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100 Jahre seit der Bolschewistischen Revolution: ungebrochene Faszination für eine bessere Welt?

Die Große Sozialistische Oktoberrevolution, so wie die bolschewistische Revolution von 1917 genannt wurde, ist eines der wichtigsten Ereignisse des 20. Jh., wenn nicht das wichtigste überhaupt.

100 Jahre seit der Bolschewistischen Revolution: ungebrochene Faszination für eine bessere Welt?
100 Jahre seit der Bolschewistischen Revolution: ungebrochene Faszination für eine bessere Welt?

, 06.11.2017, 17:30

In gewisser Weise vorausahnend, betitelte der bolschewistische amerikanische Journalist John Reed sein Buch über die von Lenin geführte Revolution Zehn Tage, die die Welt erschüttert haben“, ein Titel, der zu einer harten Realität wurde. Auch Rumänien wurde nach 1945 durch die Umsetzung des kommunistischen Gedankenguts von Grund auf umgekrempelt. Gemeinsam mit dem Historiker und Politologen Ioan Stanomir haben wir versucht, zu erfahren, welche Bedeutung der Erste Weltkrieg gehabt hat, der die gro‎ßen Veränderungen des 20. Jh. ausgelöst hat.



Der Bedeutung nach ist es das erste wichtige Ereignis des 20. Jh., denn es hat eine Ereigniskette ausgelöst, die noch nie dagewesene Tragödien in der modernen Welt verursacht hat. Dem Ersten Weltkrieg entspringt die bolschewistische Revolution und aus der bolschewistischen Revolution entspring die Art von Reaktion, die zur Entstehung des Nazismus führt. Es ist ein Ereigniskontinuum, das in seinem Kern den Ersten Weltkrieg hat. Für alle verwickelten Länder hat der Erste Weltkrieg einen Wendepunkt sowohl für die Sieger als auch für die Verlierer dargestellt. Russland befand sich, vergessen wir nicht, in einer paradoxalen Lage: Es war weder ein Sieger noch ein Verlierer. Es befand sich au‎ßerhalb des internationalen Systems. Von hier entsteht auch das Gefühl der Mittäterschaft gegenüber Deutschland, das von dem Rapallo-Abkommen zu dem Deutsch-Sowjetischen Pakt übergeht.“




Ein Regime wie der Kommunismus wäre aber ohne eine Ideologie unmöglich. Ioan Stanomir zur Entstehung dieser Ideologie:



Der Kommunismus hatte die Ideologie des Marxismus-Leninismus zugrunde, eine radikalisierte Form der Ideenlehre von Marx, gekreuzt mit dem leninistischen Stamm der Revolutionspartei. Hinzu kommen die lokalen Eigenarten wie Maoismus, Castrimus, Polpotismus. Es gibt sehr viele Variationen zu dem betreffenden Thema. Der Marxismus-Leninismus wurde auf zwei Axiomen aufgebaut: der Klassenkampf und die Politik, verstanden als Gewaltkunst, der Exterminierung des Gegners. Die beiden sind ineinander verflochten. Er hatte, um aus den Klassikern zu zitieren, ein Gedankengeflecht als Suprastruktur: Sozialgleichheit, Justiz, Bruderschaft, Ruhe, Seligkeit. Aber diese Suprastruktur hatte eine Ansatzweise zugrunde, die den Kompromiss, die Akzeptierung des Gegners als Gegner und nicht als Feind aus dem Weg räumte und die Verfolgung utopischer, prometheischer Ziele forderte. Die prometheischen Unternehmungen, sei es Rasseneugenik, sei es Sozialeugenik, können nur Katastrophen verursachen, denn diese gehen von dem Grundsatz einer perfekten Menschheit und eines imperfekten Segments aus, das ausgeschieden werden muss. Der Kommunismus betrachtete die Massen, die Arbeiter als diese perfekte Menschheit an und diejenigen, die sich ihm widersetzten, als den Klassenfeind, als imperfekte Menschheit, die ausgeschieden werden musste. Im Erbgut dieser Ideologie befand sich die Vorliebe zur Gewalt. Beweis dafür steht, dass alle Parteien, die Marxismus-Leninismus zugrunde hatten, totalitär waren.“




