Liegt die Zukunft des Bildungswesens im Online-Unterricht?
Der flächendeckende Online-Unterricht ist eindeutig nicht überall möglich – aus materiellen wie infrastrukturellen Gründen. Ist er aber auch erstrebenswert? Zwei rumänische Experten äußern ihre Meinung dazu.
Eugen Coroianu, 01.05.2020, 17:30
Die COVID-19-Pandemie hat die Gesellschaft erheblich verändert, wenn auch nur vorübergehend, indem sie die Interaktionen auf ein absolut notwendiges Maß reduziert hat, das beispielsweise zu Beginn des Jahres unvorstellbar war. Wie in einem Katastrophen-Film aus Hollywood bleiben die meisten Menschen zu Hause, meiden sich gegenseitig und übertragen ihr soziales Leben und ihre Aktivitäten online.
Das Virtuelle scheint in vielen Bereichen des Alltagslebens zur neuen Realität zu werden. Die oft kritisierte virtuelle Welt wird nun gefördert. Es werden Geld, Zeit und sogar Emotionen darin investiert. Und das nicht nur für die Zeit der Pandemie, sondern wahrscheinlich auch für nachher. Eine neue Welt zeichnet sich am Horizont ab, und es bleibt zu entdecken, inwieweit sie sich etablieren wird. Ein Teil dieser möglichen Welt ist auch die Bildung, die in den Tagen der Pandemie auf Online-Plattformen verlagert wurde.
Lehrer und Schüler aller Altersgruppen, aber auch Eltern, jeder von sich zu Hause aus, versuchen eine neue Art der Sozialisierung und Interaktion, um die Schule voranzubringen. Für die einen schwieriger, für die anderen ein Kinderspiel“, für manche finanziell oder technisch fast unmöglich, für die anderen einfach nicht möglich — die Dinge bewegen sich vorwärts in Richtung einer bereits neuen Selbstverständlichkeit, auch wenn mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten.
Wir haben den Vorsitzenden der Rumänischen Akademie, Professor Ioan Aurel Pop, gefragt, wie seiner Meinung nach die Zukunft des Fernunterrichts aussehen könnte.
Ich sehe diese Lösung als eine Notlösung in diesen Augenblicken, in denen wir uns nicht von Angesicht zu Angesicht mit unseren Schülern und Studenten treffen können, aber sie ist keine langfristige Lösung. Die Schule erfordert, seitdem sie von den Griechen und Römern besser organisiert wurde, die Anwesenheit des Lehrers, des Professors, von Angesicht zu Angesicht mit denen, für die ihre Botschaft bestimmt ist. Deshalb glaube ich nicht, dass Fernunterricht eine dauerhafte Lösung ist. Folglich glaube ich nicht, dass es notwendig sein wird, den Unterricht so umzugestalten. Es könnte durchaus vorkommen, dass diese Lösung mehr als bisher angewandt wird, denn Fernunterricht gibt es auch derzeit in den rumänischen und internationalen Hochschulen. Es könnte sein, dass einige Leute ihn bevorzugen, aber ich wiederhole, ich bleibe bei der Meinung, dass der klassische Unterricht, von Angesicht zu Angesicht, mit dem Blick des Schülers in die Augen des Lehrers, mit der Emotion, die der Lehrer vermittelt, durch nichts ersetzt werden kann. Die menschliche Botschaft wird von Menschen zu Menschen übermittelt.“
Das Bildungsministerium in Bukarest unternimmt jedoch einen mutigen Schritt und will die Lehrer auf den Online-Unterricht vorbereiten, damit es für andere Situationen gerüstet ist, in denen Schulen geschlossen werden müssen, wie es während des Notstands geschehen ist. So werden in den Lehrstoff der psychopädagogischen Erstausbildungsprogramme die Disziplinen der didaktischen Ausbildung und der spezialisierten Praxis für die Entwicklung von Fähigkeiten zur Integration von Technologie in den Lehr-Lern-Evaluationsprozess in der voruniversitären Ausbildung eingeführt. Eine Sammlung von Ressourcen, die für die Fortsetzung des Online-Unterrichts benötigt werden, steht Lehrern, Studenten und Eltern bereits zur Verfügung und ist auf einem speziellen Portal gebündelt. Das Bildungsministerium regelt auch die Verpflichtung der Schüler und Studenten fest, an den Online-Kursen teilzunehmen und fordert die Eltern auf, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.
