25. Nationales Theaterfestival: eine Bilanz
Der Theaterverband UNITER hat für die 25. Auflage des Nationalen Theaterfestivals ein besonderes Programm geplant: zehn Tage, 41 repräsentative Aufführungen aus Rumänien, drei Theaterproduktionen aus dem Ausland und über 50 theaterbezogene Events.
Luana Pleşea, 07.11.2015, 17:55
Eines der drei ausländischen Stücke war eine Koproduktion mehrerer schwedischer Theaterhäuser. Ausgangspunkt für das Stück “der Tiger” war ein rumänisches Theaterwerk — der “Herrmannstädter Tiger” von Gianina Cărbunariu. Die schwedische Variante wurde im September beim Königlichen Dramatischen Schauspielhaus in Stockholm uraufgeführt, erzählt Ulrika Josephsson, Produzentin des Stücks.
“Es ist ein für uns in Schweden anderer Text. Es geht darum, wie er vorgetragen wird. Und es ist anders, als ob man eine menschliche Figur spielt. Die Schauspieler erzählen eine sehr direkte Story und nutzen die Tiere, um über die heutige Gesellschaft zu erzählen. Und dann ist auch das Thema der Geschichte wichtig, weil es uns alle verbindet, denke ich. Bei der ersten Lesung in der Stadt Orebro in Schweden haben die Schauspieler gedacht, ich hätte den Text angepasst, damit die Handlung in ihrer eigenen Stadt Orebro spielt. Ich sagte ihnen: Nein, ich habe nichts verändert, so ist das Original eben. Es ist also ein Universalthema, weil es damit zu tun hat, wie wir auf Fremde reagieren — der Fremde ist im Stück der Tiger. An Gianinas Text mag ich diese sehr menschliche Perspektive, aus der sie die Situation betrachtet. Es gibt sehr viel Mitgefühl für diese Menschen, auch wenn sie sich scheußlich verhalten. So müssten auch wir die Dinge sehen, so reagieren, wenn ein Tiger” plötzlich unter uns erscheint. Es ist also ein sehr politisches Stück, aber sehr leuchtend und direkt geschrieben, mit viel Mitgefühl und Humor”, sagt die Produzentin.
Das Nationale Theaterfestival hatte letztes Jahr das Musical “West Side Story” produziert — in diesem Jahr entschied man sich in Partnerschaft mit dem Internationalen Theaterfestival in Sibiu für einen “Manifest für Dialog”, ausgehend von der Show “Asozial” von Bogdan Georgescu. Premier des Stücks war im Juni beim ITFS. Der Regisseur Bogdan Georgescu arbeitete damals mit sieben Masterstudenten.
“Im November vor einem Jahr starteten wir mit einem kleinen Atelier. Mich interessierte das Zusammenspiel der Menschen im Kontext von Social Media und der Tatsache, dass wir ständig vernetzt sind. Zwei Wochen vor Beginn der Proben kam es in Cluj zu einem Skandal: die Schüler eines Gymnasiums hatten eine geheime Facebook-Gruppe eingerichtet und spotteten über die Lehrer. Die Schulleitung wollte dann 200 Schüler von der Schule entfernen. Ausgehend von dieser Story haben wir improvisiert und mit Verhandlung, Diskussion und Bewertung gespielt. SO entstand also dieses Projekt Asozial”. Mir geht es dabei, dass die Studenten lernen, wie sie im Team arbeiten und auch Arbeitsmethoden entwickeln, die sie nach Studienabschluss einsetzen können. Wir gehen jetzt mit diesem Projekt in die Gemeinden hinein und stellen ihnen eine Diskussionsplattform zur Verfügung — auch über Bildung und Erziehung in der Gegenwart des Jahres 2015”, sagt Regisseur Bogdan Georgescu, der für einen Monat mit “Asozial” durch 21 Städte in Rumänien tourt.
Ein weiteres Stück beim NTF ist Vertij — zu Deutsch so viel wie Schwindelgefühl, Schwindelanfall. Regisseur Mihai Măniuţiu sagt, dass das Stück über seine Mutter handelt, die an Alzheimer leidet. “Die Mutter, die ich zwar nicht verloren habe, die mich aber verloren hat, obwohl sie ja noch bei mir ist”, so der Theaterschaffende. Die beiden Choreographinnen des Stückes, Vava Ştefănescu und Andrea Gavriliu, ließen es sich nicht nehmen, auch die Hauptrollen in der Produktionen des Theaters “Aureliu Manea” im westrumänischen Turda zu spielen. Zu dem Stück sagt Vava Ştefănescu: “Vertij” ist eine Choreografie, kein Theaterstück per se. Eine visuelle Körpershow. Ein Gedicht, das Mihai Măniuţiu mit der Stimme von Marcel Iureş und dem Text unserer Körper erzählt. Bei den Proben dachte ich mir, das sei ein unmögliches Projekt, weil wir ständig in Tränen ausbrachen. Aber Schmerz und Trauer und Leiden verschmelzen und man wird selbst Teil des Themas. Mihai Măniuţiu sagt treffend, dass nicht der Künstler weint, sondern das Publikum. Es geht nicht um Krankheit, sondern um den Verlust der Person, um die Unmöglichkeit, die eigene Identität oder die der anderen zu erkennen”, versucht die Choreografin das Projekt zu erklären.
Die Auswahl der Stücke traf die Theaterkritikerin Marina Constantinescu. Ihr Kollege George Banu lobt ihre Arbeit. “Es scheint mir, dass Marina interessant entschieden hat — sie hat das Festival geöffnet, die Anzahl der Aufführungen verdoppelt und dabei alle Generationen berücksichtigt, unter denen ja durchaus polemische Verhältnisse herrschen”, meint der Theaterwissenschaftler George Banu.