Herta Müller zu Gast in Iaşi
Die Nobelpreisträgerin Herta Müller war Ehrengast des Internationalen Festivals für Literatur und literarische Übersetzung FILIT 2014 in Iaşi.
Corina Sabău, 15.11.2014, 17:30
Im Oktober 2014 war die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller Ehrengast des Internationalen Festivals für Literatur und literarische Übersetzung FILIT in Iaşi. Die aus Rumänien stammende deutsche Schriftstellerin beteiligte sich im Nationaltheater an einem Literaturabend und Rundtischgespräch zusammen mit dem Schriftsteller und Journalisten Ion Vianu und dem Literaturübersetzer und Direktor des Literaturhauses Berlin Ernest Wichner, der auch Moderator des Abends war.
Seit dem Treffen mit dem rumänischen Philosophen und Publizisten Gabriel Liiceanu im Bukarester Athenäum im Jahr 2011 hatte Herta Müller nicht mehr vor einem rumänischen Publikum gesprochen, so dass die Debatte im Rahmen des Internationalen Festivals für Literatur und literarische Übersetzung FILIT für die meisten Anwesenden eine echte Überraschung war. Vor vier Jahren hatte sich die Diskussion im Bukarester Athenäum eher auf Politik und politischen Widerstand konzentriert. Damals hatte Herta Müller ihrem Gesprächspartner Gabriel Liiceanu mit einer ziemlich bissigen Kritik an die meisten rumänischen Intellektuellen entgegnet, die sie der Passivität während des Kommunismus beschuldigte. Beim FILIT-Festival in Iaşi sprach aber die Nobelpreisträgerin vor allem über Literatur und las aus ihrem jüngst auf Rumänisch veröffentlichten Roman vor.
Herta Müller, deren Familie zur deutschen Minderheit in Rumänien gehörte, wurde im Banat geboren. Als Schülerin in Timișoara/Temeswar lernte sie erst im Alter von 15 Jahren die rumänische Sprache. Nach dem Abitur studierte Herta Müller von 1973 bis 1976 an der Universität des Westens Timișoara Germanistik und Rumänistik. Ab 1976 arbeitete sie als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik, wurde allerdings 1979 nach ihrer Weigerung, mit dem Geheimdienst Securitate zusammenzuarbeiten, entlassen. Zeitweise war Herta Müller als Lehrerin tätig. In Temeswar stand Herta Müller zunächst den Autoren der Aktionsgruppe Banat nahe: Richard Wagner, Ernest Wichner, Gerhard Ortinau, Rolf Bossert, William Totok, Johann Lippet und anderen.
Nach der Zerschlagung der Gruppe durch die Securitate im Jahre 1976 organisierten sich die Autoren erneut im offiziellen Literaturkreis Schriftstellervereinigung Adam Müller-Guttenbrunn“ in Temeswar um den Dichter Nikolaus Berwanger, Chefredakteur der örtlichen deutschsprachigen Zeitung. In diesem Schriftstellerkreis, zu dem nun auch Helmuth Frauendorfer, Roland Kirsch, Horst Samson und Werner Söllner gehörten, war Herta Müller die einzige Frau. Ihr Debütroman Niederungen“, dessen Manuskript vor der Veröffentlichung über vier Jahre vom Verlag zurückgehalten wurde, erschien 1982 in Rumänien in zensierter Fassung. 1985 bekam sie Schreibverbot in Rumänien. 1987 reiste Herta Müller nach Deutschland aus. Dort erschienen ihre Prosaschriften: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“ (1986), Reisende auf einem Bein“ (1989), Der Fuchs war damals schon der Jäger“ (1992), Herztier“ (1994), Heute wär ich mir lieber nicht begegnet“ (1997), Der König verneigt sich und tötet“ (2003), Atemschaukel“ (2009), Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel“ (2011).
