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Buchbesprechungen: Nora Iuga, Mihaela Ursa und ihre jüngsten Veröffentlichungen

Himmelsplatz. Ein Küchentagebuch“ von Nora Iuga und Erotikon. Ein Traktat über amouröse Fiktion“ von Mihaela Ursa sind zwei der interessantesten rumänischen Bücher des vergangenen Jahres.

Buchbesprechungen: Nora Iuga, Mihaela Ursa und ihre jüngsten Veröffentlichungen
Buchbesprechungen: Nora Iuga, Mihaela Ursa und ihre jüngsten Veröffentlichungen

, 27.07.2013, 15:00

Himmelsplatz. Ein Küchentagebuch“ von Nora Iuga und Erotikon. Ein Traktat über amouröse Fiktion“ von Mihaela Ursa sind zwei der interessantesten rumänischen Bücher des vergangenen Jahres.



Mihaela Ursa ist die Autorin der Bücher Die 80er Jahre und die Versprechen des Postmodernismus“ (1999, Verlag Parallelle 45“), Gheorghe Crăciun — eine Monographie“ (2000, Verlag Aula“) und Schriftstellertopia“ (2005 und eine umgearbeitete Fassung 2010, Verlag Dacia“), die vom Rumänischen Schriftstellerverband und von der Rumänischen Gesellschaft für Allgemeine und vergleichende Literatur mit Preisen ausgezeichnet wurden. Jetzt überrascht Mihaela Ursa ihre Leser mit dem Band Erotikon. Ein Traktat über amouröse Fiktion“.



Im »Erotikon« versuchte ich einen Wiederanschlu‎ß an Urbedeutungen der Literatur als Erfindung einer Welt und als einfacher Genu‎ß; den strukturellen, ästhetischen oder axiologischen Kommentar lie‎ß ich dabei im Hintergrund liegen“, sagte Mihaela Ursa über ihr neues Buch. Der Literaturkritiker Alex Goldiş notierte, der Band sei um so überraschender, da die Leser kaum erwartet hätten, einen Essay über die erotische Fiktion in Westeuropa zu entdecken. Mihaela Ursa über ihr neuestes Buch:



Es war mir eine Freude, diese Idee zu verwirklichen; nämlich auf die hochgestellte ästhetische Position des Literaturtheoretikers zu verzichten, um die für unsere Beziehung zur Literatur genauso interessanten und relevanten Ansätze zu entdecken — die Lektüre als Identifikation zum Gelesenen, die Lektüre als Genu‎ß, die Lektüre als Wiedergewinnung der Literatur als Leben, die Lektüre als Erleben der Literatur.“



Die amouröse Fiktion wird nicht gelesen, sondern visuell verfolgt; das ist der Einfall, der für das Erotikon“ der Mihaela Ursa ausschlaggebend war. Vom altgriechischen erotischen Roman bis zu Autoren wie Anais Nin, Marquez, Nabokow, Bruckner oder Beigbeder hat sich nicht so viel geändert, als wir es glauben würden. Zurück aber zum Titel des Buches: Die Autorin ist der Ansicht, da‎ß das Erotikon“ der Literatur eine der besonderen Kräfte verleiht, die für die visuellen Künste spezifisch sind — das Vermitteln einer ganzen Geschichte in einem einzigen Bild. Es handelt sich um ein Kernbild, um das Zentralbild der klassichen erotischen Fiktion. Was mich interessiert, ist, inwieweit die Liebesliteratur, mehr als andere Literaturformen, Gefahr läuft, nicht als Fiktion gelesen zu werden. Sie wird oft als Leben empfunden, und wird anschlie‎ßend als Existenzmodell übernommen. Wir können nicht aufhören, uns in Liebesangelegenheiten von den am wenigsten glaubwürdigen Lehrern beraten zu lasen — von den Literaturgestalten“, meint Mihaela Ursa. Wie hoch ist aber diese Gefahr? Mihaela Ursa antwortet:



Es handelt sich um eine sehr gro‎ße Gefahr, das stellte ich bei meinen Uni-Vorlesungen und Seminaren fest. Obwohl ich bei fast jedem Seminar klarstelle, das Thema unserer Diskussion sei die Literatur, und nicht das echte Leben, können sich die Studenten, mit denen ich die Texte bearbeite — und das sind beispielhafte Leser! — sie können sich also nicht davon abhalten, immer wieder abzuschweifen, in die alte Falle zu tappen und die Kontexte in der erotischen Literatur als Musterkontexte zu betrachten, Muster, die sie in ihrem alltäglichen Leben übernehmen könnten.“



Im zweiten Teil ihres Buches gesteht aber Mihaela Ursa, sie hätte sich von der utopischen Ambition überzeugen lassen, das Unmögliche festzuhalten und die amouröse Fiktion zu definieren. Die Autorin bietet uns eine mögliche Definition: Die amouröse Fiktion stellt immer eine Erotologie dar, eine Pseudo-Erklärung oder sogar eine Ideologie des Eros, einen Identifizierungs-Kodex der wahren Liebe oder der Natur der Liebe.“



