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Das Geschäft der kommunistischen Securitate mit der Familienzusammenführung

Über Jahrzehnte ließ das kommunistische Regime Familien der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben gegen großzügige Bezahlung durch die Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Auch mit Israel machte der Warschauer-Pakt-Staat ein ähnliches Geschäft.

Das Geschäft der kommunistischen Securitate mit der Familienzusammenführung
Das Geschäft der kommunistischen Securitate mit der Familienzusammenführung

, 14.07.2014, 15:45

In den 1950er Jahren lag die rumänische Wirtschaft fast am Boden; durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, die Zahlung von Entschädigungen an die Sowjetuunion und die systematische Plünderung war der rumänische Staat fast nicht mehr fähig, den Mindestlebensstandard für die Bürger zu garantieren. Unter diesen Umständen überlegte sich die Securitate, der bewaffnete Arm der politischen Polizei, die auch wirtschaftliche Funktionen übernommen hatte, eine produktive Lösung — den Verkauf von Ausreisewilligen gegen harten Devisen. Über Jahrzehnte lie‎ß das kommunistische Regime Familien der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben gegen gro‎ßzügige Bezahlung durch die Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Auch mit Israel machte der Warschauer-Pakt-Staat dieses Geschäft, wenn es um die Ausreise rumänischer Juden ging. In den 1970er und 1980er Jahren wurde der Freikauf“ zur wichtigen Bedingung der endgültigen Ausreise aus Rumänien — auch die rumänischstämmigen Emigranten konnten von ihren im Ausland lebenden Verwandten freigekauft werden.



Anfang Mai veranstaltete das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Bukarest eine Fachkonferenz mit dem Titel Die geheimen Abkommen — Geschichte der unterstützten Emigration der Rumäniendeutschen“. Bei der sehr gut besuchten Konferenz konnten sich die Teilnehmer ein lebhaftes Bild über einen sehr interessanten und kritisch diskutierten Teil der deutsch-rumänischen Geschichte machen. Die Geschichte des Freikaufs Deutscher aus Rumänien während des kommunistischen Regimes durch die Bundesregierung wurde unter anderen von dem leitenden Unterhändler, Dr. Heinz Günther Hüsch, und von der Leiterin der Abteilung Investigationen im Nationalrat für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs, Dr. Germina Nagâţ, dargestellt und diskutiert.



Wenn es damals für die Bundesrepublik die einzige Möglichkeit war, die Rumäniendeutschen aus den Fängen des kommunistischen Regimes zu befreien (so Dr. Hüsch), war es für die rumänische Diktatur nur eine Beschaffungsma‎ßnahme für ausländische Devisen und Güter, ohne jegliche ethnische Konnotation (so Dr. Nagâţ). Die Securitate hatte von Anfang an das Geschäft mit der Familienzusammenführung“ an sich gezogen. Vorbild der deutschen Familienzusammenführung“ mit ihren Kategorien war der vor ganz anderem historischen Hintergrund, aber unter ähnlichen Umständen sich vollziehende Ausreisehandel mit jüdischen Bürgern Rumäniens. Dr. Germina Nagâţ ist Leiterin der Abteilung Investigationen im Nationalrat für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs (CNSAS) in Bukarest. Sie erzählte, wie die kommunistischen Behörden angefangen hatten, rumänische Staatsbürger jüdischer Abstammung an ihre im Ausland lebenden Familienangehörigen regelrecht zu verkaufen:



Eine Securitate-Akte, nämlich die Akte Nr. 2871 vom Auslandsnachrichtendienst vermerkt eine Episode, die wir als Startpunkt nehmen können, um zu verstehen, wie der Handel der Securitate mit rumänischen Staatsangehörigen angefangen hatte. Im Mai 1958 kam eine Nachricht vom rumänischen Securitate-Büro in London, man habe einen Vertrag über das Mieten eines Flugzeugs abgeschlossen. Mit besagtem Flugzeug sollten 11 gro‎ße Zuchtschweine der Rasse Landrace nach Rumänien geflogen werden, die durch einen britischen Vermittler namens Henry Jakober, Deckname Kraus“ gekauft worden waren. Dieser Henry Jakober Kraus“ war der Leiter der sog. operativen Kombination“, wodurch die Securitate hunderttausenden rumänischen Staatsangehörigen, meistens jüdischer Abstammung, die endgültige Ausreise aus Rumänien gegen Bezahlung erlaubte. Jakober, der das Rumänien der Zwischenkriegszeit sehr gut kannte und seit den 1930er Jahren nach Gro‎ßbritannien emigriert war, war damals Direktor der Firma Oil Cakes & Doyle Seeds“ mit Sitz in London. Er sprach Rumänisch und hatte ausgezeichnete Beziehungen zum Landwirtschaftsministerium, dem Handelsministerium und zahlreichen Unternehmen der damaligen Rumänischen Volksrepublik. Bei Gesprächen mit seinen Partnern aus Bukarest, die meisten von ihnen verdeckte Securitate-Offiziere, behauptete er wiederholt, er sei ein gro‎ßer Bewunderer der politischen Entwicklungen im kommunistischen Rumänien. Für den Anfang sagte Herr Jakober, er könne nicht nur lebendige Tiere verschaffen, sondern auch genetisches Material aus Dänemark. Im Mai 1958 wurden also die ersten 11 Landrace-Schweine verdeckt nach Rumänien geflogen.“




