Die Entstehung des wissenschaftlichen Sozialismus
Trotz seiner Brutalität wollte das kommunistische Regime menschlich, kreativ und pazifistisch erscheinen. Die Gewalt, mit der es die Macht übernahm, musste gerechtfertigt und begründet werden.
Steliu Lambru, 21.04.2014, 15:29
Trotz seiner Brutalität wollte das kommunistische Regime menschlich, kreativ und pazifistisch erscheinen. Die Gewalt, mit der es die Macht übernahm, musste gerechtfertigt und begründet werden. Der Gesellschaft musste erklärt werden, warum sie sich opfern musste, um den Sozialismus einzuführen. So wurde der wissenschaftliche Sozialismus geboren. Dieser sprach von der Unumgänglichkeit des Sozialismus. Alle Gesellschaften hätten diesen früher oder später eingeführt. Cristina Petrescu, Universitätsprofessorin an der Fakultät für Politik- und Verwaltungs-Wissenschaften der Bukarester Universität hat an der Buchreihe Enzyklopädie des kommunistischen Regimes“ mitgearbeitet. Sie weist den wissenschaftlichen Sozialismus als akademische Disziplin dem Willen der kommunistischen Partei zu.
Die Entfaltung dieses Fachs in Rumänien hat einerseits die Emanzipations-Politik der rumänischen Arbeiterpartei und anschließend Kommunistischen Partei Rumäniens gegenüber der Sowjetunion beginnend mit dem Ende der 1950er Jahre widerspiegelt. Andererseits hat es zur Umschreibung der Parteigeschichte durch die Neubewertung der sogenannten lokalen Traditionen der Arbeiterbewegung geführt. Zugleich hat der Bereich im Laufe dieser Jahrzehnte an Professionalismus verloren. Es war eine Mischung von Geschichten, Soziologie und Volkswirtschaft und die Kommunistische Partei hielt es unter Kontrolle. Die Partei kontrollierte alle Bereiche, insbesondere die humanistischen sowie die Sozialwissenschaften. Der wissenschaftliche Sozialismus wurde aber von der Partei entwickelt, das ist der Unterschied.“
Die Laufbahn des wissenschaftlichen Sozialismus war aber viel älter. Beginnend mit Engels, wurde er zum Markenzeichen des Marxismus. Cristina Petrescu:
Die Herkunft dieses Begriffs ist in den Schriften von Prodhon zu finden. Er hat als erster dieses Konzept in seinem Buch »Was ist Eigentum?« formuliert. Es ist ein Konzept, das Marx in seinem Werk nicht benutzt hat. Wegen Friedrich Engels und seines Werks »Anti-Dühring« wurde es aber sehr populär. Das erste und das dritte Kapitel wurden auf Französisch mit dem Untertitel »Socialisme utopique et socialisme scientifique« veröffentlicht. Danach erschien die deutsche Variante, mit einem geänderten Titel — Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. Der Titel wurde am Ende des 19. Jahrhunderts ins Rumänische übersetzt. Die rumänische Übersetzung erscheint vor der englischen Übersetzung.“
Die zwei Erfindungen des wissenschaftlichen Sozialismus waren die zwei Arten von Gesetzen. Die Gesetze der Entwicklung der Menschheit waren die des historischen Materialismus. Die Gesetze der kapitalistischen Widersprüche wurden vom Mehrwertgesetz veranschaulicht. Lenin führte alles weiter und gründete den Marxismus-Leninismus, in dem der wissenschaftliche Sozialismus eine Wissenschaft über die Menschheit war, deren Wahrheit nur die Partei besaß. Der wissenschaftliche Sozialismus sollte der Gesellschaft zeigen, was sie zu tun hat. Cristina Petrescu meint, der wissenschaftliche Sozialismus wurde gegen Ende des Regimes von Gheorghe Gheorghiu-Dej, der zwischen 1947 und 1965 das Land führte, in Rumänien spürbar.
Während des Regimes von Gheorghe Gheorghiu-Dej erscheint der Begriff ‚wissenschaftlicher Sozialismus‘ nicht in den offiziellen Dokumenten. Der Ursprung dieser Wissenschaft liegt aber in dieser Periode. Beim 3. Kongress der Arbeiterpartei von 1960 beschließt man, die eigenen Schulbücher für Sozialwissenschaften zu veröffentlichen. Diese müssen die Ideen des Marxismus-Leninismus mit der spezifischen Erfahrung unseres Volkes verflechten. Die Erklärung vom April 1964 vermittelt die bekannten Ideen Chruschtschows betreffend die Freiheit jeder Partei, den eigenen Weg im Kommunismus zu gehen. Der wissenschaftliche Sozialismus besitzt allgemein gültige Gesetze, andererseits gibt es in jedem Land konkrete historische Bedingungen, die studiert werden müssen.“
Anfang der 1970er Jahre gab es schon den wissenschaftlichen Sozialismus und der neue Entwicklungsweg der rumänischen Gesellschaft war klar. Ziel war der Kommunismus. Cristina Petrescu erläutert:
Im »Kleinen Philosophie-Wörterbuch« von 1973 sehen wir schon eine Definition des wissenschaftlichen Sozialismus, die die leninistische Idee der drei grundlegenden Teilen des Marxismus-Leninismus übernimmt. Es gibt eine allgemein gültige Wahrheit und allgemein gültige Gesetze und es gibt weiter landesspezifische Bedingungen, die studiert werden müssen. Die Anleitungen des Ceaușescu-Regimes führen zur Entwicklung dieser Wissenschaft. Ceaușescu unterstützt die Veröffentlichung eigener Bücher im Bereich des wissenschaftlichen Sozialismus und führt auch die Benutzung der lokalen Traditionen ein.“
Der wissenschaftliche Sozialismus wurde zum offiziellen Dogma. Der hat alle Bereiche der Bildung, nicht nur die humanistischen, beeinflusst. Bei Weitem war er der meistgehasste Kurs an den Universitäten, obwohl er dem Menschen die Wahrheit über die Welt, in der Vision der marxistischen Neurose, darstellen wollte.
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