„Tagebuch der Familie Escu“: Geschichte aus Einzelbiografien rekonstruiert
Mit Hilfe der Geschichten der Urgroßeltern, Großeltern, Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen bewegt sich der Dokumentarfilm von den kleinen Einzelgeschichten zu den großen Ereignissen der Geschichte, die die Rumänen seit 1918 erlebt haben.
Corina Sabău, 22.02.2020, 17:30
Şerban Georgescus Dokumentarfilm Tagebuch der Familie Escu“ (Escu steht im Rumänischen in etwa für Otto Normalverbraucher) zeichnet die Geschichte Rumäniens als Ganzes nach, erzählt von den Stimmen einer Familie. Es ist eine Reise durch die Zeit, in der die Familie zu einer echten Brücke wird, die uns sowohl zusammenbringen als auch trennen kann. Der Regisseur wirft einen Blick auf diese große Familie von Rumänen, unterstützt von der Schriftstellerin Ioana Pârvulescu, der feministischen Aktivistin Mihaela Miroiu, dem Schriftsteller und Politologen Stelian Tănase, dem Publizisten und Diplomaten Theodor Paleologu und dem Soziologen Vintilă Mihăilescu, und greift auf die persönlichen Archive von Dutzenden von Menschen zurück.
Bisher wurde die 2018 entstandene Produktion offiziell für eine Reihe von nationalen Filmfestivals ausgewählt, wie z.B. das Transylvania International Film Festival TIFF, das European Film Festival, das Filmfestival in Râşnov (Rosenau) und Arkadia Shortfest. Die Dokumentation erfreute sich positiver Rezensionen und wurde als das beste kulturelle Produkt, das für die Hundertjahrfeier gemacht wurde“ bezeichnet. Der Filmemacher Şerban Georgescu:
Als ich den Vorschlag erhielt, einen Film für die Hundertjahrfeier zu machen, habe ich sehr gezögert. Meiner Meinung nach wäre es nicht sinnvoll gewesen, einen weiteren Film zu machen, der die rumänische Geschichte aus akademischer Sicht erzählt. Solche Filme gab es und wird es wahrscheinlich auch künftig geben. Und sie sind sicherlich willkommen. Als ich darüber nachdachte, wie ich mich dem Thema nähern könnte, dachte ich schließlich, dass ich die Geschichte einer einzigen Familie erzählen könnte. Ich gab ihr den allgemeinen Namen –escu und der Film erzählt die Geschichte dieser Familie, die ein Jahrhundert rumänischer Geschichte durchläuft. Und um es mir noch leichter zu machen, beschloss ich, mit der Geschichte meiner eigenen Familie zu beginnen. Das war, um mir den Vorwurf zu ersparen, dass ich bestimmte Ereignisse ausgelassen hätte. Der subjektive Blick half mir, einen Weg durch ein Jahrhundert voller Ereignisse zu finden und innerhalb der Grenzen von anderthalb Stunden Film zu bleiben.“
Anhand der Geschichten, die von Urgroßeltern, Großeltern, Tanten, Onkel, Cousins und Schwäger erzählt werden, ist Das Tagebuch der Familie Escu“ ein Rückblick auf große und kleine Ereignisse im Leben der Rumänen nach der Großen Vereinigung. Şerban Georgescu über seine Vision von den Rumänen als Familie:
Zunächst habe ich den Film nach Kapiteln strukturiert. Ich sprach über Sprache, Grenzen, Mode, Musik und Arbeitsplätze — mit anderen Worten über all die Dinge, die diese Durchschnittsfamilie erlebt hat. Ich konzentrierte mich auf Aspekte des Alltagslebens dieser Nation. Die Musik zum Beispiel verbindet uns. Oder die Erinnerung an die Lebensmittelknappheit im Kommunismus oder die Art und Weise, wie wir mit dem Sport umgehen. Ich habe die Geschichten meiner Familienmitglieder benutzt, um dieses oder jenes Ereignis zu erzählen. Es handelt sich um Sachen, die meinem Großvater, meinem Onkel, meiner Tante, meinem Cousin passiert sind, und die ich in den allgemeinen Kontext der großen nationalen Geschichte gestellt habe.“
In einer Rezension in der Zeitung Metropolis schreibt der Filmkritiker Ionuţ Mareş: In dem Dokumentarfilm »Tagebuch der Familie Escu« spricht der Regisseur Şerban Georgescu mit leicht ironischer Stimme darüber, was es (immer noch) bedeutet, Rumäne zu sein, 100 Jahre nach der Entstehung des modernen Rumäniens, einer Zeit, in der das Land mehrere Schocks und Veränderungen erlebt hat. In der ernsten Landschaft der rumänischen nicht-fiktionalen Produktionen — mit ihren langen Beobachtungssequenzen und diesem aufmerksamen Blick auf eher schmerzvolle Themen — schlägt der Regisseur Şerban Georgescu eine andere Herangehensweise vor, wo die Ironie und der leicht bittere Humor zu spüren sind. Auf diese Weise wird eine persönliche Geschichte in einer allgemeinen Art und Weise betrachtet.“
Şerban Georgescu erläutert, wie das Publikum auf seinen Film reagierte:
Ich habe versucht, mit Hilfe der im Film auftretenden Persönlichkeiten und meiner Gäste Antworten zu geben, um herauszufinden, ob diese große Familie ein gemeinsames Schicksal hatte, ob die Ereignisse des letzten Jahrhunderts uns vereint oder getrennt haben. Diese Idee, meine eigene Familie in den Vordergrund zu stellen, war beim Publikum sehr beliebt. Es machte es den Menschen leichter, sich mit dem zu identifizieren, was sie sahen. Wir alle haben Bilder aus unserer Kindheit, zum Beispiel von unseren Großeltern. Diese Technik half dem Publikum, die Geschichte besser zu verfolgen. Außerdem habe ich eine Menge Humor hineingelegt, um junge Leute anzuziehen. Das habe ich bereits in meinen anderen Filmen getan: Um ein junges Publikum anzuziehen, muss es Spaß daran haben, die Geschichte, die man ihm erzählt hat, zu überdenken.“