Von den geheimen Viehtransporten zu den geheimen Menschentransporten war nur ein kleiner Schritt — der westliche Geschäftsmann und die kommunistische Securitate verstanden sich ausgezeichnet und waren äu‎ßerst einfallsreich. Dr. Germina Nagâţ dazu:



Ein Jahr nach dieser ersten gelungenen Transaktion, im Mai 1959, wird in einem Bericht des Securitate-Dienstes Nr. 1 vermerkt, der britische Parlamentsabgeordnete John Platz habe bei den rumänischen Behörden interveniert, um die Ausreise einer jüdischen Familie aus Rumänien zu ermöglichen. Dabei hätte der Handelspartner Jakober behauptet, er spräche im Namen des britischen Parlamentariers; von der rumänischen Seite hätte man geantwortet, für eine solche Angelegenheit sei das Handelsministerium nicht zuständig, aber man werde den Gesuch an die Zuständigen weiter leiten. Im September 1959 reichte der rumänische Staatsbürger jüdischer Abstammung Beri Bernard Marcu ein Gesuch beim Innenministerium ein; dabei bat er um die Freilassung seines Vaters aus dem Gefängnis — 1954 war der Vater wegen Handelns mit Devisen zu einer Freiheitsstrafe mit Zwangsarbeit verurteilt worden. In seinem Gesuch bot Herr Bernard Beri Marcu dem rumänischen Staat eine Entschädigung von 10.000 US-Dollar, und präzisierte, das Geld käme von den im Ausland lebenden Verwandten des Gefangenen, die nicht nur seine Freilassung, sondern auch das Ausstellen eines Visums für das Aussiedeln nach Israel wünschen. Der Vorschlag Bernard Beri Marcus wurde angenommen, eine Bank wurde genannt, der Empfänger sollte den Betrag in rumänischen Lei erhalten. Dies scheint das erste Ausreisevisum zu sein, das von den rumänischen Behörden mit Genehmigung von höchster Stelle gegen Bezahlung ausgestellt wurde. Besonders wichtig ist dabei, dass es nicht nur um einen Reisepass, sondern auch um eine Freilassung aus dem Gefängnis handelte.“




Der Freikauf von Menschen war ein Geschäft mit gro‎ßem Potential, und die Regierung in Bukarest konnte sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen. Dr. Germina Nagâţ erläutert weiter:



Nach weiteren gelungenen Transaktionen und Importen von Tieren (Schweine, Rinder, Geflügel) oder anderen Waren notierte die Securitate 1960, man habe bei Gesprächen mit Herrn Jakober in London Folgendes festgelegt: Nach der Ankunft des ersten Rinder- oder Schaftransports in Rumänien werde das Ausreisevisum für Mentzer Marcu, Vater von Beri Bernard Marcu, ausgestellt, weil Jakober das Geld erst nach der Ausreise von Mentzer Marcu erhalten werde. Nach Lieferung der Corrierdale-Schafe werde auch der Familie von Bernard Beri Marcu die Ausreise genehmigt, und Bernard Beri Marcu selbst werde erst nach Lieferung der Zebu-Rinder ausreisen dürfen. Die Dokumente zeigen harte Geschäftsleute am Werk, es wird Tierkopf gegen Menschenkopf verhandelt. Die Verhandlungen um Rinder, Schafe und Schweine liefen gleichzeitig mit den Verhandlungen um den Freikauf von Menschen und wurden in denselben Dokumenten eingetragen. Ab 1958 wurde die Ausreise von jüdischen Familien nach Eintreffen im Land von Kühen, Schafen und Schweinen, später auch von Hunden der Rasse Collie, Futter, Melkmaschinen oder Apparatur zum Herstellen von Medikamenten genehmigt. Ab 1961 jedoch wurden die Kombinationen gegen Barzahlungen“ vorgezogen. Die rumänischen Behörden waren an speziellen Waren und an Bargeld interessiert und stellten ohne zu zögern die gewünschten Ausreisevisa aus, (ich zitiere) zum Aufrechterhalten der normalen Beziehungen zu Jakober und zum Aufnehmen von eventuellen neuen Kombinationen.“