Nora Iuga gilt als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der rumänischen Literatur. Sie debütierte in den 1960er Jahren und hat bis heute mehr als 20 Bände veröffentlicht — Gedichte, Prosa und Tagebücher. Für ihre schriftstellerische Tätigkeit wurde Nora Iuga mit den wichtigsten rumänischen Literaturpreisen ausgezeichnet; ihre Bücher wurden in mehreren Sprachen übersetzt und im Ausland veröffentlicht — in Deutschland, Frankreich, Italien, der Schweiz, Spanien, Bulgarien und Slowenien. 2007 erhielt Nora Iuga den Friedrich-Gundolf-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, eine Auszeichnung, die für die Verbreitung der deutschen Kultur in der Welt verliehen wird. Die rumänische Schriftstellerin hat zahlreiche Werke der Weltliteratur Literatur ins Rumänische übertragen, wobei Autoren deutscher Zunge Vorrang genossen. Schriftsteller wie August Strindberg, E.T.A. Hoffman, Friedrich Nietzsche, Knut Hamsun, Elfriede Jelinek, Herta Müller, Ernst Jünger, Oskar Pastior, Günter Grass, Aglaja Veteranyi, Rolf Bossert sind dank Nora Iuga auch den rumänischen Lesern bekannt.



Himmelsplatz. Ein Küchentagebuch“ wurde zum erstenmal 1985 veröffentlicht — das ist eines der mutigsten, aber paradoxerweise am wenigsten bekannten Bücher Nora Iugas. Im Vorwort des beim Verlagshaus Max Blecher“ erschienenen Bandes schrieb der Verleger Claudiu Komartin: Bei der Erstveröffentlichung hat das Buch nicht die Aufmerksamkeit genossen, die es verdient hätte. Wir könnten sagen, da‎ß die Autorin sich eine etwas zu exotische Formel für ihr Werk ausgesucht hat. Der anfängliche Titel des Buches, Ein Küchentagebuch“, war sowieso provozierend genug, soda‎ß es der Zensur zum Opfer fiel.“ Aus heutiger Sicht sagte Nora Iuga über ihr Buch folgendes:



Aus diesem Buch hat die Zensur sehr viele Seiten gestrichen, und diese neue Auflage hat schon etwas Besonderes, das die Leser interessieren könnte. Die erste Fassung dieses Buches habe ich der Dichterin Mariana Marin ausgeliehen, mit der ich eng befreundet war. Selbstverständlich wurden die Bücher während des Kommunismus in der Form veröffentlicht, die die Zensur gut hie‎ß, unsere Worte wurden von der Zensur mit anderen Worten ersetzt, aber die Bücher zirkulierten unter Freunden, die sie in der Originalfassung lasen. Mein Verleger Claudiu Komartin dachte, es wäre interessant, das Buch in einer originellen, doppelten Form neuaufzulegen: Die Wörter, die sich die Zensur ausgedacht hatte, werden mit einem Strich versetzt, und obendrauf wird das Originalwort, das ich gewählt hatte, gedruckt. So erscheint nach vielen Jahren mein Buch wieder in der Originalfassung, und die Zensur wird ihrerseits von mir zensiert.“



Mehrere Welten treffen aufeinander im bescheidenen Raum der Küche, in dem die Dichterin ihre Existenz unter dem Regime der übereinander gestapelten Empfindungen führt. Die Dichtung der Nora Iuga ist ernst-prosaisch, schneidend-hart, aber gleichzeitig weist sie eine seltene Dreistigkeit der Inspiration auf“, schrieb der Kritiker Valeriu Cristea beim Erscheinen des Küchentagebuchs“. Nora Iuga erläutert erneut:



Es gibt noch einen Grund, warum ich dieses Buch für etwas Besonderes halte. Darin habe ich zum erstenmal ein anderes schriftsellerisches Prinzip umgesetzt, das Prinzip einer anderen Schreibart, vollkommen unterschiedlich von dem, was zu jener Zeit in der rumänischen Literatur üblich war. Es handelt sich um ein ‚totales Buch‘ — wenn der Autor von einem Gemütszustand in den anderen übergeht, ändert er auch seine Stimme. In einer solchen Situation kann es passieren, da‎ß auch die literarischen Genres wechseln. In den Prosafragmenten beschreibe ich des öfteren, was in der Küche so geschieht, und wenn die Empfindungen sehr lyrisch werden, dann lasse ich die Stimme der Poesie erklingen.“



Zum Schlu‎ß ein Fragment aus dem Band Himmelsplatz. Ein Küchentagebuch“:



Werde ich wohl die Zeit haben, alles vor diesem Gericht auszusagen, das mich argwöhnisch betrachtet? Werde ich den Mut haben, über meine letzte Zensur hinwegzutreten und alles zu sagen, was sich zum Hören nicht schickt? Habe ich wohl das Recht, meine Gedanken laut auszusprechen, wenn mir die Chance geboten wird, zu schweigen? Meine Herren Geschworenen, wir sprechen nicht dieselbe Sprache. Haben Sie jemals das Heldentum, den Wahnsinn, die Risiken der Freiheit erlebt?“



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