Dennoch haben viele behauptet, dass das sowjetische Regime nur eine falsche Umsetzung der leuchtenden Grundsätze des Kommunismus war. Der Politikwissenschaftler Ioan Stanomir widerspricht dieser These:



Der Marxismus kann nur zu einer unterdrückenden Gesellschaft führen, denn der pure Marxismus, so wie dieser bereits im Manifest der Kommunistischen Partei dargestellt wird, ist eine Ideologie des Konflikts. Der revisionistische Marxismus ist etwas ganz anderes, dieser geht von der Möglichkeit der Vereinbarung der Interessen, nicht durch Revolution, sondern durch die Abstimmung aus. Und das ist es, was zur Sozialdemokratie führt. Der andere Weg führt zu Stalin über Lenin. Überhaupt nicht zufällig hat der Marxismus-Leninismus als Praxiseinheit unmittelbar zum Stalinismus geführt. Stalin war ein Revolutionär und die revisionistischen Historiker hatten Schwierigkeiten, diese Beziehung zwischen Lenin, dem guten Menschen, und Stalin, dem schlechten Menschen, zu erläutern. Au‎ßerdem hat man versucht, zwischen einem guten und einem schlechten Stalin zu unterscheiden. Es gibt keinen guten Lenin, es gibt nur Lenin, den Gründer eines totalitären Regimes. Und Stalin ist weder gut noch schlecht, Stalin ist ein Leninist. Wenn wir diese Urteile akzeptieren, könnten wir ein klareres Verständnis der Gesetzlichkeiten haben, um einen marxistischen Ausdruck zu verwenden.“




Rumänien hatte das historische Pech, 45 Jahre lang die Erfahrung des Kommunismus zu machen. Was hat der rumänische Kommunismus bedeutet? Ioan Stanomir:



Der direkte Impakt des Jahres 1917 war das Jahr 1921, das Jahr der Spaltung der sozialistischen Bewegung. Die Komintern war in Rumänien besonders aktiv und nutzte die Unfähigkeiten des Bukarester Regimes aus. Somit schaffte sie es, einen Teil der nationalen Minderheiten, eigentlich eine Minderheit in der Minderheit für den Kommunismus zu begeistern. Ich denke, dass einer der Mythen, die wir bekämpfen müssen, jener des Judäo-Bolschewismus ist. Es ist ein Gründungsmythos der Rechtsbewegungen, der auch heute im Gedächtnis einiger Rumänen bleibt, die behaupten, der Kommunismus sei von den Juden eingeführt und durchgesetzt worden, was vollkommen falsch ist. Die rumänische kommunistische Erfahrung ist der Aufprall zwischen Repression und Kollaboration, zwischen der Repression der ersten 15-20 Jahre und dem Sozialpakt zwischen dem Kommunismus und der rumänischen Gesellschaft unter Nicolae Ceauşescu. Somit wurde das gewalzt, was der Schriftsteller Vladimir Tismăneanu Nationalstalinismus bezeichnet hat. Der Nationalstalinismus war eine perverse Idee, die wir auch nach dem Tod des Securitate-Generals Iulian Vlad zu hören bekamen, laut der es zwei Arten von Geheimpolizei Securitate gegeben habe, jene des KP-Generalsekretärs Dej, die mit fremden Elementen durchsetzt gewesen sei, das hei‎ßt mit Juden, und die patriotische, die das Land verteidigt habe. In Wirklichkeit hat es eine einzige Securitate gegeben, die politische Polizei eines illegitimen und kriminellen Regimes.“




100 Jahre nach seiner Entstehung als politisches Regime ist die Einstellung der Nachfolgegenerationen gegenüber dem Kommunismus verwirrender denn je. Diese pendelt zwischen Nostalgie, Anarchie und Autoritarismus und dem Kampf gegen Kapitalismus in neuen Formen. Die Faszination für eine bessere Welt ist allerdings erhalten geblieben.

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