Verfassungsnovellierung ja – aber wie?
Die rumänische Regierung möchte die Bürger zum Volksentscheid über die geplante Verfassungsänderung aufrufen. Davor aber finden zahlreiche Debatten statt über das, was in der Verfassung abgeändert werden soll.
Corina Cristea, 20.05.2013, 13:33
Die rumänische Regierung möchte die Bürger zum Volksentscheid über die geplante Verfassungsänderung aufrufen. Davor aber finden zahlreiche Debatten statt über das, was in der Verfassung abgeändert werden soll. Dazu wurde auch ein parlamentarischer Verfassungsausschuss gegründet, der alle Themen zusammefassen und besprechen soll.
In Kraft seit 2003, soll die gegenwärtige Verfassung Rumäniens novelliert werden. Dutzende Debatten wurden letzter Zeit darüber im ganzen Land veranstaltet. Nun erarbeitet das Verfassungsforum einen Bericht, in dem die Vorschläge zur Abänderung des Grundgesetzes zusammengefasst und der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollen. Der Meinungsaustausch verfolgte drei Hauptachsen: die territoriumbezogene, die fachspezifische und die akademische. Anschließend wurden in Bukarest Treffen in Partnerschaft mit den Experten der Venedig-Kommission veranstaltet.
Zu den Gedanken, die die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung hervorgehoben haben, zählt der Konflikt zwischen den Staatsgewalten. Somit bezog sich ein Großteil der Debatte darauf. Eine Umfrage, die von Cristian Pârvulescu, dem Vorsitzenden des Verfassungsforums, vorgetragen wurde, ergibt, dass mehr als die Hälfte der Rumänen die Änderung des Aufgabenbereiches und der Verhältnisse zwischen Präsidenten, Regierung und Parlament befürworten. Letztes Jahr hatte die Venedig-Kommission nach der politischen Krise in Bukarest, deren Höhepunkt das Referendum zur Amtsenthebung des Präsidenten war, sogar einen Bericht veröffentlicht, wodurch sie Änderungen oder Klarstellungen in den Verhältnissen zwischen den Staatsgewalten empfohl.
Der Nationalstaatcharakter Rumäniens und dessen Regierungsform als Republik stehen bei diesem Verfahren zur Verfassungsnovellierung aber nicht zur Debatte, sagte unterdessen Professor Cristian Pârvulescu.
Solange wir beim Konzept der Überarbeitung bleiben, kann niemand den Nationalstaat oder die Landessprache antasten, denn die Landessprache kann auch nicht geändert werden. Hier traten auch verschiedene Vorschläge auf, dass auf Regionalebene, dort, wo die Minderheitsbevölkerungen bedeutend sind, eine zweite Landessprache eingeführt werden könne. Es wird mit Sicherheit eine Debatte in dem Ausschuss geben, denn wir haben diese Vorschläge erhalten und wir werden sie in den Bericht des Forums aufnehmen. Auch was die Regierungsform anbelangt, sollen gewiss Gespräche in dem Ausschuss geführt werden. Wenn wir aber bei einer Überarbeitung bleiben, denke ich nicht, dass hier etwas geändert werden kann.“
Cristian Pârvulescu sagt, dass die Abänderung der betreffenden Artikel nicht im Laufe eines Überarbeitungsverfahrens erfolgen kann, sondern nur bei der Erarbeitung einer neuen Verfassung. Die rumänischen Politiker müssen die Änderungen gut abwägen, stellte Jewgeni Tantschew, ehemaliger Vorsitzender des bulgarischen Verfassungsgerichts, zur Zeit Mitglied der Venedig-Kommission, bei seiner Teilnahme an den Debatten in Bukarest klar. Diese müssten sich zwischen verschiedenen Republikarten entscheiden: Präsidialrepublik, Semipräsidialrepublik, Parlamentarische Republik oder Semiparlamentarische Republik. Jewgeni Tantschew:
Mein Eindruck war, dass die meisten Meinungen in Richtung Parlamentarische Republik waren. Aber man kann nicht eine Parlamentarische Republik haben und gleichzeitig den Präsidenten direkt wählen. Es handelt sich um eine Symmetrie zwischen den Staatsgewalten.“
Die Politiker müssen zwischen Einkammer- und Zweikammerparlament wählen. Das Wichtigste ist die Einteilung oder die Kalibrierung der Gewalten zwischen den Institutionen, abhängig von dem ausgewählten Modell. Hinsichtilich der Rechte und Freiheiten empfahlen die Vertreter der Venedig-Kommission eine Erweiterung des anti-diskriminiatorischen Spektrums und bezogen das Alter und die sexuelle Orientierung mit in die Diskussion. Cristian Pârvulescu sagt, dass das am wenigsten beliebte Thema der Verfassungsänderung die Regionalisierung sei. Cristian Pârvulescu erinnerte aber an das, was die Experten aus Polen, ein Land, in dem die Regionalisierung ein Erfolg war, empfehlen. In die Verfassung soll die Anzahl der Gebietskörperschaften nicht festgelegt werden:
Die Regionen in Polen waren nach 2006 wahrhaftige Antriebe des Wirtschaftswachstums. Wie wir sehr wohl wissen, schaffen sie es, europäische Gelder in Form von Strukturfonds aufzunehmen. Die Polen haben weder Landkreise noch Regionen in der Verfassung. Sie haben bloß Kommunen und Städte. Somit ist die Freiheit, die Gebietskörperschaften zu organisieren, dem Parlament überlassen.“
Die staatliche Garantierung des Privateigentums ist ein weiteres Thema, das im Rahmen des Verfassungsforums besprochen wurde. Ministerpräsident Victor Ponta betonte die Notwendigkeit einer besseren Klarstellung in der Verfassung, die die Beschlagnahmung, die Verwahrung und die Enteignung ermöglichen soll, natürlich unter bestimmten Bedingungen, um Missbräuche auszuschließen. Zu diesem Thema äußert sich auch der Verfassungsexperte und Professor für Politikwissenschaften Alexandru Radu:
In der rumänischen Verfassung war das Eigentum bereits seit der Inkraftsetzung des ursprünglichen Texts 1991 eine kontroverse Angelegenheit. Diese Garantieklausel wurde 2003 infolge der damaligen Novellierung eingeführt und wird diesmal mit Sicherheit für Diskussionen sorgen. Dennoch glaube ich nicht, dass der Vorschlag des Ministerpräsidenten für helle Aufregung sorgen wird, denn die Sozial-Liberale Union (USL) verfügt weiterhin über eine ausreichende Mehrheit, um sich vor jeglicher Opposition durchzusetzen.“
Der Bericht des Verfassungsforums soll der parlamentarischen Kommisison zur Überarbeitung des Grundgesetzes vorgelegt werden. Im Herbst soll die Venedig-Kommission dann einen Standpunkt äußern. Von diesem Standpunkt hängt dann ab, unter welchen Bedingungen die aktuelle Regierung in Bukarest die Bürger zum Volksentscheid aufrufen wird.
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