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Bukarester Frühlingsviertel: Bonzenghetto seit den 1960ern

Cartierul Primăverii (zu Deutsch in etwa Frühlingsviertel“) ist ein Bezirk im Norden der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Das Viertel ist eines der teuersten der Stadt; dort wohnen viele Politiker und lokale Prominente.

Bukarester Frühlingsviertel: Bonzenghetto seit den 1960ern
Bukarester Frühlingsviertel: Bonzenghetto seit den 1960ern

, 18.11.2019, 17:30

Die Häuser des Frühlingsviertels im Norden der Hauptstadt Bukarest wurden in den 1930er Jahren nach Entwürfen des Architekten Octav Doicescu gebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen die meisten Mitglieder des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Rumäniens in das Gebiet mit den grö‎ßten Häusern am Primăverii-Boulevard (dt. Frühlingsboulevard). Diese Häuser, die im Hintergrund gro‎ße Gärten hatten, waren von hohen Mauern umgeben und wurden von der damaligen rumänischen Miliz schwer bewacht.



Das Frühlingsviertel hat aber auch eine etwas ältere Geschichte, und zwar seit der Zwischenkriegszeit bis vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Viertel wurde von der Historikerin Oana Marinache als Parzellierung Bonaparte“ oder Parzellierung Ferdinand I.“ bezeichnet, nach dem damaligen Namen des Bukarester Bezirks, wo es gebaut wurde, in der Verlängerung der Bonaparte-Stra‎ße und auch in Erinnerung an Ferdinand I., den König Gro‎ßrumäniens. Oana Marinache:



Die Geschichte des Frühlingsviertels beginnt mit zwei Investoren belgischer Herkunft, zwei Herren, die im Vorstand der Stra‎ßenbahngesellschaft sa‎ßen. 1913 beschlossen die zwei Entscheidungsträger, das Modell, das Alexandru Filipescu bei der Parzellierung seines Anwesens verwendet hatte, zu kopieren und ein viel grö‎ßeres Projekt, auf einem viel grö‎ßeren Grundstück zu starten. Der Name »Parzellierung Bonaparte« oder »Park Bonaparte« steht in Verbindung mit dem ehemaligen Boulevard Bonaparte, heute Boulevard Iancu de Hunedoara. Die beiden Herren hatten genug Geld zu Verfügung, aber der Kontext war ungünstig. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die Entwicklung des Areals gestoppt, es wurden nur bestimmte Bauarbeiten durchgeführt. Nach dem Ersten Weltkrieg, im Jahr 1921, als die Parzellierung vom Verband der Assoziierten Ingenieure wieder aufgenommen wurde, musste man die Bedingungen für Infrastruktur, Strom und Kanalisation neu verhandeln. Alles begann mit einer privaten Initiative, dann wurde das Unternehmen verkauft und vom Verband der Assoziierten Ingenieure übernommen. Bis 1925 wurde nur in Infrastruktur investiert.“




In der Zwischenkriegszeit boomte das Gebiet. Die Häuser wurden hauptsächlich im neoromanischen Stil gebaut, aber auch im eklektischen, maurischen und toskanisch-florentinischen mediterranen Stil. In Fotografien des renommierten Fotografen Willy Prager sieht man, dass in den 1940er Jahren viele Häuser bereits gebaut worden waren. Andere Häuser waren neu, noch nicht von den Eigentümern bewohnt. Das Viertel wurde in einem Erholungsgebiet, einem grünen Gebiet mit Seen, eingerichtet, wo die Bukarester Picknicks machten. Dort soll es auch eine Thermalquelle gegeben haben. Parallel zum Frühlingsviertel wurden auch die benachbarten Stadtteile Dorobanţi und Pangrati gebaut, wo später mehrere ausländische Botschaften eingerichtet wurden und das Gebäude des öffentlich-rechtlichen Fernsehens errichtet wurde.



