RRI Live!

Hören Sie Radio Rumänien International Live

„Ich ergebe mich der inneren Diktierstimme“

Ein Gespräch mit Nora Iuga, der bekannten Lyrikerin, Romanautorin und Literaturübersetzerin aus dem Deutschen.

„Ich ergebe mich der inneren Diktierstimme“
„Ich ergebe mich der inneren Diktierstimme“

, 19.02.2022, 15:25

Nora Iugas letzter Roman, Hipodrom (zu Deutsch in etwa Reitbahn) erschien 2020 — heute entspannt sie sich mit Gedichteschreiben. Von der am 4. Januar 1931 geborenen Nora Iuga erschienen in deutsche Sprache mehrere Titel, zum Beispiel 2003 Der Autobus mit den Buckligen, im Verlag Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, dann 2007 der Gedichtband Gefährliche Launen bei Klett-Cotta, beide übersetzt von Ernst Wichner. Ihren Roman Die Sechzigjährige und der junge Mann, erschienen 2010 bei Matthes & Seitz in Berlin, übersetzte Eva Ruth Wemme. Ihre rumänischen Texte sind viel zahlreicher, ihre eigenen Übersetzungen aus dem Deutschen ebenfalls. 2007 wurde Nora Iuga mit dem „Friedrich-Gundolf“-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet, und 2015, bzw. 2017 verliehen ihr zunächst die Bundesrepublik und dann auch ihre eigene Heimat Rumänien den jeweiligen Verdienstorden.


Mit RRI sprach Nora Iuga, die mit dem wirklicher Namen Eleonora Almosnino hei‎ßt, vor allem über ihren neusten Roman, Hipodrom. Ein stark an ihre eigene Biografie angelehnter Lesestoff, gewidmet der Stadt, die sie als junge Frau prägte. Sibiu, deutsch Hermannstadt. Hier lernte die eigentlich in Bukarest geborene Autorin die Nonnen am Ursulinenkloster kennen, hier entdeckte sie den Schimmel Jovis im Schaufenster bei Schuster, hier unterrichtete sie im Kommunismus Deutsch, hier liebten sie ihre Schüler:



„Dieses Buch ist ein viel älteres Projekt. Seit gut 15 Jahren spiele ich mit dem Gedanken, dass ich dieser Stadt etwas schulde. Aber es geht nicht etwa um eine Geldschuld… dass ich Geliehenes zurückzahle. Ich reite im Buch auf diesem Namen Hermannstadt herum — es ist dieser Hermannstadt, der ich mich verbunden fühle, weniger dem heutigen Sibiu. Dort habe ich als Zehnjährige zum ersten Mal das Kribbeln der Liebe gespürt und nicht begriffen, was dieses Knäuel an Gefühlen bedeutet. Ich konnte mir nicht erklären, was das genau war, als ich eines Winterabends auf der Hauptstra‎ße zum Römischen Kaiser rannte, zum grö‎ßten sächsischen Hotel der Stadt. Dort trat mein Vater als Violinist und Orchesterleiter auf und ich beeilte mich, ihm sein Bogenharz, sein Kolophonium zu bringen. Diese Stadt gab mir Gelegenheit, Menschen zu begegnen, die mein Schicksal prägten — viele von ihnen weilen nicht mehr unter uns. Meine Nonnen aus dem Ursulinenkloster, denen ich die Hälfte meines Wesens verdanke, gibt es nicht mehr. Nicht zufällig schreibe ich im Buch über Nora A und Nora B, ich bin gebaut aus zwei gegensätzlichen Hälften, aber das ist nicht ungewöhnlich. Ich bin überzeugt, dass es in jedem von uns solche zwei antagonistische und fast nicht zueinanderpassende Figuren gibt, die sich ständig streiten. Und während Nora A leichtsinnige Streiche spielt, liest ihr Nora B in ihrer Weisheit die Leviten,“ erzählt die Autorin Nora Iuga.



Ihr Roman Hipodrom spielt während nicht weniger als drei Diktaturen: Iuga lebte als Kind zuerst im Karlismus von König Carol dem II., dann unter der Militärdiktatur von Ion Antonescu und wurde schlie‎ßlich im Kommunismus erwachsen. Wie geht sie denn um mit den vielen Erinnerungen?



„Es gibt zwei Arten von Schriftstellern: die einen konstruieren bewusst Verläufe, die anderen ergeben sich der inneren Stimme. Ich gehöre offensichtlich zur zweiten Art. Diese innere Diktierstimme kann mit einem Erinnerungsschwall verglichen werden, den wir nicht kontrollieren können. Einige dieser Erinnerungen sind derart konkret, dass man sich fast davor fürchten kann. So können wir Ereignisse fast so erleben, wie sie sich zugetragen haben. Erinnerungen sind irgendwie wie Träume: sie können die leicht veränderte Gestalt von Dingen annehmen, die sich vor langer Zeit ereignet haben. Man hat dieses bestimmte Deja-vu-Gefühl, das man das alles ja einmal erlebt hat. Wenn man dann alt wird, geht man in sich hinein und sondiert das eigene Innenleben, das ist das Schönste im Alter– das hei‎ßt aber nicht, dass man sich dabei nur auf das selbst Erlebte konzentrieren muss. Ich habe tatsächlich in drei Diktaturen gelebt, kann mir aber nicht schöneres vorstellen als die Monarchie, die ich als Kind miterlebt habe und als Zeit sehr liebe. Wir haben schon immer im Zeichen von Gegensätzen gelebt, aber als Kind erkannte ich nicht, dass es ungerecht ist, wenn Stra‎ßenverkäufer barfu‎ß herumlaufen. Wenn ich jetzt zurückdenke, kommt es mir vor, als sehe ich einen sehr poetischen Film. Ich kann mit der Welt nicht zu hart ins Gericht gehen, jeder von uns ist zutiefst in der eigenen Kindheit verwurzelt — und diese Wurzeln lassen sich nicht ziehen. Was aus heutiger Sicht verurteilt werden kann, war für mich damals ein Grund zu schierer Freude,“ sagt die rumänische Literatin nachdenklich zum Schluss des Gesprächs.

sursa foto:
Kulturchronik Samstag, 07 Dezember 2024

Vorkriegszeit und Zwischenkriegszeit: Ausstellung im Stadtmuseum Bukarest

Die Ausstellung im Filipescu-Cesianu-Haus zeigt zum Einen unterschiedliche Fragmente des Alltags. Da wäre zum Beispiel das Essensritual der...