Der Abend im Rahmen des Internationalen Festivals für Literatur und literarische Übersetzung FILIT begann mit einer Lesung der Schriftstellerin Herta Müller aus ihrem beim Humanitas-Verlag in rumänischer Übersetzung veröffentlichten Roman Heute wär ich mir lieber nicht begegnet“. Über diesen Roman schrieben die Kritiker: Im Wahnsinn des Totalitarismus will eine junge Frau nicht darauf verzichten, glücklich zu sein. Der Roman besitzt eine harte Wortkraft, die sich in Poesie und Schönheit verwandelt. Es handelt sich um einen der wichtigsten Romane der in Rumänien geborenen deutschen Autorin. Mit ihrem Roman bietet Herta Müller eine tiefe, beeindruckende Erkundung der Art und Weise, wie eine Diktatur die Seele eines Menschen erobern kann.“ Durch die ähnliche Thematik bilden die drei Romane Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“, Herztier“ und Heute wär ich mir lieber nicht begegnet“ eine Trilogie, meinen die Literaturkritiker. Herta Müller dazu:
Die Kritiker sagen immer, es handele sich um eine Trilogie. Ich sehe es aber anders. Es handelt sich in der Tat um drei Bücher, aber das war nicht so geplant. Es ist einfach dazu gekommen: Nachdem ich einen Roman beendet hatte, begann ich einen neuen zu schreiben. Es könnte daran liegen, dass meine eigene Problematik noch nicht erschöpft war, ich hatte mich noch nicht beruhigt, ich fühlte, dass diese Probleme mich weiterhin verfolgten. Als ich Rumänien verließ, war ich innerlich so zerstört, dass ich an nichts Anderes denken konnte. Insbesondere in den ersten Jahren nach meiner Ausreise, weil ich wusste, dass in Rumänien das Ceauşescu-Regime immer noch an der Macht war. In Rumänien lebten einige Dutzend Leute, die ich sehr lieb hatte, und ich wusste, dass sie jeden Tag den furchtbaren Dingen ausgesetzt werden könnten, die ich erlitten hatte. Und diese Menschen hatten nicht, wie ich, die Möglichkeit, davonzukommen. Deshalb sind all diese Probleme für mich lebendig geblieben, und es wäre mir nie in den Sinn gekommen, über etwas Anderes zu schreiben. In der Tat — ich hätte nie über etwas Anderes schreiben können.“
Wir wählen unsere Themen nicht aus; es sind unsere Themen, die uns auswählen“, sagte auch der Schriftsteller Ion Vianu, und Herta Müller setzte ihre Erörterungen fort:
Es gibt eine gewisse Kategorie von Schriftstellern, und dazu würde ich auch Ion Vianu zählen, die viel zu starke Erfahrungen gemacht haben, um unversehrt zu bleiben. Ein solcher Schriftsteller war auch Alexander Solschenizyn. Es gibt Menschen, die Kriege, Arbeitslager, den Gulag erlitten haben. Vielleicht die Hälfte der Weltliteratur besteht aus Büchern, die über solche Erfahrungen erzählen. Das sind Werke von Menschen, die ihre Themen nicht selbst ausgewählt haben. Die Themen waren so stark, so hart, dass sie die Schriftsteller fast dazu gezwungen haben, sich damit zu befassen. Das Thema hat sich mit mir beschäftigt, und nicht umgekehrt.“
Der Schriftsteller Ion Vianu über Herta Müller:
Was mich an Herta Müllers Schreiben fasziniert, ist die außergewöhnliche Breite und Komplexität der Gefühle. Es gibt eine ätzende, ironische Seite, eine traurige, trauervolle Seite und auch eine poetische, anmutige Seite. Hinzu kommen noch Liebe und Farben. Und alles wird mit einer Art Humor erzählt. Die Literatur Herta Müllers ist nicht immer ernst. Sie ist auch humorvoll. Durch diese Vielfalt ist Herta Müller eine große Schriftstellerin, sie ist eine meiner Lieblingsschriftstellerinnen. Herta Müller ist eine Metaphervermittlerin, weil sie mit dem Leben direkt Kontakt aufgenommen und alle Nuancen wahrgenommen hat.“
2009 hat die Schwedische Akademie die rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Müller habe mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit“ gezeichnet, hieß es in der Würdigung des Nobelpreiskomitees. Die Literatur spricht jeden Einzelnen an — sie ist Privateigentum und bleibt einem immer in den Gedanken… Nichts anders spricht zu uns so beharrlich wie ein Buch… und es will nichts zurück haben, außer die Menschen zu Denken und zu Fühlen zu veranlassen“, sagte Herta Müller.