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Polen: Rechtsstaatlichkeit auf dem Prüfstand

Nach den umstrittenen Maßnahmen der rechtsnationalen Regierung in Warschau hat die Europäische Kommission ein bis dato beispielloses Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in einem EU-Mitgliedsstaat eingeleitet.

Polen: Rechtsstaatlichkeit auf dem Prüfstand
Polen: Rechtsstaatlichkeit auf dem Prüfstand

, 22.01.2016, 17:30

Nach gut acht Jahren ist in Polen die Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) von Jarosław Kaczyński Ende des vergangenen Jahres an die Macht zurückgekehrt. Sie bildet jetzt zum ersten Mal nach 1989 alleine die Regierung und verfügt im Parlament über eine komfortable Mehrheit.



Kurze Zeit nach dem Wahlsieg drückte die neue Regierungspartei eine Reihe von Gesetzesänderungen durch, die in Brüssel mit Sorge zur Kenntnis genommen wurden. Darunter die Reform zur Neuordnung des polnischen Verfassungsgerichts. Fünf der fünfzehn Verfassungsrichter wurden ersetzt, zudem sollen Richter ihre Entscheidung künftig nur noch mit Zweidrittelmehrheit treffen können, statt wie bisher mit einfacher Mehrheit.



Au‎ßerdem ist vorgesehen, dass ein Gremium aus mindestens 13 der insgesamt 15 Verfassungsrichter über die Fälle befindet. Dies wäre eine Abkehr von der bisher gängigen Praxis, die eine weitaus kleinere Zahl von neun Richtern pro Fall möglich machte. Bürgerrechtsgruppen befürchten nun eine drastische Lähmung der Arbeit des Gerichts, das sich künftig mit viel weniger Fällen befassen könne. Das Gericht fiele aus Sicht von Kritikern als Kontrollinstanz der rechtskonservativen Regierung weitgehend aus.



Später nahm die Exekutive auch Änderungen des Rundfunkgesetzes vor, infolgedessen wurden die Führungen der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radioanstalten abgesetzt. Die neuen Intendanten können nur direkt von der Regierung ernannt werden.



Die Europäische Kommission hat infolge der Entwicklungen ein bis dato beispielloses Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in einem EU-Mitgliedsstaat eingeleitet. Der Rechtsstaatsmechanismus, den die Staatengemeinschaft nun zum ersten Mal anwendet, war 2014 geschaffen worden, da die Möglichkeiten zum Schutz der gemeinsamen Werte der EU als unzureichend empfunden worden waren. Hintergrund dafür waren unter anderem umstrittene Verfassungsänderungen in Ungarn, die zu einer Einschränkung der Gewaltenteilung in dem Land führten. Die rechtliche Grundlage für den neuen Mechanismus ist Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union. Danach können bestimmte Rechte eines Mitgliedsstaats, etwa Stimmrechte, aufgehoben werden. Bedingung dafür ist, dass eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung“ der Werte der EU gegeben ist. Ob dies in Polen der Fall ist, bleibt zu prüfen. Jedenfalls sehe sich das Land einer Isolationsgefahr ausgesetzt, glaubt Politik-Experte Janusz Bugajski vom Zentrum für Europapolitik in Washington:



Ich glaube, es besteht derzeit das Problem, dass die aktuelle Regierung das Land innerhalb der EU in die Isolation führen könnte. Es gab bereits eine ähnliche Situation während der letzten Amtszeit der Regierung von Kaczyński und der Partei Recht und Gerechtigkeit. Bereits damals schlug die Regierung einen ultrakonservativen Kurs ein, einen antieuropäischen Weg, der insbesondere zu einer Distanzierung von Deutschland führte. Der Partei wurde vorgeworfen, dass sie die demokratische Entwicklung in Polen bis zu dem Zeitpunkt mit dem Schwamm wegwischen wollte. Die gleichen Züge erkenne ich auch diesmal. Nicht nur, dass sie alle wichtigen Führungspositionen mit eigenen Leuten besetzen, nein, sie ändern auch die Spielregeln, damit sie bestimmte Gesetze noch einfacher verabschieden, die Verfassung ändern und eine viel konservativere Agenda durchsetzen können, was viele in Brüssel vergraulen wird. Ich denke allerdings, dass die Distanzierung von Deutschland ein viel wichtigeres Problem darstellt. Polen hatte unter den früheren Regierungen eine viel engere Beziehung zu Berlin, was dem Land verhalf, sich als wichtiger Akteur innerhalb der EU zu etablieren. Ohne diese enge Beziehung wird Polen aus meiner Sicht zu einem der untergeordneten Akteure der Union werden.“




