Wer hat Angst vor den Euroskeptikern?
Der Aufstieg der euroskeptischen, der Anti-System-, rechtsextremen und linksextremen Parteien im Europa-Parlament nach der jüngsten Europawahl verursachte eine Schockwelle und Besorgnis in den westlichen Kanzleien.
Corina Cristea, 06.06.2014, 17:05
Der Aufstieg der euroskeptischen, der Anti-System-, rechtsextremen und linksextremen Parteien im Europa-Parlament nach der jüngsten Europawahl verursachte eine Schockwelle und Besorgnis in den westlichen Kanzleien. Der Sieg der rechtsextremen Front National“ in Frankreich und der europafeindlichen Gruppierung UKIP in Großbritannien beweisen eine Ablehnung der EU in ihrer gegenwärtigen Organisationsweise und der Landeseliten, die sich an der Macht befinden, hieß es in den Kommentaren der Presseagenturen.
Euroskeptizismus, Populismus und sogar Extremismus haben in der Europäischen Union zugenommen — diese Tendenz war schon in den europaweiten Meinungsumfragen zu sehen und wurde durch die jüngste Europawahl bestätigt. In der Zusammensetzung des neuen Europäischen Parlaments behält die christdemokratische Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) immer noch den ersten Platz. An zweiter Stelle bleibt die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D). Die Allianz der Liberalen und Demokraten in Europa (ALDE) belegt den dritten Platz, gefolgt von den Grünen/Freie Europäische Allianz (Grünen/EFA). Auch wenn sie ihre alten Platzierungen beibehalten, haben doch die vier stärksten Gruppierungen des Europäischen Parlaments im Vergleich zum vorigen Mandat etliche Sitze eingebüßt. Eine steigende Tendenz macht sich dagegen bei den radikalen Gruppierungen bemerkbar — gemeint sind radikale Linke und die Gruppierung Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (Gue/NGL). Die Ergebnisse der Europawahl haben somit die Befürchtungen der Kommentatoren in puncto eurofeindliche und euroskeptische Parteien bestätigt.
Es gibt auch gute Gründe für diese Befürchtungen: Die erwähnten politischen Gruppierungen erheben ihre kritischen Stimmen gegen das heutige Europa und setzen auf Kontra-Meinungen“ — sie erklären sich gegen die Immigration, gegen den Schengen-Raum, gegen den freien Personenverkehr, gegen die Gemeinschaftswährung Euro, die sie als schuldig für die Wirtschaftskrise in Europa betrachten; allerdings beteuern sie gleichzeitig, sie wären schließlich nicht für einen Zusammenbruch der Europäischen Union. Es ist leicht zu verstehen, warum immer mehr Europäer sich von diesen radikalen und antieuropäischen Ideen überzeugen lassen, meinen die Kommentatoren von DIÁRIO ECONÓMICO. Die Regierenden haben zu viele Erwartungen nicht erfüllt, sie erlaubten der starren Verwaltung in Brüssel, die Führung zu übernehmen, sie ließen die europäischen Wirtschaften auseinandergehen und ein geteiltes Europa entstehen, in dem nun Reich und Arm, Stark und Schwach sich gegenüber stehen. Mit so viel Unsicherheit ist es also kein Wunder, dass immer mehr EU-Bürger zu Euroskeptikern werden. Über den EU-Wahlkampf und die Europawahl 2014 hatte man vorausgesagt, sie würden ganz anders“ werden. Der rumänische Politik-Kommentator Bogdan Chirieac erklärt:
Im EU-Wahlkampf 2014 ging es um Themen bezüglich der Entwicklungen nach der Wirtschaftskrise. Man sprach nicht über das Europa der Zukunft, sondern über Immigration, Arbeitslosigkeit, Arbeitsplätze — innenpolitische Fragen, die für jeden EU-Staat spezifisch sind. Allgemein betrachtet hat Europa keinen Grund, über den Wahlkampf und die Wahlergebnisse 2014 stolz zu sein.“