Nach 1945, am Ende des Zweiten Weltkriegs und nach der Etablierung des kommunistischen Regimes, änderte sich die Bevölkerung des Frühlingsviertels. Die Häuser wurden von den neuen Eliten bewohnt. Ab den 1960er Jahren begann die Nomenklatura mit dem Bau gro‎ßer Villen mit vielen Zimmern, Parks und Schwimmbädern. Zum Beispiel lie‎ß der berüchtigte Securitate-Chef Alexandru Drăghici eine Villa am Ufer des Herăstrău-Sees bauen, die, nachdem Drăghici bei den Parteiführern in Ungnade gefallen war, später zum Primăverii-Palast umgebaut und für Staatsoberhäupter genutzt wurde. Nicolae Ceauşescu hatte neben dem Primăverii-Palast noch mehrere Villen im Frühlingsviertel, darunter eine für seine Sicherheitskräfte und eine für Hausangestellte. Der Historiker und Kunstkritiker Cosmin Năsui spricht über die neuen prägenden Elemente des Stadtteils:



Das Frühlingsviertel war ein relativ kompakter Wohnraum mit gewissen Merkmalen: Erstens gab es dort keine Kirche. Der Atheismus ersetzte die Religion bei den Kommunisten. Dann gab es keine Lebensmittelgeschäfte und keine Märkte, denn die Lieferung von Agrarerzeugnissen und anderen Lebensmitteln erfolgte durch die Ernennung eines Vertreters aus jedem dieser Häuser, der eine wöchentliche Liste erstellte. Gemä‎ß dieser Liste wurden Lebensmittel aus dem Institut für öffentliche Lebensmittel und Chemie geliefert, das sich in der Nähe, in der Warschauer Stra‎ße befand. Ein weiteres bestimmendes Element war, dass das soziale Leben auf ein Minimum reduziert wurde — es gab dort keine öffentlichen Einrichtungen, keine Restaurants oder Cafés. Es gibt auch Anekdoten darüber, wie weit [der notorische Trinker] Andruţa Ceauşescu, der Vater von Nicolae Ceauşescu, fahren musste, um etwas zu trinken. In mehreren Quellen steht, dass Andruţa Ceauşescu, der gern einen über den Durst trank, bis zum Dorobanţi-Viertel fahren musste, um eine Kneipe zu finden. Durch seinen Vater erfuhr Nicolae Ceauşescu, was die Leute in der Kneipe diskutierten.“




Nach 1945 änderte sich das Frühlingsviertel grundlegend, Geheimnistuerei und ständiger Verdacht traten an die Stelle der Transparenz. An den Eingängen zum Frühlingsviertel gab es Kontrollstellen mit Milizionären, die nur den Autos der Vierteleinwohner die Zufahrt erlaubten. Den Fu‎ßgängern wurde geraten, die Gegend zu umgehen. Cosmin Năsui:



Nach 1944 haben wir fast keine Fotoaufnahmen mehr. Wir haben nur noch Fotos vom Stalin-Platz, wo die Statue von Stalin stand. Das ist der heutige Platz Charles de Gaulle, an der Kreuzung der Boulevards Aviatorilor (dt. Fliegerboulevard) und Primăverii (dt. Frühlingsboulevard), wo das Frühlingsviertel begann. Hier wurden die Militärparaden abgehalten. Die letzten Fotos sind von Willy Prager, und in den Archiven der Securitate befinden sich noch einige Fotoaufnahmen. Es gibt die Fotodatei »Die Route«, der Name kommt von der Route, die Nicolae Ceauşescu vom Frühlingspalast aus in die Stadt fuhr. Man musste den Schutz Nicolae Ceauşescus durch die Überwachung der Stra‎ßen und der Bewohner sichern. Die Fotos sind recht einfach, sie zeigen uns den Primăverii-Boulevard und die gesamte Route, die Ceauşescu fuhr. Nach der Prüfung der Dossiers »Zone 1« und »Zone 2«, in denen alle Einwohner identifiziert werden, sehen wir, dass die meisten Häuser des Frühlingsviertels Mietwohnungen für Parteikader waren. Verwaltet wurden diese Häuser vom Staat oder von der Kommunistischen Partei.“




Nach 1989 gab es weitere Veränderungen — sowohl im Stra‎ßenbild als auch in der sozialen Zusammensetzung der Bewohner des Frühlingsviertels. Als Hauseigentümer findet man heute Namen von postkommunistischen Neureichen, Promis aus allen Sparten sowie Politikern. Nicht wenige der alten Häuser wurden abgerissen, stattdessen wurden Gebäude in moderner, allerdings nicht immer anspruchsvoller Architektur errichtet, inzwischen gibt es hier auch mehrere Cafés und Restaurants sowie Arztpraxen und Schönheitssalons. Ceauşescus Frühlingspalast ist heute ein Museum und der Hof des Frühlingspalastes wurde an eine Auslandsvertretung verkauft.

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