Der Präsident des Europäischen Parlaments, der deutsche Politiker Martin Schulz, bezichtigte indes die neue polnische Regierung einer Politik nach russischem Vorbild. Die polnische Regierung betrachtet ihren Wahlsieg als Mandat, das Wohl des Staates dem Willen der siegreichen Partei unterzuordnen, inhaltlich und personell. Das ist gelenkte Demokratie nach Putins Art, eine gefährliche Putinisierung der europäischen Politik“, sagte Schulz der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.).



Diese Woche fand im Plenum des Europäischen Parlaments eine Debatte zur Rechtsstaatlichkeit statt. Bert Koenders, der niederländische Au‎ßenminister, der für die niederländische EU-Ratspräsidentschaft sprach, sagte: Die EU ist mehr als ein Binnenmarkt, es ist eine Union, die sich auf gemeinsame Werte stützt — Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte. Diese sind jedoch nicht selbstverständlich, was wir in Europa auf schmerzliche Weise erfahren mussten.“ Die Radio-Rumänien-Korrespondentin in Brüssel, Cerasela Rădulescu, kennt weitere Einzelheiten zur Debatte im Europäischen Parlament:



Die anwesende polnische Premierministerin Beata Szydło bestand darauf, dass die Rechtsstaatlichkeit in Polen nicht verletzt wurde. ‚Die Bürger Polens haben sich für unser politisches Programm in einer demokratischen Wahl entschieden, und nun setzen wir es um, achten dabei aber unsere Verfassung sowie die EU-Verträge‘, sagte Szydlo und fügte hinzu: ‚Der Streit um das Verfassungsgericht in Polen ist politisch, nicht rechtlich, und deshalb eine interne Angelegenheit Polens.‘ Die polnische Premierministerin forderte die EU auf, die Souveränität ihres Landes zu respektieren und hob abschlie‎ßend hervor, dass Polen ein Mitglied der Staatengemeinschaft bleiben werde.“




Die Europäische Kommission wünscht sich derweil eine objektive Untersuchung der Entwicklung in Polen sowie einen Dialog mit den Behörden in Warschau. Unsere Mission ist es, die Situation aus rechtlicher Sicht und im Hinblick auf die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu prüfen“, sagte der erste Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans. Polen werde nach Ansicht des Politikexperten Claudiu Degeratu weder ignoriert noch so drastisch sanktioniert werden können, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte:



Ich glaube, dass die Europäische Union mit diesem Verfahren nicht allzu weit gehen will. Sie hat wahrscheinlich auf bestimmten Druck reagieren müssen, einschlie‎ßlich aus Deutschland oder anderen Ländern. Ich glaube aber nicht, dass es zu einem Bruch in der Beziehung zu Polen, zu einer ernsten Verschlechterung der Beziehungen kommen wird. Ich denke, dass die erste Reaktion und der wichtigste Beitrag zu dieser Entscheidung aus Berlin kamen.“




Es sei ohnehin deutlich geworden, dass eine Verschlechterung der Beziehung zu Polen die allgemeine Stimmung innerhalb der EU beeinträchtigen würde, sagte Claudiu Degeratu abschlie‎ßend.

Das EU-Parlament in Straßburg (foto: Endzeiter / pixabay.com)
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