Das Internationale Theaterfestival in Hermannstadt
Hermannstadt in Siebenbürgen war im Zeitraum 6.-15. Juni Schauplatz des 21. Internationalen Theaterfestivals. Das diesjährige Motto lautete Einheit in Vielfalt“, zu Gast waren gut 2500 Künstler und Delegierte aus 70 Ländern.
Luana Pleşea, 02.08.2014, 15:56
Hermannstadt in Siebenbürgen war im Zeitraum 6.-15. Juni Schauplatz des 21. Internationalen Theaterfestivals. Das diesjährige Motto lautete Einheit in Vielfalt“, zu Gast waren gut 2500 Künstler und Delegierte aus 70 Ländern. Auf dem Programm standen 381 Veranstaltungen. Darunter natürlich Theateraufführungen, sowie Tanzeinlagen, Musikkonzerte, Ausstellungen, Buchpremieren, Konferenzen — all das an konventionellen und unkoventionellen Veranstaltungsorten. Heute lassen wir einige der vielfältigen Events Revue passieren, die im Mittelpunkt der diesjährigen Auflage des prestigeträchtigen Festivals standen.
Der Regisseur Radu Afrim wird demnächst mit zwei Inszenierungen am Hermannstädter Radu-Stanca-Theater gastieren, sowohl in der deutschen als auch in der rumänischsprachigen Abteilung. Beim Festival war er für mehrere Programmpunkte verantwortlich: eine eigene Foto-Ausstellung, ein Theaterstück und eine weitere Darbietung, die von den Veranstaltern der Rubrik Konzerte“ zugeordnet wurde. Afrim versteht es, nicht nur als Theatermacher zu beeindrucken, sondern auch durch seine Fotos außerhalb des Bühnengeschehns. Es sind Bilder vom Alltag oder Schauspieler-Porträts. Im Hermannstädter Thalia-Saal wurde Afrim gebeten, seine Ausstellung vorzustellen, die von dem Bühnenbildner Dragoş Buhagiar eingerichtet wurde.
Es sind Aktfotos und Halbakt-Fotos von Schauspielern. Schauspieler, die sich wünschen, auch an anderen Plätzen jenseits der Bühne gesehen zu werden. Es sind jene schönen Menschen, denen ich in den Theatern begegne. Wir entspannen uns gemeinsam, zwischen zwei und sechs Uhr, zwischen zwei Proben. Wir wandern durch Wälder, manchmal gingen wir auf die große Brăila-Insel und machten dort unsere Fotos, ans Olt-Ufer oder sonstwohin… Praktisch wär’s das schon. Es besteht keine Verbindung zu den Aufführungen. Es ist sehr einfach, Schauspieler zu fotografieren. Mann muss nicht lange auf sie hinwirken, um sie in einen bestimmten Zustand zu versetzen, um sie zu entspannen, wie es der Fall bei einem wahninnig schönen Model der Fall wäre. So ein Model hat nur das zu bieten, die Schönheit. Die Schauspieler haben offenbar eine eigene Welt, in die man hoffentlich auf den Fotos Einblicke bekommt. Es sind bekannte, junge Schauspieler, die ich noch bekannter machen möchte.“
In der Theatersektion war Radu Afrim mit dem Stück Wenn es aufhört, zu regnen“ von Andrew Bovell vertreten, eine Inszenierung am Toma Caragiu“-Theater in Ploieşti. Der Regisseur bezeichnet es als ein viel gefassteres, reiferes Stück, das aber nicht unbedingt ein braves Thema behandelt — es ist eine moderne Tragödie, allerdings habe der Text dem Stück ein langsames Tempo aufgedrückt, das fast hypnotisierend wirke.
Und schließlich war Radu Afrim mit seinem Konzept Hai Iu Iu Nu Hey You You (Maria Tănase remix)“ in der Musiksektion des Festivals angemeldet. Diese Aufführung entstand im Rahmen der Jungschauspieler-Gala HOP im Schwarzmeer-Resort Costineşti im September 2013. Sie ist das Ergebnis einer kreativen Werkstatt rund um die Volksmusik-Legende Maria Tănase und dem 90. Jahrestag seit ihrer Geburt gewidmet. Die musikalische Leitung dazu übernahm Vlaicu Golcea. Als das Konzept der Darbietung unter Dach und Fach stand, hätte niemand mit dem Erfolg und den vielen Einladungen zur Teilnahme an Festivals gerechnet, sagt Radu Afrim.
