Geschichte der modernen rumänischen Zivilisation: 100 Jahre seit Herausgabe von Lovinescus Werk
Die rumänische Kultur ehrt im Jahr 2024 einen ihrer wichtigsten Vertreter, den Historiker und Literaturkritiker Eugen Lovinescu.
Steliu Lambru, 25.11.2024, 17:47
Eugen Lovinescu ist 1881 in Fălticeni, im Norden Rumäniens, geboren und 1943 in Bukarest gestorben. Er ist unter anderem für sein umfangreiches dreibändiges Werk „Geschichte der modernen rumänischen Zivilisation bekannt“. Das Buch wurde 1924-1925, vor genau 100 Jahren, herausgegeben. Darin wird Lovinescus Vision von kleinen Gesellschaften präsentiert, die dazu neigen, sich mit großen Gesellschaften zu synchronisieren. Der Autor, ein überzeugter Anhänger westlicher Werte, legt das Gesetz der Nachahmung dar und zeigt, wie rückständige Gesellschaften von fortgeschrittenen Gesellschaften beeinflusst werden
Seit seinem Erscheinen hat Lovinescus Werk zunehmend an Bedeutung für die rumänische Gesellschaft gewonnen. In den vergangenen 100 Jahren wurde Lovinescus These vom Synchronismus sowohl angegriffen als auch verteidigt.
Nach Ansicht von Ion Bogdan Lefter, Professor für rumänische Literatur an der Universität Bukarest, geht das Buch über eine Literaturgeschichte hinaus. Deshalb würde es jetzt die Anerkennung bekommen, die es verdient habe.
„Die Frage, die ich mir sicherlich gestellt habe, lautet: Warum dieses Buch? Und natürlich gibt es dazu eine Reihe von Antworten, die vielschichtig sind. Die erste Antwort ist die außerordentliche Bedeutung des Autors. Für mich ist Lovinescu der wichtigste rumänische Literaturkritiker überhaupt, ja sogar eine Schlüsselfigur der rumänischen Kultur seit 1900. Die zweite Ebene der Antwort ist vielleicht überzeugender, da sie keine Bewertung und möglicherweise auch keine Subjektivität impliziert. Sie hat mit dem Profil dieses Buches in Bezug auf sein Thema und auf die heutige rumänische Welt zu tun. Lovinescu war ein Literaturkritiker, seine multidisziplinäre Relevanz ist unbestreitbar.”
Ion Lefter ist der Meinung, dass der Text von Lovinescu eine Aktualisierung verdient. Es ist bekannt, dass jeder Text ein Produkt seiner Zeit ist und mit jedem vergangenen Jahr „altert“. Lefter argumentiert, dass Lovinescu mit den Augen des 21. Jahrhunderts gelesen werden kann.
„Der Synchronismus ist, war und bleibt eine Form der Globalisierung. Globalisierung ist eine Form der Synchronisierung. Das Überbrücken von Lücken, das Eintreten in den Wettbewerb, die Angleichung sind auch Mikroprozesse. Wenn wir über eine einzelne Nation sprechen, befinden wir uns aus planetarischer Sicht immer noch auf einer Mikroebene. Oder, wenn wir die große planetarische Skala betrachten, sind die Phänomene eigentlich gleichartig, mit vielen Feinabstimmungen, die wir natürlich hinzufügen müssen. Lovinescus kulturelle Überlegungen zur Geschichte der modernen rumänischen Zivilisation haben von daher vielleicht auch eine zeitgenössische und sogar natürliche Dimension. Ich sage das nicht, um Lovinescus Bild als Prophet der Globalisierung aufzupolieren.“
Wer sich für Moden und Trends interessiert schaut auch auf die Richtung, in die sich die menschliche Zivilisation bewegt. Da Kultur und Zivilisation nicht voneinander zu trennen sind, hören wir heute Meinungen darüber, die aus der Vergangenheit stammen und nach den Vorstellungen der Gegenwart neu bewertet werden. Ion Bogdan Lefter sagt, ausgehend von den Thesen Lovinescus, dass die Entwicklung der Menschheit eher als Ergebnis allmählicher Anhäufungen und kaum als Folge extremer und spontaner Impulse zu sehen ist.
„Ich bin fest von der Idee der evolutionären Abstufungen überzeugt, die in erster Linie Kontinuitäten voraussetzt. Die Kontinuitäten können langsamer oder schneller sein, die Rhythmen können Kontinuität und Bruch näher bringen. Sind sie so radikal unterschiedlich, wie wir sie oft formulieren? Oder sind sie Teil umfangreicher Prozesse der Entwicklung und Kontinuität, die auch Rückschläge und Brüche beinhalten? Auf jeden Fall würde ich viel vorsichtiger und seltener radikale Bewertungen verwenden.“
Autoren wie Eugen Lovinescu, die über die Grenzen ihrer Disziplin hinausgehen, sind eher selten. Ion Bogdan Lefter ist der Ansicht, dass die historischen Zeiten, durch die Gesellschaften gehen, über die Persönlichkeiten verfügen, die sie verstehen können.
„Lovinescu kommt sehr schnell zu der Erkenntnis, dass Literatur ohne einen historischen Charakter nicht verstanden werden kann und nicht existiert. Es gibt keine Geschichte der Literatur ohne den Hintergrund der Sozialgeschichte, der großen Geschichte. Das ist eigentlich eine Entwicklungsstufe derjenigen, die in der jeweiligen Epoche alle soziokulturellen Bereiche verstanden haben. Die öffentliche Debatte setzt eben zuallererst den Diskurs voraus. Das Verfassen von Texten, das expressive Schreiben sind frei verfügbar und können von Fachleuten in allen Bereichen genutzt werden. Aber natürlich trainieren Schriftsteller auch für den Diskurs, sie sind Profis der öffentlichen Vorträge.”
Vor hundert Jahren hat Eugen Lovinescu der rumänischen Kultur ein großes Werk vermacht. Es war sowohl ein Buch über die Identität der rumänischen Gesellschaft als auch ein Buch über ihren Werdegang.