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Historiker Nicolae Iorga: großer Gelehrter auf ideologischen Irrwegen

Der Historiker Nicolae Iorga ist einer der Rumänen, die in den Augen seiner Landsleute ein großes Ansehen genießen. Doch der Gelehrte hatte neben Qualitäten auch Mängel, und einer davon war, dass er sich als Moralapostel der Nation betrachtete.

Historiker Nicolae Iorga: großer Gelehrter auf ideologischen Irrwegen
Historiker Nicolae Iorga: großer Gelehrter auf ideologischen Irrwegen

, 20.01.2020, 17:30

Nicolae Iorga wurde 1871 in Botoşani, im Nordosten Rumäniens, als Sohn eines Anwalts geboren. Er studierte Geschichte an Universitäten in Rumänien, Italien, Frankreich und Deutschland. Iorga, der mehrere Sprachen beherrschte, beschäftigte sich mit unterschiedlichsten Themen und Fragen der rumänischen Geschichte, der Universalgeschichte und der Geschichtsphilosophie. Er veröffentlichte etwa 20.000 Presseartikel und ein beeindruckendes historisches Werk, 1.200 Bände und Broschüren.



Nicolae Iorga war ein Vertreter der patriarchalisch-traditionalistischen literarischen Strömung Sămănătorism“, die die bäuerliche Figur verherrlichte. Aus politischer Sicht war er konservativ und vertrat den Autoritarismus. Zusammen mit dem Rechtsanwalt A. C. Cuza gründete er 1910 die Demokratisch-Nationalistische Partei und im Ersten Weltkrieg war er dafür, Rumänien an der Seite der Entente-Staaten Frankreich, Gro‎ßbritannien und Russland in den Krieg zu führen. Nicolae Iorga war ein Professor und enger Freund des zukünftigen Königs Karl II. und 1931 wurde er Premierminister. Der stolze Nicolae Iorga wollte als Moralapostel der rumänischen Nation gelten und glaubte fest an seine au‎ßergewöhnliche Erziehungsaufgabe.



1999 gab die Historikerin Eliza Campus dem Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des rumänischen Rundfunks ein Interview. Eliza Campus vergötterte den Professor Nicolae Iorga und betrachtete ihn als ein Modell der Redlichkeit im Leben und Beruf:



An der Fakultät für Geschichte hatten wir als Hauptfach Universalgeschichte, unterrichtet von unserem gro‎ßen Geschichtswissenschaftler Nicolae Iorga. Von Anfang an hatte ich eine sehr herzliche Beziehung zu ihm. Er sah mich in Trauer — mein Vater war gestorben — und er fragte mich schon nach der ersten Vorlesung, ob ich Hilfe brauche, ob ich zusätzlichen Unterricht bräuchte oder ob ich Möglichkeiten hätte, mehr Geld zu verdienen. Nun, ich war gerade als Lehrerin an einer Schule eingestellt worden und hatte ein Einkommen. Nicolae Iorga pflegte eine sehr freundliche Beziehung zu mir. Er lud mich immer wieder in sein Haus ein, er lieh mir Bücher aus seiner Bibliothek, bis ich mein Diplom erhielt.“




Als altmodischer Nationalist des 19. Jahrhunderts geriet Nicolae Iorga in Konflikt mit den Legionären, den faschistischen radikalen Nationalisten, ein Konflikt, der 1938 zum Tod des Legionären-Führers Corneliu Zelea Codreanu führte. Die Legionäre haben dem Historiker oft vorgeworfen, er sei schuld an den Tod ihres Führers. Im Jahr 1996 versuchte der Journalist Pan Vizirescu, ein Bewunderer von Nicolae Iorga, die Situation zu erklären, in der sich der Konflikt zwischen den beiden Seiten entwickelt hatte:



Nach dem Mord an Codreanu sagte Nicolae Iorga auf einer öffentlichen Konferenz, die im Saal der Königlichen Stiftungen stattfand, folgendes: ‚Ich wollte den Legionären einen Rat geben, wie ein Vater, ich wollte ihnen nicht die Köpfe abschlagen!‘ Es gab einen gro‎ßen Unterschied zwischen dem, was König Karll II. gegen die Legionäre getan, und den Ratschlägen, die ihnen Nicolae Iorga gegeben hatte.“




Der Literaturhistoriker Gabriel Ţepelea sah Nicolae Iorga zum ersten Mal am 1. Dezember 1933, als er 17 Jahre alt war. Im Jahr 1999 sagte Ţepelea in einem Interview mit dem Rumänischen Rundfunk, er habe den Historiker auch bei einer öffentlichen Versammlung der Front der Nationalen Wiedergeburt, einer totalitären Partei unter der Kontrolle von König Karl II., wiedergesehen. Als überzeugter Demokrat glaubt Gabriel Ţepelea, dass die intellektuellen Fähigkeiten eines Mannes oft nicht seinem Charakter entsprächen, und Nicolae Iorga sei ein Beispiel dafür gewesen:



Ich sehe Iorga vor meinen Augen, mit seinem Patriarchenbart, gekleidet in einer blauen Uniform, als königlicher Berater, als Mitglied der Front der Nationalen Wiedergeburt. Eine Reihe von Menschen von immenser kultureller Dimension haben bewiesen, dass sie aus politischer Sicht kein Veto gegen persönliche Ambitionen einlegen konnten, in diesem Fall gegen die Ambitionen des Königs. Und sie befolgten den von Diktatoren eingeschlagenen Weg, d.h. Abschaffung der politischen Parteien, Abschaffung der Demokratie, ab einem Punkt eine Annäherung an das Hitler-Regime mit Vernachlässigung der traditionellen Bündnisse.“




Nicolae Iorga sprach auch im Rumänischen Rundfunk. Der Ingenieur Paul Ştiubei erinnerte sich 1994 an die Ansprache des Historikers am Mikrofon im Jahr 1940:



Er hatte einen Text verfasst, aber er sprach frei. Ich hatte ihn auch bei seinen öffentlichen Vorträgen gehört, er hielt sich nicht am Text, er machte Abschweifungen mit vielen unterschwelligen Bedeutungen. Einmal platzte der Generaldirektor des rumänischen Rundfunks, Nicolae Sărăţeanu, ins Studio und wollte selbst an die Knöpfe. Er hatte die Hand am Knopf, aus Angst, dass Iorga vielleicht wieder etwas gegen die Deutschen sagen würde. Es war die Zeit, als die deutschen Truppen ins Land kamen.“




Am 27. November 1940 holten die Legionäre Nicolae Iorga aus seiner Wohnung, brachten ihn in den Wald von Strejnicu und töteten ihn. Es war das Schicksal eines Mannes mit gro‎ßen intellektuellen Qualitäten, der aber dem eigenen Stolz und der extremistischen Zeit, in der er lebte, zum Opfer gefallen war.

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