Nach Abwahl Trumps: Wird sich die US-Außenpolitik ändern?
Die Wahlen in den USA waren emotionsgeladen wie fast nie – und die Wahlbeteiligung angesichts der laut Analysten tiefsten Spaltung in der jüngeren Geschichte Amerikas beispiellos.
Corina Cristea, 20.11.2020, 17:30
Die Wähler standen in den USA, dem am stärksten von der Coronavirus-Pandemie betroffenen Land, in den Wahllokalen stundenlang Schlange. Mehr als 99 Millionen Amerikaner stimmten im Voraus ab, entweder persönlich oder per Post. Der wahrscheinliche Sieger Joe Biden soll zwar erst Mitte nächsten Monats mit dem Votum der Wahlmänner bestätigt werden, aber die Auswirkungen der Ablösung im Weißen Haus werden bereits jetzt eingehend diskutiert.
Der rumänische Politologe Andrei Țăranu sprach bei Radio Rumänien über die mögliche Entspannung unter einer Regierung Biden:
Intern wird es in den USA wohl einen Versuch geben, die riesige Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft zu überwinden und die Spannungen rassischer und sozialer Natur im Gesundheits- und Bildungssysten zu lösen. Extern ist immer noch nicht ganz klar, was zu erwarten ist. Bestimmt werden sich die transatlantischen Beziehungen verbessern, aber wir wissen nicht, in welchem Ausmaß. Ich denke, dass die Beziehung zu Rumänien ein bereits zementiertes Verhältnis ist. Ich glaube nicht, dass Rumänien Schlimmes passieren kann, und wahrscheinlich passieren bereits gute Dinge. Das State Department hat durch den Botschafter der Vereinigten Staaten in Bukarest gesagt, dass es einige massive US-Investitionen in die Verkehrs-, Kommunikations- und Straßeninfrastruktur geben wird. Und aus meiner Sicht wird sich die Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten nicht grundlegend ändern“.
Laut Universitätsprofessor Dan Dungaciu hat nach Ansicht Donald Trumps alles, was in den drei Jahrzehnten vor 2016 geschah, die USA geschwächt. Deshalb habe sich Trump während seiner Amtszeit auf ein stärker nach innen orientiertes Amerika konzentriert, das seine Ressourcen nicht im Ausland verbraucht, und aus dieser Perspektive hat er das Paradigma der Funktionsweise Amerikas auf globaler Ebene fast radikal verändert.
Donald Trumps These zu den internationalen Beziehungen war, dass Amerika 30 Jahre lang Billionen und Aberbillionen von Dollar ausgegeben hat, um doch den Kürzeren zu ziehen: ohne Sieg in Afghanistan, ohne Sieg im Nahen Osten. Mit Ausnahme der ost- und mitteleuropäischen Staaten ist es ihm kaum gelungen, jemanden aus dem Umkreis der euro-atlantischen Welt an seine Seite zu ziehen. Die Welt, die Amerika 30 Jahre lang aufgebaut hat, war aus der Sicht von Trump eine Welt, die Amerika Ressourcen entzogen hat, Konflikte in der Welt nicht lösen konnte und darüber hinaus Amerikas Feinde wachsen und erstarken ließ. Es ist interessant, zu sehen, ob Bidens Amerika zum Paradigma vor Trump zurückkehrt und seine außenpolitische Vision wieder aufgreift, in der die Welt zu Amerika wird und Amerika zum liberalen Hegemon — wie es 30 Jahre lang der Fall war. Was Biden aus dieser Perspektive tun wird, ist interessant zu beobachten, aber aus meiner Sicht wird Amerika nicht in die Zeit von vor Trump zurückkehren: Wir werden Zeugen eines Amerikas, das an vielen der Themen, die für uns als Europäer von grundlegender Bedeutung sind, nicht mehr interessiert sein wird.“
China ist Amerikas Rivale und sogar Gegner — das ist der Washingtoner Konsens zwischen Demokraten und Republikanern, der in der Öffentlichkeit unterschiedlich verbalisiert wird, und von diesem Standpunkt aus wird sich nichts Wesentliches ändern, sagt Professor Dungaciu, nach dessen Ansicht die kommende Weltordnung um diese Beziehung zwischen Amerika und China herum aufgebaut werden wird:
Dies wird die Gleichung sein, in der wir die Welt auslegen müssen, und so werden wir die strategische und wirtschaftliche Realität der zukünftigen Welt betrachten. Was die Beziehung zu Russland betrifft, so wird sie ebenfalls im Rahmen der Beziehung zu China zu interpretieren sein. Russland ist heute in der Lage, in der sich China in den 1970er Jahren befand. Damals war die große Konfrontation zwischen Amerika und der UdSSR. China pendelte zwischen Amerika und der UdSSR. Russland befindet sich heute in einer Situation, in der es eine dritte Partei im Kampf zwischen den Großen ist. Moskau wird sehr vorsichtig sein, weder gegenüber China noch gegenüber Amerika entscheidende Gesten zu machen, die als absolutes Bündnis wahrgenommen werden könnten. Aus dieser Perspektive sollten wir ein diplomatisches Spiel Russlands erwarten, ausgehend von der Hypothese, dass es nicht mehr ein großer Weltakteur ist, aber das Land kann seine Chancen nutzen oder maximieren. In diesem Kontext wird Russland eine Rolle wie die Europäische Union spielen, als kleiner Akteur in der Auseinandersetzung zwischen Amerika und China. Ein Akteur, den China nicht zufällig mit viel mehr Sorgfalt auf der wirtschaftlichen Ebene seiner bilateralen Beziehungen umwirbt.“
Laut Professor Valentin Naumescu wird es ein Trump-Vermächtnis über seine Amtszeit als Präsident hinaus geben. Der Experte geht auch davon aus, dass die Regierung Biden gute Chancen hat, die Beziehungen zwischen den USA und der EU zu normalisieren — und das ist wahrscheinlich eine der wichtigsten unmittelbaren Folgen der US-Wahl:
Das ist, so wage ich zu behaupten, der Hauptvorteil für Europa und sogar für die Region, in der wir uns befinden, für Mittel- und Osteuropa, denn unser Interesse gilt der NATO, dem Bündnis, das die Sicherheitsgarantien bietet, die Rumänien und Europa im Allgemeinen brauchen. Alles hängt von der Qualität, Stärke und Glaubwürdigkeit der transatlantischen Beziehungen ab, und genau diese Beziehungen wurden in den letzten vier Jahren ernsthaft beeinträchtigt. Es gibt Dinge, die schwer in Ordnung zu bringen sind, die Zeit brauchen, und andere, die nicht wieder da sein werden, wo sie einmal waren.“
Nach Ansicht von Professor Naumescu ist es unvermeidlich, dass bestimmte politische Akzente, Bedenken, einige protektionistische Tendenzen, entweder in wirtschaftlicher Hinsicht oder im Hinblick auf die Erlangung einer globalen Vormachtstellung, fortbestehen und von der nächsten Regierung übernommen werden.