Rumänisches Kino auf der Berlinale
Die Berliner Filmfestspiele meinten es bisher gut mit Kinoschaffenden aus Rumänien: 2013 bekam Peter Netzer für Childs Pose“ den Goldenen Bären, letztes Jahr holte Radu Jude den Silbernen Bären für den Schwarz-Weiß-Streifen Aferim!“
Alex Gröblacher, 13.02.2016, 18:01
Auch in diesem Jahr feiert ein rumänischer Film Weltpremiere bei der Berlinale. Die 66. Berliner Filmfestspiele zeigen diesmal Illegitimate“, ein anspruchsvolles Familiendrama des Regisseurs Adrian Sitaru. Der 45jährige Filmemacher hat sich auf psychologisch komplizierte Themen spezialisiert — im Film Hooked“ vom Jahr 2008 erforschte er die Widerstandskraft einer Ehebeziehung unter hoher Stresseinwirkung, drei Jahre später thematisierte er in der Komödie Best Intentions“ die Verhältnisse in einer Familie, in der die Mutter gerade krank wird und 2012 untersuchte er die seltsame Nähe zwischen Haustieren und Menschen in Domestic“.
Illegitimate“ setzt noch einmal ein Stück Dramatik drauf. Der Film handelt über den Witwer und Familienpatriarch Victor, gespielt von Sitarus Lieblingsdarsteller Adrian Titieni und seine vier erwachsenen Kinder. Ganz plötzlich wird er von einem der Söhne mit einem vergessen geglaubten Teil seiner Vergangenheit konfrontiert. Er soll offenbar im Kommunismus Frauen verpfiffen haben, die abtreiben wollten — darauf standen schwere Strafen. Das Thema Schwangerschaft und Abtreibung im kommunistischen Regime hatte Cristian Mungiu in seinem in Cannes prämierten Film 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ behandelt, allerdings aus einer ganz unterschiedlichen Perspektive. Sitaru reicht so viel Spannung anscheinend nicht aus — denn nicht nur mit Spitzeltum und Abtreibung muss sich der Zuschauer auseinandersetzen, sondern auch mit Inzest.
Originell ist Sitarus Ansatz auch aus der Perspektive seiner Methoden.
Es ist ein Film an der Grenze zwischen Fiktion und Dokumentarfilm, deshalb wurde er wahrscheinlich auch für die Sektion Forum der Berlinale gewählt — die Leute stehen dort eher auf Experimentalfilme an der Grenze zwischen Kunst und Kino“, sagte der Regisseur in einem Interview mit den Kollegen vom Inlandsprogramm.
Stichwort Dokumentar: Im Programm der Berlinale läuft auch die Produktion Himmelverbot“ von Andrei Schwartz, eine Dokumentation über Gabriel Hrib, einen zu lebenslänglich verurteilten doppelten Mörder, der 2007 anlässlich der Aufnahme Rumäniens in die EU vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird. Rumänien, dass sich seit seiner Verhaftung von Grund auf verändert hat, kennt er nur noch aus dem Fernsehen — doch er sucht mutig nach seinem Platz in der Gesellschaft. Der Regisseur Andrei Schwartz und sein Team, die Hrib bereits zehn Jahre zuvor während der Dreharbeiten zu Jailbirds — Geschlossene Gesellschaft“ kennenlernten, begleiteten den Ex-Häftling zwei Jahre lang in seinem neuen Leben.
In der Sektion Perspektive Deutsches Kino der Filmfestspiele gibt es dann einen weiteren Höhepunkt mit Rumänienbezug. Vom Hamburger Regisseur Ronny Dörfler, Jahrgang 1984, stammt A Quiet Place“, ein 24 Minuten langer Film über angespannte Familienbeziehungen am Dorf in der rumänischen Neuzeit. Beleuchtet wird dabei auch das Thema Menschenhandel: viele junge Frauen aus Rumänien und der Moldau, besonders aus armen ländlichen Gebieten, gehen skrupellosen Schleppern in die Falle und landen in Westeuropa auf dem Strich. Mit Serban Pavlu, Madalina Craiu, Oana Rusu und Maria Obretin hat sich Dörfler die Mitarbeit echter Stardarsteller gesichert.
Gewalt unter Jugendlichen am rumänischen Dorf ist auch das Sujet im Kurzfilm A Night in Tokoriki“ von Roxana Stroe, der in der Sektion Generation 14plus gezeigt wird. Die Handlung dreht sich um den 18. Geburtstag eines Mädchens, der in einer Dorfdiskothek nach allen Regeln der Kunst gefeiert werden soll.
Ein rumänischer Star ist bei der diesjährigen Berlinale Cosmina Stratan — die 2012 in Cannes für die Rolle einer Nonne im Exorzismus-Krimi Hinter den Hügeln“ prämierte Schauspielerin spielt eine der Hauptrollen in der schwedisch-dänischen Koproduktion Shelley“. Stratan ist in diesem dunklen Horrorfilm Elena, die junge rumänische Haushaltshilfe in einer weit abgelegen lebenden dänischen Familie. Elena bietet sich an, als Leihmutter einzuspringen — aber die Schwangerschaft verläuft anders als erwartet. Der Film wird in der Sektio Panorama gezeigt.
Ob auch diesmal rumänische Kinoschaffende den einen oder den andern Bären bekommen, erfahren wir in wenigen Tagen.