Baustellen als Propagandawerkzeuge des Kommunismus
Im Kommunismus waren Baustellen ein starkes Symbol für die Aufbruchstimmung, die Rumänien nach Vorstellung der Machthaber im neuen Zeitalter prägen sollte. Doch hinter den Zäunen waren die Zustände alles andere als idyllisch.
Steliu Lambru, 09.10.2017, 17:33
Wie alle anderen Aspekte des gesellschaftlichen Lebens war die Arbeit im Kommunismus hochpolitisiert. Pharaonenhafte Baustellen sollten signalisieren, dass das Regime Großes vorhat. Nach dem Krieg forcierten die Machthaber die Industrialisierung durch große Infrastrukturprojekte — riesige Fabriken, gewaltige Staudämme, Kraftwerke, Straßen und Eisenbahntrassen wurden gebaut. Der Donau-Schwarzmeer-Kanal, das Haus des Volkes und das umliegende Verwaltungsviertel oder die Gebirgsstraße durch das zerklüftete Fogarascher Gebirge gehörten zu den Vorzeigeprojekten. Hinter der Propaganda mit gut bezahlten Bauarbeitern, die eine Wohnung im nagelneuen Block zugeteilt bekamen, steckte aber eine düstere Wahrheit: Baustellen waren nicht nur, aber zu weiten Teilen auch ein Ort der Repression. Denn um genug Bauarbeiter zu haben, spannte das Regime Kritiker, Häftlinge oder Soldaten ein. Und dass die Produktivität abgrundschlecht war, dass überall verschwendet und gestohlen wurde, was nicht niet- und nagelfest war, wurde auch verschwiegen.
Der 1927 geborene Historiker Dinu Giurescu arbeitete in seinen jungen Jahren bei der Sovromconstrucţia, einem rumänisch-sowjetischen Mischunternehmen für Straßenbau, und besuchte dafür technische, aber auch politische Schulungen — zum Beispiel in Marxismus. Vor 15 Jahren erinnerte er sich in einem Interview mit dem Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte bei Radio Rumänien, wie er damals seine Arbeit erlebte:
Ich war als Techniker den Arbeitermannschaften zugeteilt und musste ihre Leistung und darauf basierend ihre Bezahlung berechnen. Dieser Beruf wurde damals Normierer genannt. Im dritten und vierten Jahr an der Uni, zwischen 1948-49 also, wollte ich Lehrer werden und hatte keine Ahnung, wo ich landen würde. Aber dann habe ich mich eben abgefunden, weil ich keine ‚gesunde‘ Personalakte hatte, wie es damals hieß. 1949 wurde ich nach der Universität nicht zur Staatsprüfung zugelassen“, erzählt Giurescu.
Der junge Intellektuelle fand sich plötzlich in einem Milieu wieder, mit dem er nicht unbedingt gut vertraut war, in dem er aber auch auf Menschen wie er selbst stieß: Die Leute auf der Baustelle haben mich gut aufgenommen. Und damit meine ich nicht die direkten Kollegen, die Büroarbeiten verrichteten. Es war ein Dschungel, alle sozial-politisch Geächteten waren da. Entlassene Offiziere, frühere Rechtsanwälte oder Magistraten oder Buchhalter, die ja irgendwo arbeiten mussten und nur auf der Baustelle etwas gefunden hatten. Junge und alte Menschen“, sagt der Historiker. Seine Vorgesetzten waren bedacht, die Bauarbeiter nicht zu verprellen und wiesen Giurescu an, bei der Bezahlung großzügig zu sein — wir können es uns nicht leisten, sie zu verlieren, sagten sie. Denn es bestand die echte Gefahr, dass unzufriedene Arbeiter in ihre Dörfer zurückkehrten. Solche Personalfragen spielten auf anderen Baustellen allerdings keine Rolle — zum Beispiel beim Bau des Flughafens von Bacău, der als wichtiges militärisches Ziel der Geheimhaltung unterlag:
Alles war stärker überwacht, weil es eine militärische Baustelle war und wir im Sommer auch mit Soldaten aus speziellen Baueinheiten arbeiteten. Es waren junge Menschen, die der Uniform nicht würdig galten und speziellen Einheiten zugeteilt wurden. Sie erschienen in blau-lila oder blau-grauer Montur. Arbeitsbataillone eben. Während des Wehrdienstes arbeiteten sie einfach zwei oder drei Jahre auf dem Bau. Sie hatten in der Regel ihre eigenen Normierer, aber auf unserer Baustelle war das nur meine Aufgabe. Ich war mit ihrem Feldwebel befreundet und machte ihnen das Leben leichter, denn sie mussten auch ein hohes Pensum erfüllen“, erinnert sich Giurescu.
Die Baustellen waren perfekt mit Nachrichten und Propaganda versorgt. Stalins Tod wurde so auch auf dem Bau als kollektives Erlebnis wahrgenommen, berichtet der heutige Historiker: Sie haben uns in die Kantine gerufen, die auch als Sitzungsraum diente, und in einem feierlichen Ton erfolgte die Ansage, dass der Genosse J.W. Stalin, das größte Genie der Menschheit, verstorben sei. Dann lasen sie einen Leitartikel aus der Parteizeitung »Scânteia« vor und 2-3 Leute aus der Belegschaft meldeten sich auch zu Wort. Wir hatten schon davon gehört und setzten eine gespielt traurige Miene auf. Mein Kollege Grigore Ioan sagte mir dann unter vier Augen: ‚Der Henker ist tot, mal sehen, was noch kommt.‘“, berichtet der Zeitzeuge.
Drei-vier Tage später erzählte ihm ein anderer Normierer auf dem Bahnhof in Bukarest, dass auch Klement Gottwald in der ČSSR gestorben war. Vielleicht sterben ja auch mehr von ihnen, schmunzelte er Giurescu zu. Seine Hoffnung sollte enttäuscht werden — das Regime stürzte erst nach fast vier Jahrzehnten.