Regisseur Emanuel Pârvu: „Mir geht es um die menschlichen Beziehungen“
Der rumänische Film „Drei Kilometer bis ans Ende der Welt“, der im offiziellen Wettbewerb für die Goldene Palme der Internationalen Filmfestspiele von Cannes ausgewählt worden war, hat die sogenannte Queer-Palme gewonnen, eine alternative Auszeichnung, die jedes Jahr an einen Spielfilm vergeben wird, der LGBTQI-Thematik behandelt oder entsprechende Film-Charaktere in den Mittelpunkt stellt. Vergangene Woche brachten wir in der Kulturchronik ein Interview mit Bogdan Dumitrache, einem der Hauptdarsteller im Film von Emanuel Pârvu. Für die heutige Ausgabe haben wir uns mit dem Regisseur unterhalten.
Corina Sabău und Sorin Georgescu, 08.06.2024, 17:30
Seit der Einführung des Sonderpreises im Jahr 2010 wurden mit der Queer Palm in Cannes bemerkenswerte Filme ausgezeichnet, die sich dem Thema der Diversität menschlicher Sexualität und geschlechtlicher Identität widmen. Der Preis wurde dem Regisseur Emanuel Pârvu vom belgischen Filmemacher Lukas Dhont überreicht, der 2018 für „Girl“, seinen ersten Spielfilm über eine Transgender-Ballerina, dieselbe Auszeichnung erhalten hatte.
In der Begründung der Jury hieß es: „Ein System der Gewalt kommt hier schonungslos unter das Seziermesser. Die Perspektive enthüllt langsam die patriarchalische Welt, in der unsere Figuren aufgewachsen sind, in der der eigene Existenzraum durch tief verwurzelte Gedankenstrukturen unmöglich gemacht wird. In diesem faszinierenden Film scheinen die Menschen wie von Fäden festgehalten zu werden, die sie vom Licht wegziehen, bis einige von ihnen beginnen, sich zu befreien.“
Neben Regisseur Emanuel Pârvu schritten auch die Schauspieler Bogdan Dumitrache, Valeriu Andriuță, Ciprian Chiujdea und Ingrid Micu-Berescu über den roten Teppich. Die rumänische Premiere von „Drei Kilometer bis ans Ende der Welt“ findet im Rahmen des Transilvania International Film Festival (TIFF) Mitte Juni in Klausenburg statt. „Drei Kilometer bis ans Ende der Welt“ schließt die Trilogie des Filmemachers ab, die mit „Meda oder Der nicht so glückliche Sachverhalt“ (zwei Auszeichnungen beim Sarajevo Film Festival 2018 für die beste Regie und den besten Hauptdarsteller), dem Spielfilmdebüt von Emanuel Pârvu, begann und mit „Marokko“ (ausgewählt für das San Sebastian Film Festival 2021) fortgesetzt wurde.
