Moldaurepublik auf Europa-Kurs: Bukarest will mit Integration der Energiesysteme helfen
30 Jahre nach Erlangen der Unabhängigkeit ist die Moldaurepublik im Spannungsfeld zwischen pro-russischen und pro-europäischen Kräften immer noch auf der Suche nach dem einem eigenen Weg in eine bessere Zukunft.
Corina Cristea, 10.12.2021, 17:30
Die politischen Irrungen und Wirrungen der jeweiligen Regierungen in Chișinău haben u.a. zu einer beispiellosen Auswanderungswelle geführt — die wirtschaftlichen Missstände bewogen viele Bürger der Moldaurepublik, ein besseres Leben vor allem in Westeuropa zu suchen. Doch die Wahl der reformistischen und pro-europäischen Politikerin Maia Sandu zur Präsidentin des Landes ließ neue Hoffnungen auf eine grundlegende Modernisierung des Staates und seiner Institutionen aufkommen. Die politische Konstellation scheint auch günstig zu sein, denn Regierung und Präsidentin ziehen diesmal an derselben Leine und auch im Parlament sind die reformfreudigen politischen Kräfte in der Mehrheit.
Bukarest unterstützt die Reformbemühungen des Nachbarstaates umgehend und bedingungslos. Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen in der Moldaurepublik war der rumänische Außenminister Bogdan Aurescu der erste hochrangige EU-Politiker, der eine Stippvisite in Chișinău unternahm und eine Vertiefung der Kooperation in Aussicht stellte. Unlängst zog der rumänische Chefdiplomat bei einem Auftritt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Bilanz der Beziehungen zwischen Rumänien und der Moldaurepublik im letzten Jahr. Dabei hob er hervor, dass nach der Wahl Maia Sandus zur Präsidentin im Dezember vergangenen Jahres auch Staatspräsident Klaus Johannis als erster ausländischer Staatschef der Moldaurepublik einen Besuch abstattete. Und seit den vorgezogenen Neuwahlen im Juli dieses Jahres, die eine reformistische und pro-europäische Mehrheit im moldauischen Parlament als Ergebnis hatten, sei Rumänien ständig bemüht gewesen, das Nachbarland nach Leibeskräften zu unterstützen, so der rumänische Außenminister Bogdan Aurescu.
Die bilateralen Beziehungen seien zu einem Punkt anbelangt, in dem die gemeinsamen Prioritäten nicht mehr umgangen werden können, meinte auch der Politikanalyst Vlad Țurcanu, ehemaliger Präsidentenberater in Chișinău, in einem Interview mit Radio Rumänien:
Seit den vorgezogenen Wahlen vom 11. Juli und nach der Amtseinführung der neuen Regierung war man in Chișinău um weitgehende Reformen bemüht, die alle Bereiche des Staatswesens betreffen. Dabei war man sich auch ständig bewusst, dass dies ohne die Unterstützung freundlich gesinnter Staaten wie Rumänien schwierig werden würde. Nehmen wir nur die Gaskrise als Beispiel, als Russland der Moldaurepublik mit der Drosselung der Gaslieferungen drohte. Die Krise ist zwar vorbei, doch der Schreck sitzt noch tief, und die Unterstützung aus Bukarest und anderen europäischen Hauptstädten hat für das politische Klima in Chișinău viel gezählt. Denn es ist beruhigend, zu wissen, dass man im Notfall Gas aus Rumänien erhalten kann — übrigens durch eine Pipeline, die größtenteils mit rumänischer Finanzierung entstanden ist. Die Moldaurepublik hat viele Schwachstellen — im energetischen System, im Informationssystem und in der Sicherheit — unfreundlich gesinnte Staaten werden immer darauf spekulieren und die Schwachstellen auszunutzen versuchen. Diese Risiken hat man lange ignoriert, und gerade das Fachwissen, das Rumänien in diesen und anderen Bereichen hat, wird der Moldaurepublik helfen, die Reformen voranzutreiben.“
Die pro-europäische Regierung in Chișinău erfreut sich einer komfortablen Mehrheit im Parlament — 63 von 101 Mandaten sind reformfreudigen Kräften zuzurechnen. Dennoch werde es nicht leicht sein, die Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen, sagt weiter der moldauische Politikanalyst Vlad Țurcanu. Um aus der Isolation der letzten Jahre herauszubrechen, sei es notwendig, konkrete Kooperationsprojekte zu verwirklichen — und auch hier sei die Unterstützung durch Rumänien von wesentlicher Bedeutung:
Hier haben wir viele Kooperationsschienen, die befahren werden müssen. Die Außenminister Rumäniens und der Moldaurepublik haben einen Zeitplan über die prioritären Bereiche in der bilateralen Zusammenarbeit unterzeichnet. Dazu gehört die Kooperation im Bildungsbereich und die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Zertifikate und wissenschaftlichen Titel. Der wichtigste Punkt auf der Agenda ist jedoch die Infrastruktur — namentlich der Wiederanschluss des energetischen Systems der Moldaurepublik an Stromlieferungen aus der EU. Denn gerade im Bereich Energie liegt einer der vulnerablen Punkte der Moldaurepublik, die ich erwähnt hatte. Zurzeit ist die Moldaurepublik von Energielieferungen vom Wärmekraftwerk in Cuciurgan (Kutschurgan) abhängig, das bekanntlich im Niemandsland Transnistrien liegt. Und die dortigen Machthaber haben immer Blei in den Füßen gehabt und auf russische Befindlichkeiten reagiert, damit sie selbst von Energielieferungen aus Russland nicht abgeschnitten werden.“
Der von Vlad Țurcanu erwähnte Zeitplan für die bilaterale Kooperation ist tatsächlich sehr detailreich — das Dokument wurde während des kürzlich stattgefundenen Besuchs der moldauischen Präsidentin Maia Sandu in Bukarest unterzeichnet, anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Mit der vielseitigen Kooperation soll der Weg für die europäische Integration der Moldaurepublik entscheidend geebnet werden.