Nach Schengen „light“: Wann kommt der volle Beitritt zum Freizügigkeitsraum?
Rumänien ist am 31. März zusammen mit Bulgarien dem europäischen Raum des freien Personenverkehrs beigetreten, vorerst allerdings nur mit den Luft- und Seegrenzen.
Corina Cristea und Sorin Georgescu, 05.04.2024, 17:30
Für Rumänien bedeutet dies, dass 17 Jahre nach dem EU-Beitritt Reisende aus und in andere EU-Länder an 17 Flughäfen und vier Seehäfen im ganzen Land keinen Passkontrollen mehr unterzogen werden. Dies ist ein wichtiger Schritt, der viele Vorteile mit sich bringt: „Der Übergang zu dieser neuen Stufe wird dazu beitragen, die Geschäftsbeziehungen zwischen Rumänien und den anderen Mitgliedstaaten, den Tourismus innerhalb der EU und die Beziehungen zu Drittländern zu fördern“, sagte dazu die rumänische Außenministerin Luminița Odobescu.
Im rumänischen Rundfunk sprach Innenminister Cătălin Predoiu über die erheblichen Anstrengungen, die Bukarest seit mehr als einem Jahrzehnt unternommen hat, um diese Phase zu erreichen.
„Rumänien war schon seit 2010 bereit, dem Schengen-Raum beizutreten. Seitdem hat es Maßnahmen ergriffen, um die Kontrollen an den Staatsgrenzen neu zu organisieren, die illegale Migration zu bekämpfen, die internationale polizeiliche Zusammenarbeit zu fördern, die europäischen Rechtsvorschriften umzusetzen, Schengen-Informationssysteme und ein eigenes Informationssystem namens EURODAC einzurichten, um den Transit von Migranten zu kontrollieren. Hunderte von Millionen Euro wurden in diese Projekte investiert, und die Systeme sind nun voll funktionsfähig. Außerdem haben unsere europäischen Partner im Laufe der Jahre acht Bewertungsbesuche durchgeführt, um zu prüfen, ob die Schengen-Kriterien erfüllt sind. Alle diese Besuche wurden erfolgreich abgeschlossen und haben bestätigt, dass wir die technischen Kriterien für den Beitritt erfüllen. Auf der Grundlage dieser Bemühungen in den letzten Jahren, aber vor allem im letzten Jahr, hat das Innenministerium erhebliche Anstrengungen unternommen, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, nicht nur zum österreichischen Innenministerium, sondern auch zu allen anderen Innenministerien der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, zur Europäischen Kommission, dem Europäischen Kommissar für Inneres, zu anderen Partnern Rumäniens. (…) Es ist auch nicht zu übersehen, dass wir jetzt schon Fachwissen bei der Bekämpfung der illegalen Migration und im Bereich der Asylgesetzgebung exportieren.“
Ab dato ist der Prozess des Beitritts Rumäniens zum Schengen-Raum auch mit den Landgrenzen unumkehrbar, doch diese Entscheidung hängt auch von Faktoren ab, die nicht im diplomatischen Einflussbereich Rumäniens liegen, sondern von externen politischen Entwicklungen und Konjunkturen beeinflusst werden, sagte noch Minister Cătălin Predoiu.
„Es ist ein Anfang, und auf der Grundlage dieses Anfangs und je nach den Wahlergebnissen im Herbst in Österreich – dem einzigen Land, das immer noch gegen einen Beitritt Rumäniens mit den Landgrenzen ist – denke ich, dass wir in der Lage sein werden, den nächsten Schritt zu machen“, meint dazu der Politikwissenschaftler Cristian Pârvulescu:
„Ich habe mit zahllosen Österreichern gesprochen, denen es peinlich war, über diese Situation sprechen zu müssen, egal welcher politischer Couleur sie waren. Ich sage, es ist eine Ungerechtigkeit, die Rumänien und Bulgarien angetan wurde. Ich verstehe die politischen Zusammenhänge sehr gut, und man sieht, dass die Gegner des Schengen-Beitritts beider Länder ihre Ziele eigentlich gar nicht erreicht haben. Letztendlich hat diese Situation nur zur Stärkung einer rechtspopulistischen Partei wie die FPÖ geführt und nicht die Volkspartei (ÖVP) von Bundeskanzler Nehammer gestärkt – die Rechnung [der Regierung in Wien] ist also nicht aufgegangen. Daher ist es möglich, dass die Verhandlungen gegen Ende dieses Jahres etwas beschleunigt werden, was auch von der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft und der neuen Kommission abhängt. Es wird auch viele Unwägbarkeiten geben, die aber unter hoffentlich günstigen Bedingungen zu einer Lösung dieses Problems führen könnten, das sich seit 13 Jahren hinzieht.“
In Zahlen ausgedrückt kostet Rumänien die verhinderte volle Zugehörigkeit zum Schengen-Raum jährlich 10 Milliarden Euro. Der Politikwissenschaftler Cristian Pârvulescu ist der Meinung, dass nach Air Schengen, also dem Beitritt Rumäniens zum Schengenraum mit den Luftgrenzen, sich erst zeigen wird, wie schnell die volle Mitgliedschaft kommen kann. Alles hänge von den Entwicklungen ab, die sich aus dem partiellen Beitritt ergeben.
„Es liegt auf der Hand, dass Österreich uns genau beobachten und jeden Fehler als Vorwand nehmen wird, um die Dinge zu verzögern, um die Argumente Wiens zu rechtfertigen. Natürlich wissen wir, dass die Argumente aus Wien zur Migration nicht stichhaltig sind. Die Institutionen der Europäischen Union, allen voran die Grenzschutzagentur Frontex, zeigen anhand der von ihnen veröffentlichten Daten, dass die österreichischen Anschuldigungen jeder Grundlage entbehren. Im Gegenteil – Kroatien, das 2023 mit der Unterstützung Österreichs ohne Bedenken in den Schengenraum aufgenommen wurde, liegt als Land näher an der Balkan-Migrationsroute als Bulgarien und Rumänien.“
Das eigentliche Problem sei jedoch nicht die illegale Migration über oder aus Rumänien, die recht überschaubar sei, sondern die legale Arbeitsmigration aus Drittländern nach Rumänien, meint weiter Professor Pârvulescu. In den Jahren 2022–2023 sind rund 100 000 Arbeitskräfte vornehmlich aus Asien legal nach Rumänien gekommen; für dieses Jahr hat Brüssel die genehmigte Quote erhöht – bis zu 250 000 Arbeitnehmer aus Drittländern dürfen also legal im Laufe des Jahres 2024 nach Rumänien kommen. Das könnte auch Probleme mit sich bringen.
„Die Arbeitsmigranten aus Drittländern müssen sehr genau beobachtet werden, denn sie könnten jederzeit in ein Flugzeug steigen und in westliche Länder fliegen. Wenn sie sich den Kontrollen auf den rumänischen Flughäfen entziehen, werden wir in der Tat ein Problem haben. Viele kommen nach Rumänien, weil sie wissen, dass es hier einen etwas offeneren Arbeitsmarkt gibt, der sie braucht, aber auch, weil sie hoffen, in den Westen gehen zu können – und jetzt gibt es diese Gelegenheit und damit auch die Versuchung.“
Die rumänischen Behörden haben jedoch zugesichert, dass es weiterhin Grenzpolizeistreifen an den rumänischen Flughäfen geben wird, die jeden aufgreifen werden, der gegen das Gesetz verstößt. Menschen aus Drittländern, die zum Arbeiten nach Rumänien kommen, genießen nämlich kein Recht auf Freizügigkeit im gesamten Schengen-Raum.