Der Regisseur Emanuel Pârvu eröffnete, wie er den Stoff für seine Filme findet:
„Ich würde nicht sagen, dass ich mich nach meinen bisherigen Filmen derselben Thematik nie wieder nähern werde. Für mich schließt sich mit dieser letzten Debatte zwar ein Kreis, aber ich denke, die Diskussion, die ich anstoße, kann ewig weitergehen. Die Liebe zwischen Kindern und Eltern etwa, die meiner Meinung nach die stärkste Form der Liebe ist, bleibt ein Gebiet, das endlos erforscht werden kann. Ich weiß allerdings nicht, ob meine künftigen Projekte zu diesem Thema zu meinen bisherigen Filmen passen werden. Ich kann nur sagen, dass ich mich mit diesen Sujets wirklich schwer getan habe, sie haben mir wirklich Spaß gemacht. Natürlich werde ich mich weiterhin mit damit befassen, mir geht es um die menschlichen Beziehungen schlechthin, darum werden sich auch meine künftigen Filme drehen, aber ich werde nach anderen Wegen suchen. Diese Eltern-Kind-Bindung war kein einfaches Thema, es war ein Thema, das mich sehr beschäftigt hat, das mich nachts wach gehalten hat, das mein Innenleben gequält hat. Deshalb ist nach dieser Trilogie eine Pause sehr willkommen. Ich glaube, dass auch diese Phasen des Innehaltens ihren Sinn haben, man kann sich nicht ständig verausgaben.“
Emanuel Pârvu führte bei zahlreichen Theaterstücken Regie, bevor er sich dem Film zuwandte; sein Debütstück „Sector S“ wurde für die Preisverleihung der rumänischen Theaterunion UNITER nominiert. Er ist auch ein begabter Schauspieler, der in Filmen wie „Abitur“ (Regie: Cristian Mungiu), „Porträt des Kämpfers in seinen jungen Jahren“ (Regie: Constantin Popescu), „Die Geburtstagsfeier“ (Regie: Dan Chișu), „Das Wunder“ (Regie: Bogdan Apetri) und „Familienangelegenheiten“ (Călin Peter Netzer) denkwürdige Rollen spielte. Seine Doktorarbeit setzt sich mit dramaturgischen Strukturen auseinander. Seit mehreren Jahren unterrichtet Emanuel Pârvu an der Hochschule für Darstellende Kunst der Ovidius-Universität in Constanța. Im Folgenden spricht er über seine pädagogischen Ansätze.
„Ich arbeite nie an zwei Projekten gleichzeitig, ich kann mich z.B. nicht auf eine Rolle konzentrieren und gleichzeitig Regie führen. Ich weiß, dass es Kollegen von mir gibt, die das können, aber bei mir funktioniert das nicht, ich konzentriere mich gerne auf eine Sache und widme mich gänzlich dem betreffenden Projekt. Auch meine Lehrtätigkeit liegt mir sehr am Herzen. Zusammen mit dem Schauspieler Adrian Titieni und Daniela Vitcu, der Dekanin der Kunstfakultät der Ovidius-Universität in Constanța, habe ich den ersten und bisher einzigen Masterstudiengang für Filmschauspiel in Rumänien ins Leben gerufen. Ich halte es für sehr wichtig, dass dieser Masterstudiengang an einer staatlichen Universität angeboten wird, denn mir liegt sehr viel an den Begegnungen mit unterschiedlichen Studenten. Vielleicht auch, weil ich ein vierzehnjähriges Kind habe, bin ich sehr an der nächsten Generation interessiert. Denn wir sollten nicht vergessen, dass in den letzten zwanzig Jahren in Rumänien nur der Sport und der Film internationale Erfolge feiern konnten. Sportlerinnen wie Simona Halep, Cristina Neagu, der Schwimmer David Popovici und zahlreiche Filmregisseure haben internationale Erfolge auf höchstem Niveau erlebt. Deshalb will ich auch in meine Lehrtätigkeit investieren, denn mich interessiert die Zukunft des Landes. Ich bin sehr daran interessiert, wie sich die jungen Menschen entwickeln, ich möchte nicht, dass wir als Bürger zweiter Klasse in Europa betrachtet werden, die nur zum Erdbeerpflücken oder Spargelstechen eingesetzt werden. Ich persönlich bin sehr stolz auf meine Heimat, und deshalb erachte ich auch die Zukunft des Bildungswesens in diesem Land als wichtig. Ich glaube, dass durch die Menschen viel Gutes geschaffen werden kann und dass wir uns nur so als Gesellschaft weiterentwickeln können.“
Der Film „Drei Kilometer bis ans Ende der Welt“ ist eine Produktion des Vereins FAMArt. Das Drehbuch stammt von Emanuel Pârvu und Miruna Berescu, für das Bild zeichnet Silviu Stavilă, den Schnitt bewerkstelligte Mircea Olteanu, das Bühnenbild und die Kostüme entwarf Bogdan Ionescu.