Die in den letzten Monaten in vielen Volkswirtschaften der Welt erfolgte Anhebung des Leitzinses ist das wichtigste geldpolitische Instrument, mit dem eine Zentralbank einer schon zweistelligen Inflation entgegenwirken kann. In Rumänien, wo die jährlichen Teuerungen bei rund 16 Prozent liegen, wird die jährliche Inflationsrate nach Einschätzung von Experten der Zentralbank gegen Ende des Jahres wahrscheinlich noch weiter steigen, wenn auch deutlich langsamer. Grund dafür sind die tendenziell höheren Preise für Erdgas und Strom sowie für Lebensmittel, vor de Hintergrund des Krieges in der Ukraine, der damit verbundenen Sanktionen und der Dürre in Europa. Wir erleben eine noch nie dagewesene Zeit sich überschneidender Krisen, von denen die Energie- und die Preiskrise die wichtigsten sind, sagte unlängst Adrian Vasilescu, Strategieberater des rumänischen Zentralbankchefs Mugur Isarescu.
Die aktuelle Inflation zehre aus ihrer eigenen Vergangenheit, erklärt er. Im September stagnierten zum Beispiel die Preise für Kraftstoffe, Gas und Energie im Vergleich zum August, aber die Lebensmittelpreise stiegen, denn sie wurden von den hohen Energiepreisen der Vormonate beeinflusst. Wie die Zahlen jetzt zeigen, werden die Preise weiter steigen, aber in immer kleineren Schritten, schätzte Vasilescu.
Damit rechnet auch Finanzanalyst Adrian Codirlașu, Vizepräsident von CFA Romania. Er glaubt, dass die Inflation in Rumänien wahrscheinlich erst Ende nächsten Jahres wieder unter 10 % liegen wird: „Wir können immer noch mit Druck rechnen, aber der größte Teil der Inflationwelle liegt hinter uns. Die nächsten Erhöhungen werden recht gering ausfallen, im Sinne von einem Viertel oder einem halben Prozentpunkt. Im nächsten Jahr wird die Inflation wahrscheinlich in der ersten Jahreshälfte allmählich und in der zweiten Jahreshälfte stärker zurückgehen, so dass wir Ende 2023 wahrscheinlich eine einstellige Inflationsrate von etwa 9 % verzeichnen werden.“ Der unberechenbare Kontext, in dem wir uns befinden, macht Prognosen zur Inflationsentwicklung unsicher, erklärt Adrian Codirlașu.
Die Weltlage ist äußerst unbeständig, die Ereignisse überschlagen sich, und es kann zu allen möglichen unangenehmen Situationen kommen, die die Inflation in die Höhe treiben könnten, sagt er. Alle Schätzungen der Fachleute beruhen auf dieser Unsicherheit. Zentralbankexperten weisen darauf hin, dass die Eskalation des Krieges in der Ukraine und die immer schärferen Sanktionen erhebliche Unsicherheiten und Risiken für die Konjunkturaussichten und damit auch für die mittelfristige Entwicklung der Inflation mit sich bringen. All dies sei durch die potenziell größeren und vielschichtigen Auswirkungen auf die Kaufkraft und das Vertrauen der Verbraucher sowie auf die Tätigkeit, die Gewinne und die Investitionspläne der Unternehmen bedingt. Die Notenbank findet, dass im gegenwärtigen Kontext ein ausgewogener makroökonomischer Politikmix und die Durchführung von Strukturreformen, einschließlich des Einsatzes europäischer Mittel zur Steigerung des langfristigen Wachstumspotenzials, von entscheidender Bedeutung für die Aufrechterhaltung der makroökonomischen Stabilität und die Stärkung der Fähigkeit der rumänischen Wirtschaft zur Bewältigung ungünstiger Entwicklungen sind. Die Daten zeigen auch, dass der Konsum in Rumänien deutliche Anzeichen einer Verlangsamung aufweist – keine gute Nachricht, da die rumänische Wirtschaft immer noch in hohem Maße vom Konsumwachstum abhängt. Und Fachleute gehen davon aus, dass in den kommenden Monaten eine noch stärkere Verlangsamung zu erwarten ist. Dieser Trend nimmt zu, da der Winter naht und höhere Versorgungskosten mit sich bringt, erklärte der Wirtschaftsanalyst Constantin Rudnițchi bei Radio Rumänien: “Gut möglich, dass sich das Wirtschaftswachstum in der nächsten Periode nicht auf den Konsum stützen kann, wie es in anderen Jahren der Fall war, denn es ist ein ziemlich kompliziertes Quartal für die Wirtschaft und für die Verbraucher. Die Inflation macht sich bereits bemerkbar, und es ist sicher, dass der Lebensstandard und die Kaufkraft sinken, was sich auch im Konsumtempo bemerkbar machen wird. Tatsächlich befindet sich die gesamte rumänische Wirtschaft in einer Art Pattsituation, wie ich sie nennen würde, in dem Sinne, dass sich auch das Wirtschaftswachstum verlangsamen wird, wie die Daten für das zweite Quartal im Vergleich zum ersten Quartal bereits zeigen. Die Industrieproduktion ist im Vergleich zum Vorjahr rückläufig, die Auftragseingänge der Industrie sind niedriger, das Handelsbilanzdefizit hat sich erhöht, und die Exportdynamik ist geringer als die der Importe,” so Rudnițchi.
In Washington wird in einem Bericht der Weltbank festgestellt, dass die abrupte Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums und die Sorge vor einer weltweiten Rezession die Rohstoffpreise belasten. Da sich die weltweite Konjunkturabschwächung verschärft, dürften die Rohstoffpreise in den nächsten zwei Jahren sinken, aber immer noch deutlich über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre liegen. So sollen die Energiepreise im Jahr 2023 um 11 Prozent und im Jahr 2024 um 12 Prozent sinken. Auch die Preise für Agrarrohstoffe und Metalle werden im nächsten Jahr voraussichtlich um fünf bzw. 15 Prozent sinken, bevor sie sich 2024 stabilisieren.