Regisseur Thomas Ostermeier beim Klausenburger Festival „Interferenzen“
Premiere für die Theaterbühnen in Cluj/Klausenburg: Die weltbekannte Berliner Schaubühne war zum ersten Mal in der zentralrumänischen Stadt auf Gastspiel. Die mitgebrachte Darbietung galt bei vielen Experten als Höhepunkt des Theaterfestivals.
Luana Pleşea, 13.12.2014, 17:45
Die Berliner Schaubühne war beim Klausenburger Theaterfestival Interferenzen“ mit dem Stück Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen vertreten. Regie führte dabei Thomas Ostermeier. Und, will man dem Festivaldirektor und Leiter des Ungarischen Staatstheaters, Gabor Tompa, Glauben schenken, gibt es derzeit keinen passenderen Ort als Klausenburg, um das Stück aufzuführen. In dem Werk des Norwegers Ibsen geht es um die Entdeckung, dass das Trinkwasser einer Stadt verseucht ist, was die Bewohner ihrer wichtigsten Einkommensquelle berauben könnte: des Tourismus. Muss die Wahrheit ans Tageslicht oder nicht?
Nach der Aufführung in Cluj folgte eine Debatte mit den Theatermachern, die den pompösen Titel trug: Ibsen, unser Zeitgenosse. Ökologie und Kapitalismus: vom Volksfeind hin zu Roşia Montană“. Im Rahmen der Debatte erklärte der Regisseur Ostermeier welche Änderungen man am Originalskript Ibsens aus dem Jahre 1882 vorgenommen hatte. Die wichtigste davon war die Verjüngung der Hauptfigur Dr. Stockmann und seiner Ehefrau: Sie wurden als 30-35 Jährige dargestellt — also um viele Jahre jünger als die Protagonisten des Originalwerks. Das, weil man den Schwerpunkt von dem politischen Kampf auf die psychologische Untersuchung der jungen Generation verlegen wollte, wie Thomas Ostermeier erklärte.
Ich habe ein junges Paar verwendet und die Rollen der Tochter und Ehefrau von Dr. Stockmann aus der Originalversion zu einer einzigen Darstellerin verschmolzen. Das, weil, um ganz ehrlich zu sein, das Stück nicht gerade zu den stärksten Ibsens zählt, es ist ein ausgeprägt banales Stück. Ich habe mich bemüht, die Handlung komplizierter zu gestalten, indem ich die Ehefrau Katherine Stockmann widersprüchlich handeln ließ. Sie ist einerseits solidarisch mit ihrem Ehemann, aber auf der anderen Seite genervt von einem Mann, der von sich selbst glaubt, die Flamme der Wahrheit in die Gesellschaft zu bringen, und der gleichzeitig seine Frau schlecht behandelt und zu Hause kein guter Ehepartner ist. Das war sehr wichtig für mich: eine psychologische Seite des politischen Aktivisten zu zeigen, dieses kleineren Bruders, der Minderwertigkeitskomplexe gegenüber dem großen Bruder hegt. Dieser Komplex ist auch der Grund, warum er Aktivist geworden ist. Es gibt also auch einen psychologischen Hintergrund, nicht nur die politische Motivation. Dann habe ich im letzten Akt der Aufführung viele Änderungen eingeführt. Die unnatürliche Art des Vaters, der das junge Paar erpresst, die des Bürgermeisters, der sagt, dass, wenn er so weiter macht, er ihn vor den Richter führen und sagen wird, dass er den Ruf des Unternehmens schädigen will, da er beim beabsichtigten Kauf der Unternehmensaktien einen hohen Profit erreichen möchte… All diese Dinge finden sich nicht in der Originalversion von Ibsen wieder. Aber so etwas kann man in vielen Ländern sehen: Wenn man einen politischen Feind hat, einen politischen Gegner, bekämpft man ihn nicht mit politischen Mittel, sondern mit der strafrechtlichen Verfolgung.“
Auch das Ende der Aufführung ist völlig unterschiedlich im Vergleich zu dem Originaltext. Während bei Ibsen der Arzt zum Held wird, der den Grundstein einer Schule legt, lässt Ostermeier diesen in eine Falle tappen, indem er ihn vor die Wahl eines viel besseren Lebens, mit viel Geld, stellt. Laut dem deutschen Regisseur sei ein derartiges Szenario viel realistischer. Vielleicht könnte man Thomas Ostermeier als zynisch bezeichnen, der Künstler gestand allerdings während der Debatte, dass er sehr verärgert ist über die Arroganz der jungen Generation — seiner Generation:
Es ist eine ambivalente, schizophrene Generation. Zum einen glauben wir, unseren Vorgängern um Lichtjahre voraus zu sein, in Sachen Frauenrechte oder beim Umgang miteinander… Und außerdem neigen wir zu der Überzeugung, dass wir viel umweltbewusster sind… Und so weiter… Aber gleichzeitig ist unsere Generation für den ökologischen Holocaust verantwortlich und die kommenden Generationen werden uns fragen, warum wir nichts dagegen unternommen haben. Es ist also eine wahre Schizophrenie. Weil wir uns vormachen, eine fortgeschrittene Weltanschauung im Vergleich zur Generation unserer Eltern zu haben, und wir gleichzeitig nichts auf politischer Ebene unternehmen, wir ändern überhaupt nichts an der Politik. Ich wollte darüber sprechen, über diese Generation, die morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, die Yoga macht, die nicht raucht, die um ein gesundes Leben bemüht ist, die sich aufmerksam um ihre Kinder kümmert… Ein guter Vater oder eine gute Mutter zu sein, bedeutet, nicht nur zu Hause zu sein und um das eigene Kind zu sorgen, sondern dem Kind auch eine bessere Welt zu bieten, die nicht völlig verseucht ist. Genau das ist die Schizophrenie unserer Generation und das erkennt man an allen aktuellen politischen Bewegungen, die gescheitert sind.“
Für den Regisseur Thomas Ostermeier ist die Aufführung von Ibsens Ein Volksfeind“ kein revolutionäres Manifest. Ich glaube nicht, dass man etwas durch das Theater verändern kann. Es ist nicht die Rolle des Theaters, Revolutionen auszulösen. Für mich ist die gesamte Aufführung eher ein Geständnis, eine Momentaufnahme“, so der Regisseur.