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Geschichte und Literatur: Doina Ruştis historischer Roman „Das phanariotische Manuskript“

Literarische Werke, die auf authentischen historischen Quellen beruhen, sind vermittelte Geschichte, die oft interessanter ist als trockene Zahlen und Fakten. Ein Gespräch mit der Schriftstellerin Doina Ruşti.

Geschichte und Literatur: Doina Ruştis historischer Roman „Das phanariotische Manuskript“
Geschichte und Literatur: Doina Ruştis historischer Roman „Das phanariotische Manuskript“

, 19.10.2015, 18:32

Manche Historiker glauben, dass ihr Bereich eine exakte Wissenschaft sei. Andere sind der Meinung, dass uns durch literarische Verarbeitung vermittelte Geschichte näher komme und dadurch nicht weniger interessant sei. Die historischen Romane sind genauso wichtig für die Erforschung der Vergangenheit und für die Entstehung einer Geschichtskultur wie das Studium der historischen Fakten und Daten.



Es gibt viele literarische Gattungen, insbesondere Romane, die auf authentischen historischen Quellen beruhen. So wird Geschichte etwas ganz Interessantes. Doina Ruşti ist Schriftstellerin und hat hunderte Dokumente aus der Periode 1770–1830 für ihr Roman Das phanariotische Manuskript“ studiert. Eine der Gestalten ihres Romans ist der Fürst Alexander Mourousis (rum. Alexandru Moruzi), der von 1750 bis 1816 gelebt hat.



Mich interessierte Moruzi, ein phanarotischer Fürst, sehr. Er war ein Fürst mit einem sehr interessanten Leben, der vielleicht die meisten Dokumente hinterlassen hat. Alexandru Moruzi war Grieche, er heiratete eine Rumänin und hat mehrmals in der Walachei und in der Moldau geherrscht. Er diktierte fast täglich seine Ideen, das hat mich aufmerksam gemacht. Er hat eine Menge Dokumente hinterlassen. Aus diesen erfahren wir, wie das Leben am Fürstenhof in der phanariotischen Epoche verlief. Er hatte ein schreckliches Ende: Die Türken haben ihn geschnappt und er wurde als Galeeren-Sklave verkauft. Moruzi spielt im ganzen Roman eine wichtige Rolle.“




Am Anfang des 19. Jahrhunderts war Bukarest ein Gemisch von Sprachen und Völkern, es war eine Art Babylon. Eine der wichtigen Gestalten des Romans Das phanariotische Manuskript“ ist Delizorzo, ein Fremder im walachischen Babylon. Doina Ruşti dazu:



Viele der Griechen, die hierher gekommen sind, waren eigentlich Aromunen oder Meglenorumänen, auch als W(a)lachen bekannt, konnten gut Rumänisch reden und fast jeder hatte schon vorher eine Verbindung zur rumänischen Welt gehabt. Deshalb waren sie ja auch hergekommen, sie sprachen schon Rumänisch und konnten gut zurechtkommen. Einer dieser Menschen brachte es sogar zum Metropoliten, er hie‎ß Dositei Filiti, sein Spitzname war Delizorzo. Er hat den Metropoliten Filaret gestürzt. Dieser Grieche ist in die Walachei gekommen und wurde Metropolit. Sein Vater war Grieche und seine Mutter Albanerin, die eigentlich aromunischer Abstammung war. Dieses Gemisch war auf dem Balkan sehr üblich. Die Bukarester haben ihn Delizorzo genannt. Den Namen habe ich im Roman übernommen und habe versucht, ihn auch zu entziffern. Es war ein lustiger Name, halb griechisch, halb türkisch. Im Türkischen bedeutet ‚deli‘ verrückt, aber im positiven Sinne, eine Art sympathischer Übergeschnappter. ‚Zorzos‘ war ein üblicher Name auf dem Balkan, den die Rumänen lustig fanden.“




Im Roman gibt es weitere interessante Gestalten. So den jungen Mann, der nach Bukarest kam, um reich zu werden. Die Schriftstellerin Doina Ruşti berichtet:



Diese Gestalt, über die ich in einem Dokument gelesen habe, hat mich fasziniert. Es handelt sich dabei um einen Aromunen, der nach Bukarest kommt. Er behauptete, Grieche zu sein, Sohn von Radu, ein typisch rumänischer Name. Im Originaldokument hie‎ß er Ion, Sohn von Radu. Es war damals angesehener, als Grieche statt Aromune zu gelten. Dieser Aromune, der sich als Grieche ausgab, wurde zum Sklaven des Bojaren Doicescu. Es ist eine Geschichte, die von Liebe, Verzweiflung und Sklaverei erzählt. Ion, Sohn von Radu, kommt nach Bukarest und wird mit einem anderen Menschen namens Leun verwechselt. Leun war ein Diener, höchstwahrscheinlich ein junger Franzose, 17 Jahre alt, mit richtigem Namen Leon. Er wurde Diener des Grafen Chassatow, des ersten russischen Konsuls in Bukarest. Dieser Leon, den auch Fürst Moruzi, den Namen entstellend, ‚Leun‘ nennt, verschwindet und wird von der Polizei gesucht. Mehrere Dokumente sprechen von Befehlen des Fürsten ‚den verdammten Leun‘ zu finden. Natürlich fragt man sich, wer Leun war, was er angestellt hatte und warum ihn die Polizei suchte. Wir wissen, dass er grüne, etwas unanständige Kleidung trug: eng sitzendes Beinkleid nach westeuropäischer Mode, vermutlich hatte er auch einen Schopf. Letztendlich habe ich aus einem Dokument erfahren, warum Leun gesucht wurde. Moruzi selbst sagte, er müsse zu einem gro‎ßen Bukarester Kaufmann gebracht werden, weil seine Tochter auf ihn warte. Dieser Junge musste sie im Rahmen einer arrangierten Ehe heiraten, war aber weg gelaufen. Ganz Bukarest war darüber empört und keiner verstand, warum ein Diener mit einem so ehrenhaften Vorschlag nicht einverstanden war. Diese Geschichte habe ich übernommen. Ion kommt nach Bukarest mit dem Gedanken, reich zu werden. Er wollte nicht in die griechische Befreiungsarmee unter General Lambros einrücken, sondern ganz einfach sein Leben genie‎ßen, weil Ion, Sohn von Radu, nur 17 Jahre alt war.“




Historische Dokumente können — so wie die Realität — konfus sein. Da handelt es sich auch um Lebensgeschichten, die man unterschiedlich auslegen kann.

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