„Solenoid“ von Mircea Cărtărescu als bestes Buch des Jahres 2017 in Spanien erkoren
Der rumänische Schriftsteller Mircea Cărtărescu ist der Gewinner des prestigereichen Literaturpreises Premio Formentor de las Letras 2018. Anfang April wurde in Buenos Aires die Ehrung mit diesem wichtigen internationalen Literaturpreis bekanntgegeben.
Corina Sabău, 25.08.2018, 17:30
Mircea Cărtărescus jüngster Roman Solenoid“ (2016), der bereits in zweiter Auflage erschienen ist, wurde von der spanischen und südamerikanischen literarischen Presse hochgelobt und von den Zeitungen La Vanguardia, El Periódico und The New York Times en español zum besten Buch des Jahres 2017 erklärt. Auch in anderen Publikationen erhielt der Roman lobende Kritiken. Solenoid ist ein Meisterwerk“, schrieb Andrés Ibáñez in ABC Cultural. Mircea Cărtărescu hat sein wichtigstes Buch geschrieben“, notierte Robert Saladrigas in La Vanguardia. Ein grundlegendes Werk“, steht in Babelia, dem Kulturteil der Zeitung El País; Ein wichtiges, außergewöhnliches, unvergessliches Buch“, schreibt El Correo.
Die Bukarester Buchhandlung Humanitas veranstaltete neulich ein Rundtischgespräch über die spanische Auflage des Romans Solenoid“ von Mircea Cărtărescu, die vom Verlag Impedimenta in Madrid in der spanischen Übertragung von Marian Ochoa de Eribe und mit einem Nachwort des rumänischen Literaturkritikers Marius Chivu veröffentlicht wurde. An dem Rundtischgespräch beteiligten sich der Autor Mircea Cărtărescu, die Übersetzerin Marian Ochoa de Eribe, der Direktor des Verlags Impedimenta, Enrique Redel, die Direktorin des Bukarester Verlages Humanitas, Lidia Bodea, der Literaturkritiker Marius Chivu und der Gründer des Verlages Humanitas, Gabriel Liiceanu.
Der Schriftsteller Mircea Cărtărescu eröffnete die Veranstaltung mit einem Plädoyer für die literarische Übertragung und sagte, die Literaturübersetzer würden sich nicht bloß darauf begrenzen, Wörter aus einer Sprache in eine andere Sprache zu übersetzen. Die Literaturübersetzer bringen uralte, mythische, psychologische Inhalte und kulturelle Verhaltensweisen über die Grenzen verschiedener Länder. Es handelt sich um Identitäten anderer Menschen, die die Übersetzer in ihre eigene Identität übertragen. Das ist unendlich schwer, umso schwerer, wenn die kulturellen Identitäten der zwei Völker sehr unterschiedlich sind. Mircea Cărtărescu:
Die literarische Übertragung kann relativ leicht sein, wenn die Texte aus ähnlichen Kulturen, aus ähnlichen Welten stammen. Es fällt mir zum Beispiel leicht, die Mentalität der gegenwärtigen Franzosen oder Deutschen zu verstehen. Wenn aber die Texte älter sind, wenn die Mentalität irgendwo in der Tiefe liegt, wenn es sich um Menschen des Mittelalters handelt, dann wird es viel schwieriger, sie richtig zu verstehen. Es ist viel schwieriger, die »Göttliche Komödie« in eine andere Sprache zu übersetzen als den »Zauberberg« oder das Werk eines gegenwärtigen Autors. Die räumliche, zeitliche und psychologische Entfernung stellen große Hindernisse bei der Übersetzung dar. Dort wo keine Übersetzung existiert, folgt fast immer die Vernichtung. Die Übersetzung ist ein Lorbeerkranz, ein Ölzweig. Die Übersetzung ist das Wichtigste, was den menschlichen Wesen geschehen kann. Die Übersetzung geschieht jenseits aller Dinge, die die Menschen trennen, ich rede hier nicht nur von Grenzen oder verschiedenen Sprachen. Ich rede von ganzen Mentalitäten, individuellen Mentalitäten, Gruppenmentalitäten, Völkermentalitäten. Die Vermittlung, die Übersetzung, ist eine grundlegende Geste. Deshalb bewundere ich die Übersetzer zutiefst. Für rumänische Literatur gibt es in anderen Ländern nur drei oder vier gute Literaturübersetzer — es ist viel zu wenig. Jeder rumänische Schriftsteller sollte einmal