Für Geldsummen wurden Leute aus dem Gefängnis entlassen, 1961 auch Rumäniendeutsche, zu denen Personen gehörten, die wegen sog. Vaterlandsverrats“ verurteilt worden waren. Dr. Germina Nagâţ zitierte aus einem im November 1962 an die Securitate gesandten langen Bericht über die Bemühungen der damaligen Landsmannschaftschefs, den Freikauf von Sachsen und Schwaben via Jakober bei den deutschen Behörden zu bewirken. Diese winkten jedoch ab — und fanden eine andere Lösung.



In den fünfziger Jahren begann auch im Falle der deutschen Minderheiten die Ausstellung von Ausreisevisa gegen entsprechende Bezahlung. Eine Stuttgarter Rechtsschutzstelle der evangelischen Kirche holte inhaftierte Priester und politische Gefangene in Osteuropa aus dem Gefängnis und organisierte ihre Ausreise in den Westen. Die Kosten trugen meist die Angehörigen — teilweise Summen im fünfstelligen Bereich.



Nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland 1967 erhielt dann ein Rechtsanwalt, Dr. Heinz Günther Hüsch, durch das damalige Ministerium für Vertriebene und Flüchtlinge den Auftrag, zu längerfristigen Vereinbarungen mit höheren Ausreisezahlen zu gelangen. Nach Eingliederung dieses Ministeriums in das Innenressort bildeten dessen Minister und dessen Bürokratie das verschwiegene Gerüst, dessen Rückhalt Dr. Hüschs ungewöhnliche Arbeit ermöglichte. Im Zeitraum von 1968 bis 1989 war Hüsch Deutschlands Verhandlungsführer in der Geheimsache Kanal über den Freikauf von 226.654 Rumäniendeutschen. Im Zuge dessen hatte er unter dem ihm von der Securitate gegebenen Decknamen Eduard mehr als 200 offizielle und zwischen 600 und 1000 inoffizielle Treffen mit Vertretern der rumänischen Regierung. Seine Mission endete erst mit dem Sturz des Ceaușescu-Regimes während der Rumänischen Revolution 1989.







In der folgenden, knapp 15-minütigen Originalton-Aufnahme zum Nachhören erinnert sich Dr. Heinz Günther Hüsch an die Verhandlungen: src=/files/Panoramice/Pro

Foto: www.kas.de/rumaenien


(Zum Vergrö‎ßern anklicken.)




Dr. Hüschs Auftrag blieb als Konsens der politischen Parteien und der Regierungen bis im Herbst 1989 bestehen. Bundeskanzler Helmut Schmidt konnte bei seinem Besuch in Bukarest im Januar 1978 für den Zeitraum von fünf Jahren die Ausreise von jährlich 11.000 Deutschen aus Rumänien erreichen. Mitte der 1980er Jahre stieg die Aussiedlerzahl auf 16.500, die höchste Aussiedlerzahl vor der Wende wurde 1989 mit 23.387 Aussiedlern erreicht. Mit dem Anstieg der Aussiedlerzahl wuchsen auch die Prokopfpreise, die sich im Durchschnitt zwischen 6.000 und 8.000 DM bewegten. Ein Abbruch der Verhandlungen sei von deutscher Seite mehrfach erwogen worden, weil man wiederholt über das Verhalten der rumänischen Seite, die bis zu Erpressungsversuchen ging, empört war, sagte Dr. Hüsch.



Durchgesetzt hat sich jedoch letztlich bei allen Parteien die Auffassung, man solle das Mögliche tun, um den Rumäniendeutschen die Ausreise aus dem diktatorischen Staat, aus Unfreiheit und wirtschaftlicher Not zu ermöglichen. Es sei eine humanitäre Aktion gewesen, gekauft wurde Freiheit, das entspreche der Fürsorgepflicht, die Deutsche für Deutsche haben, so der langjährige Verhandlungsführer. Er habe die grö‎ßte Aktion dieser Art in der europäischen Nachkriegsgeschichte aus Überzeugung vermittelt, versicherte Dr. Hüsch. Die Gesamtzahl der deutschstämmigen Aussiedler, die während des Kommunismus Rumänien gegen Bezahlung verlassen haben, konnte nicht genau ermittelt werden — es dürften zwischen 250.000 und 400.000 Personen gewesen sein.



Deutsch von Daniela Cîrjan




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