Mir liegt das Projekt, der Maria-Tănase-Remix, sehr am Herzen. Es ist ein experimentelles Stück, das überhaupt nicht auf einen kommerziellen Erfolg ausgerichtet ist. Und das ist die Rettung für unsere Show. Die freigesetzte Energie dieser jungen Theater-Absolventen. Es gibt einen Erzählfaden, eine Geschichte bis zu einem gewissen Punkt und sie ist humorvoll. Dann sind da noch die Jungs, die Kabarett-Einlagen haben. In Rumänien gibt es keine passende Bezeichnung dazu. Es ist auch kein Musical… Ich weiß nicht, was es ist und es ist gut so! Es ist auch kein Konzert, weil die singende Frau nicht danach hinter die Kulissen geht. Sie treten auf, verschwinden danach wieder. Wir haben auch Maia Morgenstern in diesem Stück. Sie hat die freie Wahl, kann so oft sie will auf die Bühne zurückkehren. Ich habe bei dieser Show keine Regie geführt, ich habe das Konzept dazu verfasst und die Leute zusammengeführt. Es gibt kein Bühnenbild. Es sieht recht gut aus, ziemlich urban. Maria Tănase war ein Stadtmensch. Das Foto von Maria Tănase, das wir verwendet haben, hat einen Hollywood-Glanz, es ist keine x-beliebige Bäuerin da drauf.“
Ein besonderer Höhepunkt des Festivals und eine Premiere stellte die Einweihung der Ausstellung Oidip — eine Fotoausstellung von Mihaela Marin“ dar. Zum ersten Mal hatte ein Großteil des Publikums das gleichnamige Theaterstück von Silviu Purcărete am Nationaltheater in Sibiu noch nicht gesehen. Dessen Premiere sollte einige Tage nach der Ausstellungseröffnung stattfinden, wie der Theaterkritiker Octavian Saiu berichtete.
Ich möchte Mihaela Marin vom ganzen Herzen danken, für ihre Geste, uns diskret, aber mit scharfem Beobachtungssinn in das Universum eines Theaterstücks einzuführen, das wir hier entdecken dürfen. Das dank dieser ausgestellten bildlichen Fragmente, die uns das ganze Festival über begleiten werden. Ich bin davon überzeugt, dass die Theateraufführung dank dieser Fotos eine völlig andere visuelle Dimension bekommen wird. Ich bin mir sicher, dass ich bestimmte Szenen aus»Oidip« nicht von den Fotos trennen können werde, die Mihaela in dieser Ausstellung mit uns teilt. Ich glaube, dass jedes Vorhaben von Mihaela Marin einem Bereich kulturellen und theaterkünstlerischen Gedächtnisses zuzuordnen ist, dem ich große Bedeutung beimesse. Eines der Symbole des Internationalen Festivals in Edinburgh letztes Jahr, das ich mit nationalem Stolz dort entdeckte, war ein Foto aus der Hamlet-Inszenierung der berühmten Theatertruppe »Wooster Group« aus den USA, ein Foto, das die Unterschrift von Mihaela Marin trug.“
Eines der wichtigen Bücher, die beim 21. Theaterfestival in Sibiu ihre Premiere feierten, heißt Neue Praktiken der darstellenden Künste in Osteuropa“. Iulia Popovici ist die Autorin des Bandse, der für die Buchsammlung der diesjährigen Festival-Ausgabe veröffentlicht wurde. Es sei das überhaupt erste Buch, in dem über Mittel- und Osteuropa berichtet wird und das in diesem Teil Europas erscheint, erklärte die Autorin selbst. Darin sind 10 Essays, 10 Interviews und ein Text über die Ukraine enthalten, der auf dem Kriegsschauplatz von dem Theaterkritiker Wiktor Sobianski geschrieben wurde, erzählt Iulia Popovici.
Das Hauptziel dieses Buchs, und ich hoffe auch sein wichtigstes Verdienst, ist es, einen möglichst konkreten Kontext zu schaffen, und das nicht nur für das hiesige Theater. Man spürt, wie die Ereignisse in den Nachbarländern im Einklang stehen mit dem, was hier passiert. Von all den Ländern der Region sind wir zum Beispiel die einzigen, die ein Theater des Realen haben, ein starkes Doku-Theater. Die Bulgaren haben in diesem Jahr ihre ersten Versuche dazu unternommen. In Ungarn wurde eine einzige Doku-Theateraufführung inszeniert, und das vor drei Jahren. In der Ukraine ist jetzt eine aufbrausende Stimmung hochgekocht, in Verbindung mit den Ereignissen auf dem Maidan, die die Dramaturgie des Realen erzeugt. Aber sonst gibt es so etwas nicht. Aber es gibt in Polen ein extrem starkes Doku-Theater und ein sehr interessantes Doku-Theater in der Slowakei. Und was uns alle näherbringt, ist diese extrem angespannte Beziehung zu den Produktionsbedingungen, zu den Finanzierungssystemen und der Alt-Neu-Dynamik vor dem Hintergrund der stark aus öffentlichen Geldern finanzierten darstellenden Künste in all diesen Regionen.“
Kaum war das Feuerwerk zum Abschluss des Internationalen Theaterfestivals in Hermannstadt erloschen, kündigten die Veranstalter bereits die nächste Ausgabe an. Sie soll zwischen vom 12.-21. Juni 2015 stattfinden, das Programm soll Anfang des kommenden Jahres verfügbar sein. Wir bereiten eine reife Ausgabe vor, mit dem Versprechen des komplexesten Festivals für darstellende Künste, das je auf rumänischem Boden organisiert wurde. Sibiu ist der Schauplatz einer europäischen Stadt, einer Stadt, die weiß, wie man die eigene Schönheit bewahrt. Und wir sind stolz darauf“, erklärte in seiner feierlichen Abschlussrede der Festivaldirektor Constantin Chiriac.
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