Ziele und Herausforderungen Anfang des Jahres
Ein kompliziertes Jahr ist zu Ende gegangen, ein genauso kompliziertes hat begonnen.
Corina Cristea, 03.01.2020, 17:30
Bei den Wahlen im Mai 2019 wurde das Europäische Parlament umgestaltet: Die bisher stärksten Blöcke Mitte-Rechts und Mitte-Links haben Mandate verloren, die an kleinere Parteien gingen — neben etablierten grünen und liberalen Bewegungen sind darunter auch rechtsextreme Gruppen zu finden. Das neue Jahr 2020 bringt für Europa demnach ein neues Führungsrezept, bei der es aber nach wie vor gilt, die besten Lösungen zum Nutzen der europäischen Bürger zu finden. Der erste Test der neuen europäischen Legislative war die Wahl einer neuen Europäischen Kommission. Keine leichte Aufgabe, da das umstrittene Spitzenkandidaten-Verfahren für die Bestimmung der Kommissionsführung kritisiert wurde.
Den Schlüssel zur Lösung der Probleme brachte schließlich ein Kompromiss — zum ersten Mal übernahm mit der früheren deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Frau die Führung der EU-Kommission. Zum ersten Mal wurden verstärkt auch das Gleichgewicht der Geschlechter, die geografische Position und die politische Identität bei den Verhandlungen für die Ämter berücksichtigt. Umweltschutz und Klimawandel, Wirtschaftswachstum, Integration, Innovation und Digitalisierung sowie der Schutz der Demokratie, der europäischen Werte, der Bürgerrechte und der Rechtsstaatlichkeit sind die Hauptprioritäten der neuen Kommissionspräsidentin, die das Mandat am 1. Dezember von Jean-Claude Juncker übernahm. Am gleichen Tag fand auch die Übergabe der EU-Ratspräsidentschaft statt.
Der Nachfolger von Donald Tusk, der ehemalige belgischer Premierminister Charles Michel, sagte, die Union müsse eine aktive Rolle auf internationaler Ebene übernehmen. Dabei verliert der Akteur EU ein wichtiges Mitglied und einen wichtigen Beitrag zum Unionshaushalt: das Vereinigte Königreich. Der ursprünglich für März 2019 geplante Brexit wurde mehrmals verschoben, geht jedoch nach der Verabschiedung des Gesetzes über das Austrittsabkommen durch das neue Londoner Parlament vonstatten. Der Politologie Andrei Ţărnea bewertet die Lage wie folgt:
Wir befinden uns in einer Phase, in der der Brexit zur Gewissheit wird. Der 31. Januar ist der Moment, in dem Großbritannien durch eine vom britischen Parlament gebilligte Vereinbarung die EU verlässt, aber eine Phase beginnt, die zumindest genauso lange dauern wird und voller Unsicherheiten darüber ist, wie die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU aussehen werden. Die beiden Seiten bleiben Partner, kulturelle und historische Partner, müssen aber die Rechtssprache finden, die ihre wirtschaftlichen Beziehungen definiert, das Verhältnis zwischen ihren Gesellschaften. Es geht hier um den langfristigen Ausblick in eine Vielzahl von Themen, die das Vereinigte Königreich unweigerlich mit Europa verbindet.“
Großbritannien ist das Land mit den größten Militärausgaben in der EU. Ohne das Vereinigte Königreich spielt die Union in Bezug auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik des Kontinents eine viel geringere Rolle. Dies wird ein wichtiges Thema in künftigen Verhandlungen sein, da der Austritt Großbritanniens aus der Union weder die Interessen verändert, die Großbritannien an den Rest des Kontinents binden, noch die Bedrohungen, die Großbritannien und die EU gemeinsam haben. Allerdings ist klar, dass sich die Ausgestaltung — auch die rechtliche Ausgestaltung — dieser Zusammenarbeit maßgeblich verändert.
Für Rumänien, Mitglied der Europäischen Union und der NATO, ist 2020 auch ein Wahljahr — zu Beginn des Sommers finden Kommunalwahlen statt, und im November werden Parlamentswahlen abgehalten, sofern es nicht zu vorverlegten Wahlen kommt, wie die meisten politischen Kräfte sie wollen. Die liberale Regierung von Ludovic Orban, die die Nachfolge des Kabinetts der Sozialdemokratin Viorica Dăncilă angetreten hat, nachdem es im Oktober 2019 durch einen von Parlamentariern aller politischen Farben unterzeichneten Misstrauensantrag gekippt wurde, könnte ebenfalls entlassen werden. Das dürfe eintreten, wenn die Regierung das Wahlrecht so ändert, dass die Wahl der Bürgermeister in zwei Runden erfolgt. Sollte die Regierung dazu die Vertrauensfrage im Parlament stellen oder eine Notverordnung für ein solches Vorhaben erwirken, könnte das eine politische Krise auslösen, die zu vorgezogenen Parlamentswahlen im Frühjahr führen könnte.
Ende 2019 hat die Regierung die Vertrauensfrage über den Staatshaushalt gestellt — eine Premiere in der rumänischen Politik. Es war die einzige Option für Rumänien, den Haushaltsplan für 2020 bis Ende 2019 fertig zu stellen. Er enthält Ausgaben und Verpflichtungen, die durch frühere politische Entscheidungen definiert sind, die die derzeitige Exekutive insbesondere im Hinblick auf die Erhöhung der Renten und Gehälter übernommen hat. Beim Aufbau des Haushalts ging es praktisch darum, das Defizit unter Kontrolle zu halten, sagt der Wirtschaftsanalytiker Aurelian Dochia:
Selbst dieser Lösungsansatz, bei dem das Defizit auf 3,58–3,59% begrenzt wird, ist nicht sehr glaubwürdig, da er auf einer Reihe sehr optimistischer Prämissen beruht. Meiner Meinung nach ist das Wirtschaftswachstumsziel von 4,1% für 2020 höher als das, was die meisten internationalen Prognosen für Rumänien als realistisch ansehen. Ich denke, 2020 wird ein Jahr ohne wesentliche Änderungen bei Steuern und Abgaben, aber nachdem eine neue Regierung ein Mandat der Bürger hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass man sich höhere Steuern überlegt, denn mittel- und langfristig ist die Nachhaltigkeit ein Fragezeichen.“
Laut Aurelian Dochia könnte auch die Inflationsrate höher ausfallen als die Prognose bei der Aufstellung des Haushalts, da genügend Inflationsdruck besteht, und zwar auch zur Abwertung des Leu.