Viele Krisen und kaum Antworten
Menschenrechtverletzungen haben eine wesentliche Rolle in der Erscheinung oder der Verschärfung vieler aktueller Krisen gespielt - zu diesem Fazit kommt die Organisation Human Rights Watch in ihrem Jahresbericht.
Corina Cristea, 20.02.2015, 16:12
Der in Beirut vom Geschäftsführer Kenneth Roth vorgelegte 25. Jahresbericht der Human Rights Watch ist ein Riesenband von über 650 Seiten — die Organisation prüft darin die Situation der Menschenrechte in über 90 Weltstaaten. Sie kommt dabei zu einem brisanten Schluss: Regierungen sollten auch bei der Korruptionsbekämpfung die Menschenrechte wahren. Es sei zwar richtig, dass die Terrorgruppe Islamischer Staat überall gleich nach der Machtübernahme die Menschenrechte mit Füßen getreten habe; genauso wahr ist aber, dass — so der Bericht — der Islamische Staat nicht aus dem Nichts erschienen ist. Abgesehen von dem Sicherheitsvakuum, dass die amerikanische Invasion im Irak von 2003 hinterließ, haben die sektiererische und willkürliche Politik der irakischen und syrischen Regierungen und die internationale Gleichgültigkeit gegenüber dieser Politik den Islamischen Staat gefördert, besagt der Bericht von HRW. In den vier Jahren des syrischen Bürgerkriegs sind über 200.000 Menschen ums Leben gekommen, wobei die USA und ihre Alliierten zugelassen haben, dass ihre militärischen Schläge gegen ISIL die Versuche überschatten, das Regime Assad von der eigenen Willkür abzubringen. Viele Staaten, darunter Nigeria, Kenya, Ägypten und China haben auf echte und wahrgenommene Terrorismusbedrohungen durch eine willkürliche Politik reagiert, die letztendlich zu Krisen geführt habe. Der Bericht nimmt auch zu dem Angriff auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo Stellung: Die gewaltfreie Meinungsäußerung unter Berufung auf Antiterrorgesetze riskiere, sich hemmend auf die Meinungsfreiheit auszuwirken und andere Regierungen zu ermutigen, ähnliche rechtliche Hebel gegen ihre Gegner einzusetzen, heißt es ferner im Bericht.
Human Rights Watch dokumentiert ausführlich die Menschenrechtsverletzungen in allen Konfliktregionen der Welt und untersucht die Ursachen der großen Krisen, die Millionen von Menschen betreffen. Geschäftsführer Kenneth Roth sagt, dass der arabische Frühling in Konflikt und Repression in den betreffenden Ländern ausgeartet sei — islamistische Extremisten begehen Massenmorde im Nahen Osten sowie in Teilen von Asien und Afrika. In der Ukraine sind für den Kalten Krieg typische Spannungen aufgetreten, es kam zum Abschuss eines Zivilflugzeugs. Es scheint zuweilen, dass die Welt aus allen Fugen bricht, sagte Kenneth Roth. Auf der Grundlage der im letzten Jahr untersuchten Ereignisse kommt Roth zum Schluss, dass viele Regierungen zwar Menschenrechte als bedeutendes Anliegen betrachten, aber Sicherheitsbedrohungen als wichtiger ansehen — Menschenrechte gelten hingegen als Luxus und müssen zurück treten. Dieser Ansatz sei, so die Auffassung von Human Rights Watch, nicht nur falsch, sondern auch perspektivlos und kontraproduktiv. Hinsichtlich der Situation in der Ostukraine beklagt der Bericht, dass unter den Kämpfen die Zivilisten am meisten zu leiden gehabt hätten. Beide Konfliktparteien haben Misshandlungen begangen. Außerdem habe der Krieg in der Ostukraine von den Menschenrechtsverletzungen Russlands auf der Krimhalbinsel abgelenkt — Journalisten und Angehörige der tatarischen Gemeinde, die sich der Annektierung der Krim durch Russland widersetzen, wurden zum Ziel der Übergriffe durch russische paramilitärische Gruppen.
Der Konflikt in der benachbarten Ukraine gibt den rumänischen Verantwortlichen zu bedenken — für Rumänien als Grenzstaat der NATO ist die Befestigung der Ostflanke der Allianz eine absolute Priorität. Auf einem außen- und sicherheitspolitischen Forum der GLOBSEC-Konferenz in Bratislava sprach der rumänische Außenminister Bogdan Aurescu von der in Europa nach dem zweiten Weltkrieg einzigartigen Sicherheitskrise, in deren Verlauf völkerrechtliche Grundsätze verletzt wurden. Aurescu setze sich für einen einheitlichen gemeinsamen Ansatz ein. Trotz vereinbarter Waffenruhe werden aber neue Opfer gemeldet, die Entwicklung bleibt unklar. Professor Iulian Fota, Verteidigungsberater von Ex-Präsident Traian Basescu, deutete in einem Interview mit Radio Rumänien die möglichen Auswirkungen eines Konflikts in nächster Nähe des Landes. „Unsere Sicherheitslage wird von den Ereignissen in der Ukraine in Frage gestellt — sie war aber schon von den Ereignissen in Georgien in 2008 betroffen worden. Die heutige Krise in der Ukraine und der Konflikt im Osten dieses Landes, aber auch die unrechtmäßige Annektierung der Krim betonen die Unsicherheit und die Besorgnis. Die Frage ist, was wir in dieser Situation tun. Wir sind ein zu kleines, allenfalls mittelgroßes Land und haben keine Kontrolle über die internationale Lage – aber wir können unsere eigene Situation kontrollieren. Ich sage deshalb: Die beste Reaktion für Rumänien in einer solchen Situation ist, das eigene Land in Ordnung zu bringen“, so Ex-Präsidialberater Iulian Fota.
Es ist unmöglich zu wissen, was die Zukunft bringt — es bleibt zu hoffen, dass Rumänien nicht in die Situation von beispielsweise 1940 kommt — innerhalb von 48 Stunden musste Rumänien Teile seines Gebiets abtreten und war unfähig, zu reagieren, sagt Iulian Fota.