Der erste rumänische Staat: Die Befestigungsanlagen von Bukarest
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Bukarest, wie auch andere Städte, die jahrhundertelang unter dem Einfluss des osmanischen Reiches standen, keine Befestigungsanlagen. Danach änderte sich etwas.
Steliu Lambru, 26.09.2016, 20:23
Die Militärkunst und die Kriegs-Philisophie des 19. Jahrhunderts brachten Anlagen mit sich, die Feinde abwehren sollten. So enstand die Idee Bukarest zu befestigen, nachdem die Stadt nach 1859 das politische und Verwaltungs-Zentrum des neu entstandenen rumänischen Staates geworden war. Darüber diskutierten wir mit dem Historiker Sorin Cristescu von der Spiru Haret-Universtät in Bukarest.
Diese Idee entstand schon unter Cuza, der zwischen 1859-1866 regierte. Er wollte Bukarest befestigen, ihm fehlten aber die Mittel. Die Idee wurde dann, nach dem Unabhängigkeitskrieg 1877-78 vom König Karl I übernommen. Damals hatte Rumänien eine sehr enge Beziehung zu Belgien. Deswegen konnte Karl, infolge einer persönlichen Einladung, General Henri Alexis Brialmont, nach Rumänien bringen. Dieser hatte sich im Bau solcher Anlagen spezialisiert und hatte auch in Belgien ähnliche, als sehr gut eingestufte, Befestigungen gebaut. Ein solches Beispiel stellen die Befestigungen der Stadt Anvers dar. Es handelt sich dabei um 18 Forts, die auf einem 72 Kilometer langen Umkreis um die Stadt gebaut wurden. Ziel dieser Befestigungslinie war die Stadt aus der Schusslinie des Feindes fernzuhalten. Deswegen wurden die Forts in einer Entfernung von 14-15 Kilometern von der eigentlichen Stadt gebaut. Zwischen den 18 Forts gab es in Abständen von 2 Kilometern Abwehrbatterien mit 57mm-Kanonen, die im Nahkampf eingesetzt wurden.
Der belgische General bekam den Auftrag die strategischen Bukarester Wehranlagen zu bauen. Sorin Cristescu berichtet:
Die Bauarbeiten fingen 1883 an, offiziell endeten sie 1900, man hat aber noch bis 1910-1911 gebaut. Die Forts wurden aus normalen Ziegelsteinen gebaut. Man hat eine Ausschreibung für 300 Millionen Ziegelsteine organisiert, letztendlich brauchte man aber 500 Millionen Ziegelsteine. Ein Problem stellte die Wahl der Kannonen für die Kuppeln dar. Für den Auftrag haben zwei Unternehmen gekämpft: die französische Firma Creusot und das deutsche Unternehmen Gruson. Die Franzosen haben gewonnen. Sie sagten, die französischen Soldaten könnten sich während einer Attacke in der Kuppel der Abwehranlage aufhalten. Die Deutschen haben einen solchen Ansatz abgelehnt und das war auch gut so. Die Deutschen wussten genau, dass ein Soldat nichts in der Kuppel zu suchen hatte, wenn darauf geschossen wurde.
Bukarest hatte drei Arten von Befestigungsanlagen, die größten entstanden im Norden der Stadt, während der Süden die kleineren Festungen beherbergte. Sorin Cristescu fragten wir nach den unterschiedlichen Kategorien.
In Chitila und Otopeni standen Befestigungsanlagen vom Typ 1, sie waren 463 Meter lang und waren mit zwei 150-Millimeter-Kanonen und zwei 210-Millimeter-Haubitzen ausgestattet. In Mogoșoaia und Jilava waren die Anlagen vom zweiten Typ, mit einer Gesamtlänge von 448 Metern, vier 150-Millimeter-Kanonen şi und drei 210-Millimeter-Haubitzen ausgestattet. Schließlich gab es die dritte Art von Anlagen in Pantelimon, Cernica, Căţelu, Leordeni, Popeşti, Berceni, Broscărei, Măgurele, Bragadiru, Domneşti, Chiajna und Tunari. Das waren gewöhnliche Befestigungsanlagen, 400 Meter lang und sehr dicke Mauern. Wenn man eine derartige Anlage betritt, hat man ein mulmiges Gefühl, die Temperaturen sind sehr niedrig, die Luftfeuchtigkeit ist sehr hoch, es sind günstige Bedingungen für eine Tuberkulose-Erkrankung. Dann gab es noch eine Befestigungsanlage in Ștefăneşti, die von einem langen, 50 Meter breiten und 6,6 Meter tiefen Wassergraben umgeben war. Eine einzigartige Anlage steht noch in Afumaţi. Die großen Anlagen vom Typ 1 und 2 hatten im Inneren einen sogenannten Verschlag, einen runden Bau, der den verteidigenden Soldaten auch nach Besetzung der Hauptanlage den Weiterkampf ermöglichte. Die 18 Verschläge verfügten selbst jeweils über eine 150-Millimeter-Kanone und zwei 210-Millimeter-Haubitzen.“
Wir fragten Sorin Cristescu wieviel Bukarest für den Bau der Forts ausgeben musste und ob die Anlagen überhaupt ihren Zweck erfüllt hätten.
Wer eine entsprechende Festung haben will, muss berücksichtigen, dass am Anfang eines Militärfeldzugs die Artillerie nicht benötigt wird. Die Kanonen und die Munition kommen später zum Einsatz. Und das ist eben hier nicht der Fall gewesen. Als Rumänien in den Ersten Weltkrieg trat, vor der Unterzeichnung des militärischen und politischen Abkommens mit der Entente am 17 August 1916, erwähnen die österreichisch-ungarischen Berichte am 8 August eine Stilllegung der Befestigungsanlage in Bukarest. Die gesamte Artillerie war den Regimenten an der Kriegsfront geschickt worden, wo sie benötigt wurde. Vor diesem Hintergrund ist die Befestigungsanlage Bukarets völlig nutzlos geworden. Die Gesamtkosten für deren Bau werden auf 111 Millionen Gold-Lei geschätzt. Wenn man auch noch berücksichtigt, dass ein Gramm Gold 3,10 Lei kostete, wenn wir überlegen, dass die Brücke in Cernavodă 35 Millionen Lei gekostet hat, dann wird uns klar, dass das Geld besser in die Aufstockung der Artillerie investiert worden wäre.“
Im Zweiten Weltkrieg wurde in den Forts die Flugabwehr installiert – diese sollten Bukarest vor den Angriffen der US-Luftwaffe schützen. Nach Kriegsende konnten die Anlagen ihren Zweck nicht mehr erfüllen und wurden mehrmals umfunktioniert. Der berüchtigte Fort 13 Jilava fungierte als Vollzugsanstalt für politische Gefangene im Kommunismus.