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Literaturfestival Bukarest: György Dragomán und Dana Grigorcea lesen in der alten Heimat

Anfang Dezember fand in Bukarest das inzwischen traditionsreiche Literaturfestival FILB statt. Bei dieser 7. Ausgabe waren renommierte Schriftsteller aus der Türkei, der Schweiz, Ungarn, Spanien, den USA und Rumänien anwesend.

Literaturfestival Bukarest: György Dragomán und Dana Grigorcea lesen in der alten Heimat
Literaturfestival Bukarest: György Dragomán und Dana Grigorcea lesen in der alten Heimat

, 12.12.2015, 17:30

Anfang Dezember fand in Bukarest das inzwischen traditionsreiche Literaturfestival FILB statt. Bei dieser 7. Ausgabe waren renommierte Schriftsteller aus der Türkei, der Schweiz, Ungarn, Spanien, den USA und Rumänien anwesend. Am ersten Abend des Literaturfestivals begegneten sich zwei in Rumänien geborene Schriftsteller. Der Ungar György Dragomán, einer der osteuropäischen Autoren mit den derzeit meisten Auszeichnungen, und die Schweizerin Dana Grigorcea, die zu den aufsteigenden Stars der deutschsprachigen Szene gehört.



György Dragomán ist im siebenbürgischen Târgu Mureş (dt. Neumarkt am Mieresch, ung. Marasvásárhely) geboren und 1988 nach Ungarn ausgewandert. Sein Roman Der wei‎ße König“ ist der erste, der ins Rumänische übersetzt wurde, er erschien 2008 beim Polirom-Verlag. Derselbe Roman wurde in Ungarn mit den Literaturpreisen Tibor Déry und Sándor Márai ausgezeichnet und bis heute in über drei‎ßig Sprachen übersetzt. Zurzeit gibt es auch Pläne für eine Verfilmung in Gro‎ßbritannien. 2011 erhielt Dragomán schlie‎ßlich den Jan-Michalski-Preis für denselben Roman.



2014 veröffentlichte der Autor seinen bislang letzten Roman, Der Scheiterhaufen“, 2015 ebenfalls beim Polirom-Verlag erschienen. Nach dem Erfolg in Ungarn und Rumänien liegen bereits Anfragen für Übersetzungen in den USA, den Niederlanden und Deutschland vor. Das scheint die offizielle Bestätigung für die Begabung eines Autors mit Vision und Stil zu sein, der beim Publikum bereits gut angekommen ist. Beide Romane Dragománs wurden von Ildikó Gábos-Foarţă ins Rumänische übersetzt. Er denke, dass die Ideen eigentlich auch Erinnerungen seien, sagt der Schriftsteller. Ideen und Erinnerungen kämen aus derselben Sphäre und so werde eigentlich die Vergangenheit konstruiert. Und dieses Buch sei der Versuch einer Konstruktion der persönlichen Vergangenheit und der Identität, erklärt György Dragomán in Bezug auf seinen neuesten Roman, Der Scheiterhaufen“.



Ich hatte allerlei Fragen und ich glaube, dass das Buch letzten Endes die einzige Antwort ist, die ich liefern konnte. Ich wusste, dass ich über das Gedächtnis schreiben würde. Wenn ich die Arbeit an einem Buch aufnehme, gehe ich von einem konkreten Bild aus, das sich bei mir eingeprägt hat, und dann verwende ich Axiome. Diesmal lautete das Axiom wie folgt: Wie erinnerst du dich, wenn du versuchst, dich nicht zu erinnern? Kannst du dich erinnern, wenn es keine Erinnerungen gibt?“




Er habe sich nicht vorgenommen, Bücher zu schreiben, die auf historischen Fakten beruhten, betont György Dragomán. Sondern Bücher über mögliche Freiheiten in einer Gesellschaft, in der die Freiheit hätte nicht existieren dürfen. Die ersten 15 Jahre seines Lebens, die er in Târgu Mureş verbrachte, seien extrem wichtig für Dragomán gewesen. In Bukarest enthüllte der Autor auch Details seiner Arbeitsmethode.



