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Mikrohistorie: Zeitgeschichte aus Alltagserlebnissen rekonstruiert

Mit dem Projekt Wahre Geschichten live erzählt“ möchten die Initiatoren anhand von mündlich vorgetragenen Geschichten äußerst unterschiedlicher Menschen die Zeitgeschichte Rumäniens aus der Alltagsperspektive beleuchten.

Mikrohistorie: Zeitgeschichte aus Alltagserlebnissen rekonstruiert
Mikrohistorie: Zeitgeschichte aus Alltagserlebnissen rekonstruiert

, 10.03.2018, 17:30

Wer sind wir Rumänen heute, 100 Jahre nach dem Entstehen des modernen Rumänien? Wer sind die rumänischen Bürger, welche Probleme haben sie heute, nach zwei Weltkriegen, mehr als 40 Jahren Kommunismus und fast 30 Jahren Übergang zum Kapitalismus? Welche Spuren haben die historischen Ereignisse auf die verschiedenen Generationen oder die verschiedenen Minderheiten in Rumänien hinterlassen? Wie sehen die Zukunftsträume der Rumänen aus? Auf diese und viele andere Fragen versucht das Projekt Microistoria. Wahre Geschichten live erzählt“ Antworten zu finden.



Das Projekt Microistoria. România 100. Poveşti adevărate spuse pe viu“ (Microistoria. Rumänien 100. Wahre Geschichten live erzählt“) wurde am 17. Oktober 2017 gestartet und hat jetzt, im März 2018, die zweite Auflage erreicht. Produziert wird das Projekt vom Rumänischen Verband zur Förderung der darstellenden Künste in Partnerschaft mit der Hörspielredaktion des Rumänischen Rundfunks. Microistoria“ hat sich vorgenommen, ein lebendiges Archiv mit Geschichten von normalen, gewöhnlichen Menschen zu erstellen. Wie soll das konkret funktionieren? Es wird ein Casting organisiert, und man führt Interviews mit den Leuten, die einverstanden waren, Geschichten aus ihrem Leben auf einer Bühne vor 100 fremden Leuten zu erzählen. Bis jetzt wurden 13 Geschichten vor dem Publikum erzählt und aufgezeichnet; diese Geschichten findet man jetzt in einem digitalen Archiv auf der Webseite www.microistoria.ro .



Die Castingleiterin Florentina Bratfanof erzählte uns, wie sie die Teilnehmer fürs Projekt Microistoria“ ausgesucht hat:



Diese Menschen entdeckte ich nach und nach, einige wurden mir von Mitgliedern des Projektteams empfohlen. Am 15. Januar schickte ich die Einladungen und begann, Gespräche zu führen. Viele meiner Gesprächspartner kannte ich überhaupt nicht. Manche Treffen dauerten sogar drei bis vier Stunden, es waren sehr interessante Gespräche, voller Geschichten. Die Kommunikation war recht intensiv, wie eine Umarmung — die Leute erzählten mir ihre Geschichten, und ich erzählte ihnen meine Geschichten. Ich wollte immer mehr über diese Menschen erfahren, von denen ich im Grunde genommen überhaupt nichts wusste. Ich hatte schon einige Kriterien für die Auswahl — männlich-weiblich, verschiedene Altersstufen, aber sie waren nicht immer entscheidend. Entscheidend waren die Geschichten, die irgendwie relevant wurden. Zum Beispiel war die Geschichte einer Jugendlichen für mich relevant, auch wenn ich doppelt so alt wie dieses Mädchen bin. Entscheidend war auch, abgesehen von den Geschichten an sich, die Art und Weise, wie diese Geschichten erzählt und auf der Bühne dargestellt wurden.“




Der Regisseur Peter Kerek arbeitete mit den Finalisten, um sie für ihren Bühnenauftritt vor dem Publikum vorzubereiten:



Bei den Proben haben wir den Geschichtenerzählern die Möglichkeit gegeben, einfach vor dem Publikum (in diesem Fall vor ihren Kollegen von der Gruppe) zu sitzen und nichts zu tun. Sitzen und Nachdenken. Diese Schweigemomente dauerten im Durchschnitt je fünf Minuten. Dann spielten wir Musik dazu. Die Leute schwiegen — jeder für sich selbst oder gemeinsam, in der Gruppe, sie schwiegen auf vielen verschiedenen Weisen. Wir haben praktisch das Tor des Sprechens geschlossen. Dieses Tor öffnete sich dann vor dem Publikum wieder. Wir wollten, dass jeder Teilnehmer während der Schweigeminuten seine eigene Geschichte in seinem Inneren hört. Jeder Geschichtenerzähler sollte erkennen, was ihn an seine Geschichte wirklich interessiert, wie seine Geschichte auf ihn wirkt. Sie sollten die eigenen Geschichten auf eigener Art und Weise betrachten, sie sollten Zuhörer der eigenen Geschichten werden.“




Das Thema der zweiten Auflage von Microistoria“ war Wie habe ich den Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus erlebt und überlebt“. Dana Vlăsceanu kam auch zum Casting. Sie ist 36 Jahre alt und gehört der Roma-Minderheit an. Dana hat erzählt, wie sie von Drogenkonsumentin zur Gründerin eines sozialen Zentrums in Ferentari, einem armen Randbezirk Bukarests, wurde. Sie wollte an dem Projekt Microistoria“ teilnehmen, weil sie an die Macht des guten Beispiels glaubt und davon überzeugt ist, dass ihre Geschichte auch andere Menschen motivieren könnte. Dana Vlăsceanu:



Ich habe mich weiterentwickelt. Die Leute, die mich seit acht Jahren kennen, wissen es. Ich bin im Grunde dieselbe geblieben, aber ich habe mich zum Guten entwickelt. Ich wollte mehr wissen, mehr lernen, ich habe viel gelernt und lerne jeden Tag etwas dazu. Als Jugendliche hatte ich die Schule nach der 7. Klasse abgebrochen. Nun bin ich als Erwachsene wieder in die Schule gegangen. Ich möchte ein gutes Beispiel für meine Kinder sein. Meine Freunde und Verwandten freuen sich sehr für meine Erfolge. Bei unserem sozialen Zentrum arbeiten wir mit Kindern, wir veranstalten Workshops, Aktivitäten, Weihnachtsfeste. Wir sind sehr präsent in unserer Gemeinschaft. Die Leute in unserem Bezirk, die Probleme oder Fragen haben, kommen zu uns — sie wissen, dass ich ihnen immer mit gutem Rat zur Seite stehe.“




Der 39-jährige Thomas Mendel ist Zahnarzt. 1988 hat er zusammen mit seiner Familie Rumänien verlassen, um in Israel zu leben. 2003 ist er nach Rumänien zurückgekehrt. Thomas glaubt, dass Geschichten eine Inspirationsquelle sein können. Aus den vielen Begebenheiten, die sein Leben geprägt haben, erzählte er eine Geschichte aus seiner Kindheit. Thomas Mendel:



1989 kam meine Gro‎ßmutter zu Besuch nach Israel. Sie war damals Mitte fünfzig. Eines Morgens gingen wir zusammen in den Lebensmittelladen, um etwas fürs Frühstuck zu kaufen. Sie blieb plötzlich im Lebensmittelladen stehen und brach in Tränen aus. Dar war für mich als Kind etwas Unfassbares, weil sie eine starke Frau war, die alle Schwierigkeiten in Rumänien überstanden hatte. In jenem Augenblick wurde mir zum ersten Mal klar, wie schlimm das Leben in Rumänien gewesen war, wie die Menschen gelitten hatten. Der Kontrast zwischen den zwei Welten ist äu‎ßerst wichtig. Wir müssen verstehen, wo wir leben und wo wir leben könnten. Die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Freiheit haben einen hohen Preis, aber es lohnt sich, darum zu kämpfen, sogar zu leiden. Wenn man sich dafür einsetzt, wenn man dafür etwas opfert, wenn man mutige Entscheidungen trifft, dann bekommt man auch die Chance, in einer besseren Welt zu leben.“




Nach zwei Auflagen des Projekts Microistoria“ entstand ein vielfältiges Fresko mit persönlichen Geschichten von Männern und Frauen aus allen Regionen Rumäniens, aus allen sozialen Schichten, aus allen Altersstufen, sagte die Initiatorin und Projektleiterin, die Theaterkritikerin Cristina Modreanu. Wie sieht das gegenwärtige Rumänien aus, betrachtet durch die Geschichten der Menschen, die hier leben? Cristina Modreanu antwortet:



Es ist ein Rumänien, das ein Trauma erlebt hat, das Trauma der fast 30 Jahre langen Transformation seit der Wende 1989. Das Thema der zweiten Auflage von »Microistoria« war »Wie habe ich den Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus erlebt und überlebt«, und daher gibt es viele Geschichten über die Schwierigkeiten des Übergangs. Aber auch bei der ersten Auflage gab es Geschichten, die vom Übergangstrauma geprägt waren. Das Rumänien der Gegenwart ist von historischen Ereignissen aufgewühlt, es ist ein Rumänien, in dem die Menschen nach Ma‎ßstäben suchen und ihren Weg wiederzufinden versuchen. Das heutige Rumänien ist wie eine Arbeitsstelle, aber es ist auch voller Hoffnung und Optimismus, es hat die Kraft, Tragödien zu überstehen und sich selbst neu zu gestalten.“

Foto: Adi Mărineci
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