Nach Amtseinführung Bidens: Wie gespalten bleiben die USA?
Mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden kehrt wieder die Vernunft zurück ins Weiße Haus. Doch das Land bleibt zutiefst zerrissen und muss viele Probleme bewältigen.
Corina Cristea, 22.01.2021, 17:30
Vor dem Hintergrund außergewöhnlicher Sicherheitsmaßnahmen ist die Amtszeit des Republikaners Donald Trump zu Ende gegangen — es beginnt die des Demokraten Joe Biden, der verspricht, dass Amerika unter seiner Regierung wieder bereit sein wird, eine Führungsrolle in der Welt zu übernehmen. Vielen Experten zufolge muss sich der neue Präsident auf die Lage in den USA selbst konzentrieren, wo Millionen von Anhängern Donald Trumps überzeugt sind, dass die Wahl manipuliert wurde. Diese nie belegten Vorwürfe waren von Trump, der vier Jahre lang in Washington durch kontroverse Entscheidungen und Aussagen auffiel, hartnäckig wiederholt. In ihnen wurzelten praktisch auch die gewaltsamen Ereignisse vom 6. Januar, bei denen das Kapitol gestürmt wurde und fünf Menschen ums Leben kamen. Donald Trump wollte Amerika wieder großartig mache und schaffte das Gegenteil davon, bemerkte in einer Analyse bei Radio Rumänien der Chef der hiesigen Redaktion von Radio France Internationale Ovidiu Nahoi, der auch die Konsequenzen ansprach:
Die neue Regierung wird vor allem lange brauchen, um Amerika mit sich selbst zu versöhnen — es ist eine sehr gespaltene Gesellschaft. Und Amerika wird nicht mehr die Zeit haben und die Energie, sich um die großen globalen Probleme zu kümmern, wo amerikanische Werte gefragt sind. Die neue Verwaltung wird nicht die Zeit haben und die Energie, um sich zu engagieren, weil Amerika für eine lange Zeit mit sich selbst beschäftigt sein wird. Ein Jahr, zwei, bestenfalls eine halben Amtszeit, wenn nicht eine volle Amtszeit von Joe Biden wird es dauern, bis diese inneren Wunden heilen, und Amerika an sich arbeitet und sich mit sich selbst versöhnt. Die USA werden also zu einer kleineren Macht, das großartige Amerika, das Donald Trump versprochen hat, wird global kleiner und weniger wichtig. Global ist es ein etwas schwächeres Amerika mit weniger Macht, sich auf die großen globalen Probleme einzulassen.“
Präsident Biden muss im In- und Ausland die Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Menschenrechte wiederherstellen, so der Direktor von Human Rights Watch, einer in New York ansässigen Institution, die beklagt, dass seit vier Jahren demokratische Grundsätze missbraucht werden. In einem Interview mit Reuters vor der Veröffentlichung des Jahresberichts der internationalen Menschenrechtsgruppe sagte Kenneth Roth, dass der damals noch amtierende Präsident Donald Trump die Menschenrechte in seinem eigenen Land verletzt habe und die Bilanz anderer Länder nicht kritisieren könne. Trump hat die Verantwortung für die Gewalt beim Kapitol sowie die Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen abgelehnt und bis zur letzten Minute daran festgehalten, dass die Wahlen manipuliert wurden, um seine politischen Leitlinien Make America Great Again“ und America First“ zu blockieren.
Donald Trump wurde jedoch beschuldigt, den Angriff seiner Anhänger auf das Kapitol eine Woche vor Ende seiner Amtszeit gefördert zu haben und im Repräsentantenhaus wurde ein Amtsenthebungsverfahren angestrebt. Trump ist der einzige Präsident in der Geschichte der USA, gegen den zwei solche Verfahren eingeleitet wurden. Kenneth Roth gibt dem neuen Staatschef auch mehrere Empfehlungen auf den Weg — die USA sollten dem UN-Menschenrechtsrat wieder beitreten, nachdem Trump im Juni 2018 den Austritt aus dem Genfer Forum veranlasst hatte.
Um auf den epidemiologischen und wirtschaftlichen Notstand, die Klimakrise oder das Rassismusproblem zu reagieren, erließ die neue Verwaltung gleich am Anfang mehrere Verordnungen, die einige der umstrittensten sachpolitischen Entscheidungen von Donald Trump zurückdrehen: angefangen vom Einreiseverbot für Bürger aus hauptsächlich muslimischen Ländern bis hin zum Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Pariser Klimaabkommen.
Auf der anderen Seite hat Joe Biden bereits vor der Amtseinführung einen Vorschlag für ein Konjunkturpaket im Wert von 1,9 Billionen US-Dollar vorgelegt, das der Wirtschaft helfen soll, sich zu erholen und die Reaktion der USA auf die Coronavirus-Pandemie zu beschleunigen. Abgesehen von den wirtschaftlichen und gesundheitlichen Herausforderungen bleibt das Problem bestehender Spaltungen in der amerikanischen Gesellschaft angesichts des neuen Chefs im Weißen Haus nach Ansicht von Analysten weiterhin sehr wichtig. Der soziale Zusammenhalt in den Vereinigten Staaten befindet sich auf einem historischen Tiefpunkt — obwohl es sich um einen Staat handelt, der immerhin Segregation, Rassismus und Sklaverei durchgemacht hat, sagt Universitätsprofessor Iulian Chifu, Präsident des Zentrums für Konfliktverhütung:
Wir befinden uns in einer Situation, in der diese Trennungsgräben zugeschüttet werden müssen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt und das Vertrauen in Institutionen, Demokratie und Gerechtigkeit müssen wieder hergestellt werden, und dies kann nicht nur durch politische Gesten geschehen, sondern auch durch eine gesellschaftlichen Untersuchung der Ursachen, durch die Vermeidung von Extremen — auch aus der umgekehrten Sicht der progressiven Positionen und der extremen Linken. Dabei muss mit einem äußerst sensiblen psychologischen Instrumentarium Unterstützung für Menschen gefunden werden, die sich durch den übermäßigen Einsatz von Technologie und sozialen Medien sowie durch Distanz zur Gesellschaft und zur öffentlichen Debatte entfremdet haben.“
Das Schöne an der Demokratie, die Stärke des demokratischen Systems ist aber genau die Fähigkeit, sich neu zusammenzusetzen, zu genesen, die eigenen Wunden zu heilen, sagt Professor Chifu.