Im Vergleich zur Europawahl vor 5 Jahren war aber die Wahlbeteiligung dieses Jahr überraschend hoch, meint der Politikwissenschaftler Cristian Pârvulescu:
Könnte die hohe Wahlbeteiligung sowohl in Europa als auch in Rumänien ein Zeichen dafür sein, dass die Europäer gegen Europa mobil gemacht haben — oder vielleicht nicht? Betrachten wir die Ergebnisse in Frankreich, dann ist das ein klares Ja. Wenn wir uns die Ergebnisse der Europawahl in Belgien oder in Rumänien anschauen, sieht die Lage doch etwas komplizierter aus. Die antieuropäischen rechtsextremen Parteien gewinnen wichtige Parlamentssitze, aber die großen europäischen Parteien und Gruppierungen kontrollieren doch weiterhin das Europäische Parlament, und zwar mit großem Abstand.“
In Rumänien hat die EU-Wahl keine Mandate für Euroskeptiker gebracht. Welcher war aber der große Einsatz der Europawahl in Rumänien? Die Antwort hat Bogdan Chirieac:
In Rumänien ging es vor allem um die Präsidentenwahl im Herbst, und um nichts Anderes. Unsere Politiker haben es nicht geschafft, das Interesse der Rumänen für die Europawahl zu erwecken. Es ist ihnen ganz einfach nicht gelungen. In Rumänien war die EU-Wahl eine besorgniserregende Auseinandersetzung über innenpolitische Themen — ehrlich gesagt, war das nicht einmal eine innenpolitische Auseinandersetzung, sondern eine Reihe von persönlichen Angriffen zwischen Staatspräsident Traian Băsescu und Ministerpräsident Victor Ponta. Diese zwei Herren haben die gesamte politische Bühne und die Massenmedien für sich in Anspruch genommen, und man hat gesehen, was daraus resultierte. Der EU-Wahlkampf war eigentlich eine Wahlkampagne pro und gegen Traian Băsescu. Der große Sieger wurde dabei die Sozialdemokratische Partei (PSD); die Verlierer sind zu diesem Zeitpunkt die National-Liberale Partei (PNL) und die Liberal-Demokratische Partei (PDL). Außerdem zeigt das schwache Wahlergebnis der Partei Volksbewegung (PMP), dass Präsident Traian Băsescu, der ihr nahe steht, meiner Meinung nach aus dem aktiven politischen Leben scheiden muss.“
Bis jetzt hat Rumänien es auf bescheidene Positionen im Europäischen Parlament abgezielt — Vizepräsidenten von EU-Ausschüssen, -Kommissionen oder -Delegationen. Wie sehen die jetzigen Ziele Rumäniens aus? Bogdan Chirieac dazu:
Ich glaube nicht, dass wir spektakuläre Änderungen erleben werden. Wir hatten schon einen EU-Landwirtschaftskommissar, den Rumänen Dacian Cioloş, der vor allem als EU-Kommissar und nicht als rumänisches Mitglied der Europäischen Kommission agiert hat. Der EU-Standard ist also erfüllt; der rumänische Standard und allgemein die Standards der EU-Länder, die Mitglieder im EU-Parlament und in der Europäischen Kommission haben, sollten anders erfüllt werden. Wir dürfen also von den Rumänen, die in Brüssel hohe Ämter belegen, nichts erwarten — sie werden vor allem Rumänien streng kritisieren.“
Rumänien schickt 32 Vertreter ins EU-Parlament. Die linksgerichtete Regierungsallianz, bestehend aus der Sozialdemokratischen Partei, der Nationalen Union für den Fortschritt Rumäniens und der Konservativen Partei (PSD-UNPR-PC) hat 16 Sitze, die mitte-rechts gerichtete National-Liberale Partei (PNL) 6 Sitze und die Liberal-Demokratische Partei (PDL) 5 Sitze. Der mitregierende Verband der Ungarn in Rumänien (UDMR) und die präsidentennahe Oppositionspartei Volksbewegung (Mişcarea Populară, PMP) haben je 2 Sitze. Schließlich sorgte der unabhängige Kandidat Mircea Diaconu für eine Überraschung und sicherte sich auch einen Abgeordnetensitz im Europäischen Parlament.
Audiobeitrag hören: