Erster Weltkrieg: Die Schlacht von Turtucaia/Tutrakan (1916)
Die Schlacht vom 1.-6. September 1916 um den rumänischen Stützpunkt bei Turtucaia an der Donau, der von der bulgarischen Armee und deutschen Verbänden angegriffen wurde, endete katastrophal für die rumänischen Streitkräfte.
Steliu Lambru, 03.10.2016, 17:30
Am 27. August 1916 erklärte Rumänien Österreich-Ungarn den Krieg und trat damit in den Ersten Weltkrieg ein. Bulgarien hatte in dem Krieg bereits seit 1915 an der Seite Deutschlands gekämpft — sofort schickte der südliche Nachbar seine Armee zum Angriff auf Turtucaia (bulgarisch: Tutrakan), eine Stadt die sich genau gegenüber von Oltenița am südlichen Donauufer befand, etwa 70 Kilometer südöstlich von Bukarest entfernt. Turtucaia galt als Hauptstützpunkt des rumänischen Militärs südlich der Donau. Das Rumänische Königreich hatte sich nach dem Zweiten Balkankrieg im Zuge des Friedensvertrags von Bukarest die Stadt einverleibt.
Die Schlacht von Turtucaia fand zwischen dem 1. und 6. September 1916 statt — sie bedeutete die erste schwere Niederlage für die rumänische Armee. Von der rumänischen Geschichtsschreibung als Desaster festgehalten, führte die Niederlage von Turtucaia zum Zerfall des gesamten Aktionsplans des Generalstabs der rumänischen Armee. Das verteidigende rumänische Heer verfügte über ein Kontingent von circa 39.000 Militärs, während das bulgarische und deutsche Aufgebot es gemeinsam auf eine Truppenstärke von 55.000 Mann brachte. Bei der Schlacht starben mehr als 6.000 Rumänen, auf der anderen Seite gab es unter den Bulgaren und Deutschen gut 7.700 Tote. Zusätzlich wurden 28.000 rumänische Militärs gefangen genommen.
Historiker, Militärs und Zeitzeugen haben die Schlacht von Turtucaia mehrfach beschrieben und analysiert. Vor allem zwei Aspekte seien ausschlaggebend gewesen, glaubt der Historiker Sorin Cristescu von der Universität Spiru Haret“ — die Ausbildung und Ausrüstung der rumänischen Armee und deren Gemütszustand.
Bei der Schlacht von Turtucaia geht es um zwei Aspekte. Erstens geht es um die schwache Ausrüstung der rumänischen Armee. Es waren 800.000 Soldaten eingezogen worden, jedoch gab es weniger als 500.000 Gewehre. In den Jahren 1914-1916 waren etwa 120.000 Gewehre des französischen Herstellers Lebel importiert worden. Von den höchstens 500.000 Gewehren stammten etwa 100.000 aus dem Unabhängigkeitskrieg von 1877. Im Krieg von 1913 hatten 460.000 rumänische Soldaten die Donau überquert, davon hatten nur 300.000 Gewehre. Und in Turtucaia ist genau dasselbe passiert. Die Armee verfügte über keine ausreichende Munition, nicht über genügend Waffen und auch die Kanonen waren schlecht ausgerichtet, das heißt, sie hatten keine Auswirkungen für den Feind. Es war eine Katastrophe.“
Aber neben der Ausstattung und Ausrüstung des Militärs spielt auch die mentale Kraft eine wichtige Rolle in einem Krieg. Historiker Sorin Cristescu glaubt, dass der Gemütszustand ausschlaggebend für die Niederlage von Turtucaia war und insbesondere für die Folgen der Schlacht im weiteren Verlauf des Kriegs.
Das militärische Desaster hatte aufgrund der mentalen Aspekte eine potenzierte Wirkung. Am 6. September 1916 war Bukarest bereits von der hohen Zahl der Verletzten im grauenvollen Zustand überwältigt. Und der Gemütszustand der Bevölkerung verschlechterte sich infolge des Gerüchts, dass die bulgarischen und deutschen Truppen von Turtucaia aus direkt auf die Hauptstadt zusteuerten. Die schwere Panik, die dadurch ausgelöst worden war, wirkte sich auch auf die Befehlshaber des Militärs aus. Man beschloss, die Offensive in Siebenbürgen zu stoppen und die Operation von Flămânda zu starten, bei der es um einen Rückzug ging.“
Aber nicht alle haben so reagiert. Der berühmte Journalist und Chefredakteur der Zeitung Adevărul“, Constantin Mille, hat während der tragischen Tage einen Artikel veröffentlicht. In diesem schrieb er, so sei nun der Krieg, man habe im Norden einen schönen Sieg gehabt, man sei vorangekommen, im Süden wurde man aber geschlagen, das Eine gleiche das Andere aus. Man dürfe nicht in Panik geraten, die Bulgaren und die Deutschen könnten Bukarest nicht so schnell erreichen. Mille schrieb noch, man hätte die Ruhe bewahren und nicht gleich nach der ersten Niederlage in Panik geraten müssen. Das Desaster von Turtucaia hat aber die allgemeine Stimmung getrübt.
Turtucaia hat im rumänischen Kollektivgedächtnis tiefe Spuren hinterlassen. Sorin Cristescu begründete die Niederlage mit der schwachen Organisierung der Armee. Die Leichtigkeit, mit der Rumänien in den Krieg eingestiegen sei, und die soziale und wirtschaftliche Lage seiner Bevölkerung, die zum Großteil aus Landwirten bestand, haben damals viel gewogen.
Turtucaia ist in der Geschichte durch die Beschreibungen von George Topârceanu, Gheorghe Brătianu und anderen geblieben. Es war ein tragischer Moment, der gezeigt hat, dass die rumänische Armee nicht vorbereitet war. Warum? Weil es die Armee eines Bauernlandes war. Wie der Historiker Nicolae Iorga im Jahr 1908 im Parlament sagte, handelte es sich dabei um die ärmsten Landwirte Europas. Wenn wir die Ursachen des Desasters betrachten, war meiner Meinung nach die Hauptursache die mangelnde Munition — das war entscheidend. Jeder Soldat hatte eine Quote von 100 Kugeln und die Produktion lag im besten Fall bei einer Kugel pro Tag für jeden Soldaten. Das bedeutete, dass der Soldat erst in 100 Tagen wieder Munition bekam. Und wir wissen, dass am 100. Kriegstag auch Bukarest ohne Kampf gefallen ist. Die Stadt wurde am 6. Dezember 1916 einfach dem Gegner überlassen. Er gab nicht die Möglichkeit, die Truppen in Turtucaia zu versorgen. Darüber hinaus trafen die Kanonen und die Waffen den Feind nicht, dieser konnte in Deckung gehen.“
Nach der Niederlage folgten für die 28.000 rumänischen Kriegsgefangenen zwei harte Jahre in den bulgarischen Lagern. Ihre Memoiren und Tagebücher stellen erschütternde Seiten dar, in denen die Würde, die Verzweiflung, die Demütigung und letzten Endes die Freude der Befreiung und des Sieges im Jahr 1918 zum Ausdruck kommen. Ganz Europa freute sich dann über den Frieden.