Republik Moldau vor der Stichwahl für das Präsidentenamt: Bleibt das Land auf Europa-Kurs?
Am 20. Oktober haben die Bürger der Republik Moldau in einem Referendum äußerst knapp für eine Verfassungsänderung ihres Landes gestimmt, womit die EU-Mitgliedschaft angestrebt wird. Am gleichen Tag fand auch die erste Runde der Präsidentschaftswahlen im Nachbarland Rumäniens statt.
Corina Cristea und Sorin Georgescu, 01.11.2024, 17:00
Am 20. Oktober haben die Bürger der Republik Moldau in einem Referendum äußerst knapp für eine Verfassungsänderung ihres Landes gestimmt, womit die EU-Mitgliedschaft angestrebt wird. Am gleichen Tag fand auch die erste Runde der Präsidentschaftswahlen im Nachbarland Rumäniens statt. Die Wähler schickten zwei Kandidaten in die Stichwahl: die prowestliche Amtsinhaberin Maia Sandu und Alexandr Stoianoglo, der von der offenkundig prorussischen Sozialistischen Partei unterstützt wird. In der einzigen Debatte vor der Stichwahl am 3. November beschuldigte Maia Sandu ihren Gegner, ein „trojanisches Pferd“ zu sein, durch das andere das Land regieren wollen, und nannte ihn wiederholt einen „Mann Moskaus“.
Die derzeitige Präsidentin hatte Stoianoglo 2021 aus seinem Amt als Generalstaatsanwalt entlassen und ihm dabei vorgeworfen, die Ermittlungen in spektakulären Korruptionsfällen gegen hochrangige Politiker wie den ehemaligen Präsidenten Igor Dodon, den ehemaligen Parlamentsabgeordneten Veaceslav Platon sowie gegen den umstrittenen und flüchtigen Geschäftsmann Ilan Șor eingestellt zu haben. Außerdem habe Stoianoglo das Referendum über die angestrebte EU-Mitgliedschaft des Landes nicht unterstützt, so der Vorwurf von Maia Sandu.
Stoianoglo war tatsächlich einer Stimmabgabe beim Referendum demonstrativ ferngeblieben, behauptet jedoch gleichzeitig, ein starker Befürworter der europäischen Integration zu sein. Er sagt oft, er wolle die freundschaftlichen Beziehungen zu Rumänien und der Ukraine aufrecht erhalten sowie die guten Beziehungen zu Russland und China stärken, die er als „Entwicklungspartner an der Seite der EU“ bezeichnet.
Während des gesamten Wahlkampfs hat die Regierung in Chișinău wiederholt die russische Einmischung in den Wahlprozess angeprangert, was Moskau jedoch abstreitet. Es gebe „eindeutige Beweise“ dafür, dass kriminelle Vereinigungen, die von „ausländischen feindseligen Kräften“ unterstützt werden, versucht hätten, 300 000 Wahlstimmen zu kaufen, hat auch die Präsidentin Maia Sandu öffentlich kundgetan. Bei einer Wahlbeteiligung von 1,5 Millionen Wählern würde das bedeuten, dass 20 Prozent der Stimmen gekauft worden wären.
Im ersten Wahlgang erhielt Maia Sandu fast 43 % der Stimmen und ihr Kontrahent Alexandr Stoianoglo etwa 26 %. Am selben Tag stimmten beim Referendum mehr als 750 000 Bürger für die Änderung der Verfassung im Sinne der EU-Integrationswilligkeit, wobei das prowestliche Lager dank der Diaspora nur um etwa 12 000 Stimmen vorne lag. Das äußerst knappe Ergebnis des Referendums könnte Präsident Maia Sandu in der Stichwahl zum Verhängnis werden, meint der moldauische Politologe Anatol Țăranu. Er glaubt, dass Maia Sandu nicht mehr vom politischen Kapital profitieren kann, das ihr ein überwältigendes Votum für die europäische Integration verschafft hätte.
„Die Tatsache, dass die Abstimmung so knapp ausgefallen ist, schafft sehr ernste Probleme in Bezug auf die Bereitschaft der moldauischen Gesellschaft für eine europäische Option. Und das wiederum bringt jene Politiker in die Bredouille, die dieses Referendum initiiert haben. Man dachte nämlich, dass Maia Sandu nach einem eindeutigen Erfolg des pro-europäischen Lagers mit einem klaren Vorteil im Gepäck in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl gehen würde. Nun war dieser Erfolg nicht so offensichtlich, was Maia Sandus Gegnern die Möglichkeit eröffnet, sie zu kritisieren.“
Der Bukarester Universitätsprofessor und Politikkommentator Ion Bogdan Lefter ist gegenteiliger Meinung: Man habe es jetzt mit einer Neujustierung der Lage zu tun, nachdem die amtierende Präsidentin in der ersten Runde einen beträchtlichen psychologischen Vorsprung errungen hat. Dadurch habe Maia Sandu eine Art Wahlbonus von den Wählern erhalten, meint Lefter.
„Selbst dieser sehr knappe Erfolg mit nur wenig Stimmen über 50 % bei dem von Frau Sandu propagierten Referendum wird eine ähnliche Haltung und Reaktion an der Wahlurne hervorrufen. Wenn wir also nicht nur die Wahlarithmetik, die nackten Zahlen nach der ersten Runde berücksichtigen, sondern auch wahlpsychologische Argumente in die Diskussion einbeziehen, dann glaube ich, dass der Ausgang der zweiten Runde vorhersehbar ist. Es wäre eine große Überraschung, wenn Frau Sandu verlieren würde, und ich glaube nicht, dass wir eine solche Überraschung erleben werden.“
Doch bei den Wahlen und dem vorausgegangenen Referendum stehen auch geopolitische Fragen auf dem Spiel. Es ginge um nichts weniger als die Beseitigung des schädlichen Einflusses Russlands, sagt der Politik- und Militär-Analyst Radu Tudor:
„Leider hat die Republik Moldau russische Besatzungstruppen auf ihrem Staatsgebiet – in der Region Transnistrien. Dieses Gebiet wird von Russland kontrolliert, subventioniert und militärisch versorgt. Seit mehr als 34 oder 35 Jahren wird die Republik Moldau von Russland schikaniert und bedroht. Vergessen wir nicht, dass 1992 300 rumänischsprachige Menschen in Transnistrien von den Russen ermordet wurden, nur weil sie wollten, dass ihre Kinder in der Schule auf Rumänisch unterrichtet werden – und dafür wurden sie umgebracht. Aber diese Bedrohung durch Russland, die wir in Transnistrien sehen, die wir mit der barbarischen Invasion in der Ukraine erleben, muss durch westliche Vorbilder entmutigt werden. Wie klein das Land auch sein mag, wie zerbrechlich Maia Sandu auch erscheinen mag, wenn man Mut, Entschlossenheit und westliche Unterstützung hat, kann man es schaffen. Es geht darum, dass dieses Volk frei ist, dass es nicht mehr Opfer wiederholter russischer Invasionen wird, wie es im Laufe der Geschichte geschehen ist. Und wir wünschen uns, dass östlich wie westlich von Rumänien dieselbe Gesellschaftsordnung herrscht. Mit anderen Worten sollten Frieden, Demokratie und Stabilität an unseren Grenzen herrschen, so dass wir nicht mehr ständig mit einem Schwert über dem Kopf stehen müssen und keine aggressive russische Militärpräsenz mehr vor der Haustür Rumäniens und der NATO haben.“