Vorkriegszeit und Zwischenkriegszeit: Ausstellung im Stadtmuseum Bukarest
foto: The Breakup
Kulturchronik Samstag, 30 November 2024

Emotionale Performance beteiligt Publikum am Handlungsverlauf

Die Produktion stammt von einer Gruppe europäischer Künstler unter der Leitung der Regisseurin Ioana Păun. Sie konzentriert sich in ihrer Arbeit...

Emotionale Performance beteiligt Publikum am Handlungsverlauf
Foto: facebook.com/Clara.the.Romanian.school.teacher
Kulturchronik Freitag, 22 November 2024

Spielfilm „Clara“: Soziales Drama zum Thema Migration kürzlich in die Kinos gekommen

Der Spielfilm „Clara“ ist  kürzlich landesweit in die Kinos gekommen. Die Produktion des Regisseurs Sabin Dorohoi erzählt die Geschichte von...

Spielfilm „Clara“: Soziales Drama zum Thema Migration kürzlich in die Kinos gekommen
Kulturchronik Freitag, 15 November 2024

Spielfilm „Das neue Jahr, das es nie gab“ steht an der Spitze der Kinokassen

Die Produktion von Bogdan Mureșanu wurde als erster rumänischer Debütfilm bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig mit vier Preisen...

Spielfilm „Das neue Jahr, das es nie gab“ steht an der Spitze der Kinokassen
Kulturchronik Samstag, 09 November 2024

Dramaturgien des Möglichen: 34. Ausgabe des Nationalen Theaterfestivals

Drei Kuratoren wählten 31 Aufführungen aus allen Theatern des Landes. Hinzu kamen Nebenveranstaltungen wie Performance-Installationen,...

Dramaturgien des Möglichen: 34. Ausgabe des Nationalen Theaterfestivals
Kulturchronik Samstag, 26 Oktober 2024

EXT. MAŞINĂ. NOAPTE: ein Film über sein eigenes Making-of

EXT. MAŞINĂ. NOAPTE ist der zweite Spielfilm von Andrei Crețulescu und in seiner Besetzung sind vier emblematische Schauspieler der Neuen Welle zu...

EXT. MAŞINĂ. NOAPTE: ein Film über sein eigenes Making-of
Kulturchronik Freitag, 18 Oktober 2024

Für Inklusion, Gleichberechtigung und eine normale Welt: das künstlerische Projekt „Die Welt kennenlernen“

Im Mittelpunkt des künstlerischen Projektes stehen Kreativworkshops, Kunsttherapie, visuelle und psycho-relationale Bildung. Die Fotos des Projekts...

Für Inklusion, Gleichberechtigung und eine normale Welt: das künstlerische Projekt „Die Welt kennenlernen“
Kulturchronik Samstag, 12 Oktober 2024

Animest: Italien als Gastland beim diesjährigen Animationsfilm-Festival

Animest setzt eine lange Tradition jährlicher Retrospektiven fort, die Ländern gewidmet sind, die Meilensteine des Kinos gesetzt haben. In diesem...

Animest: Italien als Gastland beim diesjährigen Animationsfilm-Festival

Partner

Muzeul Național al Țăranului Român Muzeul Național al Țăranului Român
Liga Studentilor Romani din Strainatate - LSRS Liga Studentilor Romani din Strainatate - LSRS
Modernism | The Leading Romanian Art Magazine Online Modernism | The Leading Romanian Art Magazine Online
Institului European din România Institului European din România
Institutul Francez din România – Bucureşti Institutul Francez din România – Bucureşti
Muzeul Național de Artă al României Muzeul Național de Artă al României
Le petit Journal Le petit Journal
Radio Prague International Radio Prague International
Muzeul Național de Istorie a României Muzeul Național de Istorie a României
ARCUB ARCUB
Radio Canada International Radio Canada International
Muzeul Național al Satului „Dimitrie Gusti” Muzeul Național al Satului „Dimitrie Gusti”
SWI swissinfo.ch SWI swissinfo.ch
UBB Radio ONLINE UBB Radio ONLINE
Strona główna - English Section - polskieradio.pl Strona główna - English Section - polskieradio.pl
creart - Centrul de Creație Artă și Tradiție al Municipiului Bucuresti creart - Centrul de Creație Artă și Tradiție al Municipiului Bucuresti
italradio italradio
Institutul Confucius Institutul Confucius
BUCPRESS - știri din Cernăuți BUCPRESS - știri din Cernăuți

Mitgliedschaften

Euranet Plus Euranet Plus
AIB | the trade association for international broadcasters AIB | the trade association for international broadcasters
Digital Radio Mondiale Digital Radio Mondiale
News and current affairs from Germany and around the world News and current affairs from Germany and around the world
Comunità radiotelevisiva italofona Comunità radiotelevisiva italofona

Provider

RADIOCOM RADIOCOM
Zeno Media - The Everything Audio Company Zeno Media - The Everything Audio Company