übersetzt werden, aber wir haben nur diese wenigen Übersetzer und der Wettbewerb ist sehr hart. Ich möchte meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, nicht nur dafür, dass meine Werke in so viele Sprachen übersetzt werden, sondern vor allem für die wunderbare Übertragung meiner Texte. Es nutzt nichts, Bücher in 100 Sprachen übersetzt zu bekommen, wenn die Übersetzung schlecht ist. Das bringt nur Schaden, der Autor verschwindet unter eine Maske, die mit ihm nichts zu tun hat. Wenn aber die Übersetzung gelungen ist, wird der Text in einer anderen Sprache zum neuen Leben erwachen. Deshalb bin ich sehr glücklich, dass ich zurzeit mit den besten Übersetzern zusammenarbeite, in 10 bis 15 europäischen Sprachen, und auch mit einigen wunderbaren Verlegern. Der Literaturübersetzerin Marian Ochoa de Eribe und dem Verleger Enrique Redel danke ich aus ganzem Herzen!“
Marian Ochoa de Eribe hat die Werke vieler Klassiker der rumänischen Literatur ins Spanische übertragen, zum Beispiel Werke von Panait Istrati, Mihail Sebastian, Mircea Eliade. Solenoid“ war nicht ihre erste Begegnung mit dem Werk Mircea Cărtărescus — für den Verlag Impedimenta hat sie bereits mehrere Texte des rumänischen Autors übersetzt: Der Russich-Roulette-Spieler“ (2010), Travestie“ (2011), Nostalgia“ (2012) und Die schönen Fremden“ (2013). Zur Zeit überträgt sie Cărtărescus epische Dichtung Levante“ ins Spanische. Marian Ochoa de Eribe über Solenoid“:
Ein Jahr lang arbeitete ich an der Übertragung des Romans »Solenoid« ins Spanische. Ich isolierte mich von der Welt, ich arbeitete intensiv, jeden Tag. Selbstverständlich bekam ich Herzpochen, ich litt unter Schlaflosigkeit, ich hatte Alpträume. So ging es auch [dem Verleger] Enrique, als er anfing, den Roman zu lesen. Er rief mich an und sagte, er würde mich vollkommen verstehen. Ich muss sagen, dass ich mit Gabriel Liiceanu absolut einverstanden bin, wenn wir an die drei Kapitel, an die drei außergewöhnlichen Stufen der Literatur in »Solenoid« denken. Als ich mit einem Kapitel fertig war, dachte ich, es könnte literarisch und ästhetisch nichts Besseres geben. Und es kam doch mehr! Ich weiß, dass ich bei der Rezeption von »Solenoid« dieses Gefühl mit vielen Lesern teile. Dieses Buch ist lebensverändernd. Die Übersetzung der Werke Mircea Cărtărescus hat meine Existenz grundlegend verändert. Als Übersetzerin kann ich aber ein Buch nicht einfach genießen, in mich aufnehmen, wie die normalen Leser es tun — und das macht mich ein bisschen traurig. Ich möchte auch mal eine naive Leserin sein.“
Enrique Redel, der Direktor des Verlags Impedimenta, sprach über das Phänomen Cărtărescu“, das seit einigen Jahren in Spanien existiert, und sagte, er sei von Solenoid“ fasziniert:
Dieses Buch war für mich eine physische, geradezu organische Erfahrung. Ich las und las ohne Unterbrechung, ich verschlang das Buch, obwohl man diesen Text langsam, Tropfen für Tropfen genießen sollte. Während der Lektüre änderte sich meine Realität tiefgehend. Ich begann auch, Alpträume zu haben, wie Marian bereits sagte — beim Aufwachen konnte ich einen Arm nicht mehr fühlen, es war, als ob mein Arm paralysiert war, und es schien mir, dass der Herr, der jeden Morgen seinen Kaffee im Hof vor seinem Haus trank, bloß meine Einbildung war. Ich beneide die Leser, die »Solenoid« Tropfen für Tropfen genießen können. Im Internet gibt es viele Kommentare von Lesern, die über verschiedene Etappen der Lektüre sprechen, als hätte das Buch verschiedene Höhenstufen, die erklimmt werden müssen. Als Verleger muss ich aber auch technische Aspekte im Auge behalten. Mircea Cărtărescus Literatur finde ich faszinierend, ich genieße seine Bücher, sie gefallen mir genauso wie die Werke von Thomas Pynchon, James Joyce oder John Barth.“