewegung, die im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts entstanden war, forderte, dass sich die beiden Fürstentümer zu einem einzigen Staat zusammenschließen und sich vom osmanischen Einfluss befreien.
Dies konnte nur durch die Überzeugung der Großmächte des Westens erreicht werden, und die rumänischen Eliten griffen zur Erreichung ihrer politischen Ziele zu allen Mitteln. Eines der Mittel war die Fälschung mittelalterlicher Dokumente, um zu zeigen, dass die Situation vor der Ankunft der Türken in Europa und der Eroberung der rumänischen Länder besser gewesen sei. Die bekannteste historische Fälschung mit patriotischem Hintergrund war die Huru-Chronik, die eine offizielle Chronik der Moldau aus dem 13. Jahrhunderts sein sollte und in der die lateinische Herkunft der Rumänen dargestellt worden wäre. Verfasser der Chronik sei ein gewisser Huru gewesen, der angebliche Chronist des Prinzen Dragoş, des Gründers der Moldau.
Mircea Anghelescu ist Professor an der Philologischen Fakultät der Universität Bukarest und Autor des Buchs Mistificţiuni“, das sich mit Fälschungen, Apokryphen, Farcen und anderen Mystifikationen in der rumänischen Literatur beschäftigt. Eines der Kapitel konzentriert sich auf die Huru-Chronik, die er als typische Manifestation einer historischen Zeit betrachtet:
Es gibt besondere Bedingungen, die das Umfeld schaffen, in dem patriotische Fälschungen entstehen. Der Kontext, in dem all dies geschieht, steht im Zusammenhang mit der Schaffung einer historischen Zeit. Die kritische Masse wird erreicht und die Idee wird geboren, und jemand setzt sie in die Tat um. Es wurde von Versuchen zur Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit gesprochen, von Konfrontationen, die Rumänen wähnten sich unter mehreren Feinden, es war sehr schwierig, auch nur eine gewisse Autonomie zu bewahren. Dies ist der historische Moment, der die Schaffung von Fälschungen und deren Verbreitung ermöglicht und unterstützt. Eine berühmte Fälschung vor den Fälschungen des 19. Jahrhunderts ist die eines maltesischen Mönchs. Im 18. Jahrhundert behauptete er, dass einige unwichtige arabische Manuskripte religiösen Inhalts Chroniken darstellen würden, in denen es Zeugnisse über einige Besitztümer auf Malta gibt. Napoleon intervenierte und der Mönch kam lebend davon. Sein Name war Giuseppe Vella. Doch die Fälschung hatte Konsequenzen — sie veränderte die Wirtschaftsordnung des Landes.“
Patriotische Fälschungen mobilisieren Energien — das kritische Denken bleibt dabei allerdings auf der Strecke. Es galt, die höhere Vernunft“ über akademische Debatten walten zu lassen, und rumänische Intellektuelle nutzten die Praktiken der damaligen Zeit. Mircea Anghelescu erläutert weiter:
In den Jahren kurz vor der Revolution von 1848 forderte die Proklamation von Heliade Rădulescu die Rückkehr zu einem Zustand vor der osmanischen Präsenz — mit folgenden Worten: ‚Wir machen keine Revolution, wir wollen eine Restitution!‘ — d.h. eine Wiederherstellung des Geltungsbereichs alter Gesetze. Die Proklamation brachte wahrscheinlich ein Mitglied der Familie Sion auf die Idee, eine Chronik zu fingieren, obwohl nie erwiesen wurde, wer die wahren Urheber der Fälschungen bzw. der Huru-Chronik waren. Sion berief sich auf alte Zeiten als eine Art Bescheinigung des ehrwürdigen Alters der eigenen Familie, weil er seine Kinder in eine russische Adelsschule in Sankt Petersburg einschreiben lassen wollte. Die gefälschte Huru-Chronik wurde in der Zeit nach dem Krimkrieg veröffentlicht, als die Zukunft der rumänischen Fürstentümer von dem abhing, was der Pariser Friedenskongress beschließen würde. Wie kam es zur Fälschung? Einer der Nutznießer, der allerdings naiv und nicht selbst an der Fälschung beteiligt war, war der Nachkomme einer Bojarenfamilie, Boldur-Lăţescu, der behauptete: ‚Mit ist ein Dokument unter die Finger gekommen.‘ Niemand fragte ihn, woher er es hatte. Hatte er es von jemandem bekommen? Hatte er es in einem Archiv gefunden? Heutzutage, da wir eine legalistische Sicht der Geschichte haben, wäre dies die erste Frage an jemanden, der behauptet, ein historisches Dokument zu besitzen.“
Wie jede Fälschung wurde auch die Huru-Chronik später als solche entlarvt, nachdem die politischen Forderungen der Rumänen erfüllt waren. Mircea Anghelescu erzählt, wie das Dokument als Fälschung enttarnt wurde:
Die Sprache war der erste Hinweis, dass es sich um eine Fälschung handeln könnte, und die Zeitgenossen verwendeten dieses Argument in der Debatte, die ihren Höhepunkt gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichte, als der Fall schließlich gelöst wurde. Sie verglichen das älteste rumänische Schriftstück, das eine gewisse Konsistenz im Rumänischen hatte, Ende des 16. Jahrhunderts verfasst wurde und vollkommen verständlich war, mit dem Text der angeblichen Chronik von Huru. Der Text der Chronik ist absurd, die Satzgliedstellung ist dem Lateinischen nachempfunden, weil der Fälscher wohl annahm, dass eine ältere Sprachstufe des Rumänischen diese bewahrt habe. Es gibt auch Wörter, die von lateinischen Stammwörtern abgeleitet sind, als ob sie im Rumänischen erhalten geblieben seien, und hier inspirierte sich der Fälscher wahrscheinlich von Cantemir. Diese gekünstelte Sprache wäre sofort aufgefallen, wenn es in den Augen der Öffentlichkeit, auch in den Augen von Spezialisten, ein Gespür für historische Entwicklungen gegeben hätte. Das war am Anfang nicht der Fall, denn die kritische Perspektive kommt erst mit der Zeit, nach objektiver Forschung. Der erste Hinweis war also die Sprache. Der zweite Hinweis bezog sich auf das Wissen über ferne Zeiten. Diese Chronik beinhaltet eine ganze Reihe von Referenzen: Sie sei an einem bestimmten Tag geschrieben worden und ist vom Autor unterschrieben, als wäre sie ein notarielles Dokument. Niemand dachte im 14. und 15. Jahrhundert daran. Es wird auch erwähnt, wie die Rumänen politisch organisiert waren — in Scharen, als ob es sich um die biblischen Stämme Israels handelte. Alles wird in eine kirchliche Ordnung gegossen, die Anführer werden als eine Art Bischöfe dargestellt. Sogar ihre Kleidung wird beschrieben — weiße und rote Togen mit bestimmten Knöpfen, je nach Rang. Doch Kenntnisse über die Kleidung der Frühzeit gab es damals noch nicht, Nachforschungen darüber wurden es erst später angestellt.“
Historische Fälschungen mit patriotischem Hintergrund waren keine Hochstaplerei im eigentlichen Sinne, sondern ein fragwürdiger Weg, um politische Ziele zu erreichen. Und manche meinen, Machiavellismus zum Wohle der Allgemeinheit sei eine Kunst, kein moralisches Urteil.