Kultur als nationales Identifikationsmerkmal
2010 wurde der 15. Januar, der Geburtstag des Dichters Mihai Eminescu, zum Tag der Nationalen Kultur erklärt. Dieses Jahr wird er in Zusammenhang mit dem hundertsten Jubiläums der Großen Vereinigung Rumäniens gefeiert.
Corina Cristea, 19.01.2018, 17:30
Überall in Rumänien und im Ausland finden Veranstaltungen zum Tag der Nationalen Kultur statt. Aber es ist auch ein Augenblick, in dem man über die Probleme diskutiert, mit denen Rumänien konfrontiert ist. Zu Gast bei Radio Rumänien erklärt der Historiker Alin Ciupală, Professor an der Bukarester Universität, warum ein Tag der Nationalen Kultur notwendig ist.
Wir brauchen einen Tag, an dem wir an unsere nationale Kultur erinnern, an dem wir uns erinnern, dass wir Rumänen sind. Aber darüber hinaus denke ich, dass es über diesen Augenblick hinaus wichtig ist, daran zu denken, was wir heute für die rumänische Kultur unternehmen. Denn egal ob wir das wahrgenommen haben oder nicht, ob wir dazu beigetragen haben oder nicht, sind wir in eine neue Etappe unserer Geschichte eingetreten. Eine Etappe, die wir als postnational bezeichnen können und auf unseren EU-Beitritt zurückzuführen ist. Das heißt nicht, dass wir vergessen dürfen, wer wir sind. Die Europäische Union wünscht uns nicht, um einen bewährten Ausdruck zu verwenden, als Bürger von nirgendwo. Sie wünscht uns dort als Rumänen, aber es hängt von uns ab, wie wir es schaffen, uns als Rumänen zu empfinden, nicht nur als Europäer. Inwiefern schaffen wir es, etwas Konkretes zu unternehmen, um diese nationale Identität zu wahren, vor dem Hintergrund, dass wir immerhin in einer globalen Ära leben? Wir leben in einer Ära, in der der Verkehr frei ist, in der Werte aus aller Welt Rumänien erreichen, nicht nur Lebensmittel. Und ich denke, dass das in erster Linie unser Problem ist.“
Die rumänische Kultur sei ein äußerst empfindliches System. Es System, das trotz der öffentlichen Kulturpolitik, die mehr oder weniger einfallsreich ist, sich anzupassen schafft, so Professor Ciupală noch. Denn Rumänien verfüge über eine wertvolle und wichtige Kultur, die auch im Ausland wahrgenommen werde und nichts mit der Kulturpolitik in Rumänien zu tun hat. Es handle sich um eine authentische rumänische Kultur, die nicht von der Regierung subventioniert wird, egal wer gerade regiere.
Der Globalisierungsprozess befindet sich in vollem Aufschwung und wir können diesen nicht vermeiden. Aber jedes Land hat eine eigene Kultur, Geschichte und Zivilisation, die es nicht aufgeben darf. Traditionen müssen gewahrt und weitergeführt werden. Gehen diese verloren, dann verzichten wir auch auf unsere Identität, erklärte unterdessen der Luteraturwissenschaftler Eugen Simion, Mitglied der Rumänischen Akademie. Er würde sich eine stärkere Involvierung vonseiten der Politik wünschen.
Ich habe keine einzige Partei gesehen, die sagen würde: Die Kultur ist ein wesentlicher Bestandteil der nationalen Identität. Was manchen wir damit? Wir müssen eine eigene Kulturpolitik haben. Wir müssen ein Landesprojekt haben, wie man es üblicherweise bezeichnet. Die rumänische Kultur ist Aufgabe der Rumänen, Aufgabe der Leute, die sich um dieses Land kümmern, der Politiker in erster Linie. Leider ignorieren sie sie.“
Die Nationale Kulturidentität werde bei der Befolgung des europäischen Fahrplans Rumäniens nicht marginalisiert, erklärte in seiner Ansprache anlässlich des Tages der Nationalen Kultur Staatschef Klaus Iohannis. Er machte sich aber gleichzeitig Sorgen um den Zustand der Kulturinstitutionen:
Ein Drittel der Rumänen lesen nicht einmal ein Buch pro Jahr. Unser Land hat keine Kinos mehr und die rumänische Sprache fällt der öffentlichen Rede zum Opfer. Bei der Feier des hundertsten Jubiläums muss sich Rumänien vornehmen, eine große Vereinigung auch um seine Kultur zu vollbringen. Die großen bilateralen Kulturvorhaben, die die Jahre 2018 und 2019 kennzeichnen werden, und die EU-Präsidentschaft sind gute Anlässe, um diese Route einzuschlagen. Es ist keine leichte Aufgabe, doch deren Umsetzung würde die Kapazität Rumäniens unter Beweis stellen, für das gemeinsame europäische Haus durch Kultur Werte zu schöpfen.“
Die Rumänische Akademie hat den Tag der Nationalen Kultur durch ein Symposion unter den Stichworten Die rumänische Kultur zur feierlichen Stunde — das hundertste Jubiläum der Großen Vereinigung“ gefeiert. Die Vertretungen des Rumänischen Kulturinstituts im Ausland haben zahlreiche Kulturereignisse veranstaltet, darunter Poesie-Lesungen, Konzerte, Ausstellungen, Theaterschauspiele, Literaturveranstaltungen, Filmvorführungen und Tagungen. Die Veranstaltungen dieser Tage werden sowohl dem Tag der Nationalen Kultur gewidmet als auch dem Debüt einer weitgehenden Projektreihe anlässlich des hundertsten Jubiläums seit der Großen Vereinigung — ein historischer Prozess, infolgedessen alle historischen Provinzen, die mehrheitlich von Rumänen bewohnt waren, sich 1918 zum Nationalstaat Rumänien zusammengeschlossen haben. Vorangehende Etappen waren die Vereinigung der Donaufürstentümer Moldau und Walachei im Jahr 1859, die Erlangung der Unabhängigkeit infolge des Krieges von 1877-1878, vor dem Hintergrund der nationalen Wiedergeburt der Rumänen im 19. Jh. Die Vereinigung Bessarabiens, der Bukowina und letztendlich Siebenbürgens, des Banats und des Kreischgebiets mit dem sogenannten Alten Königreich Rumänien führten zur Gründung Großrumäniens. Dieses war auch dar Ziel des Eintrittes Rumäniens in den Ersten Weltkrieg an der Seite der Entente.