Professor Varujan Pambuccian, Mathematiker und Informatiker, glaubt nicht an die Langlebigkeit dieser Art von Unterricht.
Ich glaube, dass wir nach der gegenwärtigen Krise keine sehr rasche Entwicklung dieser Art des Lernens erleben werden. Denn wenn die Krise vorüber ist, werden wir uns wieder im klassischen Paradigma befinden und dieses vorantreiben. Ich weiß nicht, ob das wünschenswert ist oder nicht, das ist schließlich eine Frage der Notwendigkeit. Ich meine, wir müssen vorsichtig sein — wenn so etwas an einem bestimmten Ort gebraucht wird, dann ja, es ist wünschenswert. Wenn an einem anderen Ort kein Bedarf für so etwas besteht, ist es natürlich nicht wünschenswert. Aber das Problem ist folgendes: Ausgehend von dieser Idee mit der flächendeckenden Einführung von Computern, bei der wir überall das Label »E« draufsetzen, hat es Länder gegeben, die die Dinge in die falsche Richtung zwangen — meiner Meinung nach. Ich wiederhole: Lernen ist ein sozialer Prozess, Lernen ist die Entdeckung zusammen mit einem Betreuer — dem Lehrer — einiger Dinge, die die Gesellschaft sich wünscht, dass sie von den Kindern entdeckt werden. Das ist hier sehr wichtig. Diese Sache mit der gemeinsamen Entdeckung, mit dem sozialen Prozess des Lernens, wenn wir darüber nachdenken, geht von unserer mentalen Struktur der Anthropoiden aus und hat sich nicht radikal verändert. Hier müssen wir eine Lösung finden, um das, was in unserer kulturellen DNA sehr gut verankert ist, online zu bringen. Ansonsten kann es für uns natürlich sehr leicht aufregend werden, es kann sehr einfach sein, zu versuchen, die Dinge zu erzwingen, aber die Dinge werden in ihre normale Laufbahn zurückkehren, weil das die Art und Weise ist, wie unser Gehirn aufgebaut ist.“
Andererseits gibt es eine Reihe von konkreteren Fragen, die von verschiedenen Vertretern der Zivilgesellschaft in den Vordergrund gebracht werden, wie z.B. der Internetzugang in ländlichen oder abgelegenen Gebieten, die finanzielle Leistungsfähigkeit von Eltern und Lehrern, die Möglichkeit der Beaufsichtigung von Kindern, IT-Kenntnisse, die logistische Unterstützung, die von den Schulen geleistet werden kann.
Laut einer Studie waren in Rumänien Zoom, WhatsApp, Google Classroom und Facebook die am meisten genutzten Ressourcen im Fernunterricht während der Aussetzung des Unterrichts und der Vorlesungen. 36% der teilnehmenden Lehrer und Schulleiter gaben an, dass sie Kurse über den Einsatz digitaler Werkzeuge besucht hätten. Nur einer von fünf Lehrern gab an, vor der Aussetzung des Unterrichts einen Laptop benutzt zu haben, und 19% gaben an, einen Beamer benutzt zu haben. Nur einer von zehn benutzte digitale Websites und Plattformen und 7% benutzten digitale Lehrbücher im Klassenzimmer. Am häufigsten benutzen die Schüler und Studenten die Plattform für Mathematik, gefolgt von den Fächern Rumänische Sprache und Literatur und Fremdsprachen.