Elie Wiesels Tod ist ein „Verlust für die Menschheit“
Am 2. Juli ist der Holocaust-Überlebende und Geschichtsforscher Elie Wiesel in New York gestorben. Der Historiker Alexandru Florian, Leiter des Nationalen Instituts für Holocaust-Forschung, erinnert sich an Person und Persönlichkeit.
Steliu Lambru, 11.07.2016, 18:01
Elie Wiesel wurde am 30. September 1928 in Sighetu Marmaţiei in der rumänischen Marmarosch geboren. Im Mai 1944 wurde er zusammen mit den Eltern und seinen drei Schwestern nach Auschwitz deportiert — durch die ungarischen Behörden in Nordsiebenbürgen, da das Gebiet durch das sogenannte Wiener Diktat vom 30. April 1940 an Ungarn abgetreten worden war. Er überlebte und setzte sich unermüdlich für die Aufarbeitung des Holocausts ein, in dem etwa sechs Millionen Juden ermordet wurden — davon 400.000 in Rumänien oder in von Rumänien zwischen 1941 und 1944 verwalteten Gebieten. 1986 wurde Elie Wiesel mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Als Zeitzeuge berichtete Elie Wiesel über seine Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg, kämpfte aber auch für die Aufklärung der Verbrechen gegen die Menschheit — sein Vermächtnis, sagt der Historiker Alexandru Florian, Leiter des Nationalen Instituts für Holocaust-Forschung, ist der Kampf um Toleranz und Respekt für die Vielfalt: Ich glaube, sein Ableben ist ein großer Verlust für die Menschheit. 1986, als er den Friedensnobelpreis bekam, wurde es als Botschafter der Menschheit bezeichnet, also ist sein Tod ein Verlust für diese Menschheit. Er hat sein ganzes Leben der Holocaust-Erinnerung gewidmet und ist für Menschenrechte und Freiheiten überall eingetreten“, meint Alexandru Florian, dessen Institut den Namen von Elie Wiesel trägt. Der Holocaust-Überlebende war nicht nur an der Aufklärung der Verbrechen an den europäischen Juden interessiert. Er verurteilte gleichermaßen alle Völkermorde, zum Beispiel auch den in Ruanda. Er sprach auf diese Weise uns alle an, sagt Alexandru Florian. Elie Wiesel bedeutete etwas für jeden normalen Menschen, der in erster Linie vernünftig ist. Solchen Leuten, die die Vernichtung von Menschen gutheißen oder sich gar daran beteiligen, war Wiesel natürlich nur ein Dorn im Auge. Solche Figuren, denn ich kann sie nicht Menschen nennen, wollen gar nicht, dass es einen Elie Wiesel gibt. Es gab auch Fälle in Rumänien, wo über ihn gesagt wurde, dass er gar kein Holocaust-Überlebender war. Mythen mit Leugnungssubstrat wurden gestreut, um ihn zu verunglimpfen“, empört sich der Holocaust-Forscher Alexandru Florian.
Ihm zufolge ist es auch Wiesels Verdienst, dass Katastrophen wie der Holocaust heute zwar nicht ausgeschlossen werden können, aber doch eher unwahrscheinlich geworden sind. In der Politik heißt es, man soll niemals nie sagen, also würde ich nicht kategorisch behaupten, dass es nie wieder zu so etwas kommen kann. Aber die Vernichtung einer gesamten Volksgruppe nach Maßgabe des Holocausts wäre heute, im 21. Jahrhundert, schwer möglich. Und ich glaube, dass Elie Wiesels Arbeit dazu auch einen Beitrag geleistet hat“, so der Bukarester Historiker Alexandru Florian. Er selbst lernte Elie Wiesel vor mehr als zehn Jahren kennen, die Begegnung hinterließ einen bleibenden Eindruck. Ich traf ihn, als zwischen 2003 und 2004 eine internationale Kommission einberufen wurde, um den Holocaust in Rumänien zu studieren. Er war Vorsitzender der Kommission, ich war Mitglied. Und ich hörte dann seine Ansprachen in Bukarest, zum Anlass der Vorlegung des Schlussberichtes vor dem damaligen Staatspräsidenten Rumäniens, Ion Iliescu. Dabei hatte ich das Privileg der Gelegenheit zu einem kurzen persönlichen Austausch mit Elie Wiesel. Erst jetzt, wo er nicht mehr da ist, fällt mir eigentlich auf, wie stark ich damals beeindruckt war: von seiner Ausgeglichenheit, seiner Wärme und Menschlichkeit. Und beeindruckt hat mich auch die Entschlossenheit, mit der er für das Gedenken an den Holocaust eintrat und sicherstellen wollte, dass mörderische Politiker wie die aus dem Zweiten Weltkrieg nirgendwo auf der Welt mehr Aussichten haben, an die Macht zu kommen“, erinnert sich Alexandru Florian. Die Welt ist ärmer ohne Elie Wiesel, hofft aber, dass — auch durch seinen Beitrag — die Geschichte sich nicht mehr wiederholt.