Es ist wie ein Gebäude. Ich habe einen Ausschnitt, einige Bilder, und dann wird jedes Bild zum Kern eines kurzen Szenarios. Und diese Bilder ergeben nebeneinander ein Gebäude. Und ich fühle mich wie ein Architekt, der ein Gebäude baut, und dabei in seinem Inneren wohnt. Nachdem ich ungefähr den dritten Teil des Buchs fertig habe, verstehe ich, wie die Struktur zustande kommt. Und ich veröffentliche immer Auszüge aus den Büchern, die ich schreibe. Ich wähle dabei Fragmente, die sich als kurze Prosa eignen und veröffentliche sie. Für mich sind kurze Prosa und Romane eng verbunden, man kann nicht scharf unterscheiden. Und aus einer Kurzgeschichte kann man immer einen Roman weiterspinnen. Ich glaube au‎ßerdem noch, dass kurze Prosa ebenso viele Fragen aufwerfen und Erzählungsstränge eröffnen sollte wie ein Roman.“




Die rumänischstämmige Schweizerin Dana Grigorcea gehört zu den aufstrebenden Schriftstellern weltweit. Ihr letzter Roman, Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“ befand sich in diesem Jahr im Rennen um das Buch des Jahres in der Schweiz. Au‎ßerdem wurde er im Rahmen der Ingeborg-Bachmann-Preisverleihung mit dem 3-Sat-Preis ausgezeichnet. Und das scheint nur der Anfang einer erfolgreichen Karriere des Romans zu sein, nach den lobenden Worten der bekanntesten deutschsprachigen Medien. Es ist ein hinrei‎ßendes Rumänien-Porträt, das in der Erregung des rumänischen Volkes kulminiert, das sich nach Freiheit und Veränderung sehnt“, schrieb Die Zeit. Während einer Tournee für die Vorstellung ihres Romans Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“ berichtete Dana Grigorcea über die Reaktion des deutschsprachigen Publikums auf das Buch:



Im deutschsprachigen Raum reagiert das Publikum auf die Lesungen. Die Leute lachen, es gibt auch Menschen, die den Atem anhalten, du siehst erschrockene oder unruhige Gesichter, Menschen, die es kaum erwarten können, Fragen zu stellen. In Rumänien ist das Publikum ruhiger. Als ich dort las, habe ich ständig den Kopf gehoben, um mich zu vergewissern, dass noch jemand im Saal sitzt, so brav ist das Publikum dort. Ich hatte Lesungen in Österreich, Deutschland, der Schweiz, auch in Frankreich war ich bei literarischen Abenden dabei, überall ist das Publikum sehr geistesgegenwärtig und macht sich auch bemerkbar, die Menschen wollen teilnehmen. In Bukarest kommen die Leute vor allem um zu sehen, was passiert.“




Ihre Prosa ist wie mit dicken Pinselstrichen gemalt, draufgängerisch, genüsslich, üppig und humorvoll, schrieb Die Presse aus Österreich. Wie sieht Dana Grigorcea das?



Die Art und Weise, in der ich meinen neuen Roman wahrnehme, hängt sehr vom Publikum ab. Das Publikum reagiert anders in Deutschland als in der Schweiz zum Beispiel. Es gibt einen Auszug, den ich sehr häufig vorlese, dort erzähle ich, wie ich zum Jungpionier ernannt wurde. Und ich kann sagen, dass es fast jedes Mal eine völlig andere Reaktion gegeben hat. In der ehemaligen DDR reagieren die Menschen anders als in Düsseldorf oder Hamburg. Und das Publikum in der Schweiz reagiert wiederum ganz anders. Es gibt bestimmte Witze in dem Roman, bei denen eher die Schweizer als die Österreicher lachen. Einige subtile Anspielungen werden schneller in Österreich verstanden als in der Schweiz. Also gelingt es mir dank meines Romans, mein Publikum kennenzulernen und unterschiedliche Denkweisen zu erforschen, je nach Stadt oder Land.“




Und zum Schluss ein Fragment aus der Rezension des schweizerischen Internet-Kulturfernsehens ART-TV: Der neue Roman der aus Rumänien stammenden Schriftstellerin Dana Grigorcea handelt von der politischen Wende Rumäniens im Spiegel der Kindheits- und Jugenderinnerungen und des aktuellen Lebens einer Frau in Bukarest.“

Foto: Adi Mărineci
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