Künstliches Blut – eine nobelpreisträchtige Erfindung?
Ein Forscherteam aus Rumänien hat ein Rezept für künstliches Blut entwickelt. Die blutähnliche Emulsion könnte in der Notfallchirurgie angewendet werden.
Corina Cristea, 20.12.2013, 19:09
Ein Forscherteam aus Rumänien hat ein Rezept für künstliches Blut entwickelt. Die blutähnliche Emulsion könnte in der Notfallchirurgie angewendet werden. Bisher wurde das Produkt zwar nur an Mäusen getestet, die Wissenschaftler sind aber zuversichtlich, es eines Tages auch an Menschen anwenden zu können.
Rumänische Forscher an der Universität in Cluj (Klausenburg) haben synthetisches Blut entwickelt, das bei medizinischen Notfällen als Ersatz für Blutkonserven zum Einsatz kommen könnte. Ausgangsstoff für das künstliche Blut ist Hämerythrin, ein Sauerstoff transportierendes Protein, das bei einigen wirbellosen Meerestieren vorkommt. Die Fachleute meinen, dies sei eine Erfindung, die den Nobelpreis für Medizin verdienen würde, aber die Unsicherheit betreffend deren Finanzierung in Rumänien könnte das ganze Projekt gefährden. Was ist eigentlich das künstliche Blut? Eine erste Antwort kommt von Radu Silaghi-Dumitrescu, dem Leiter des Forscherteams, das seit 2007 an diesem Projekt arbeitet:
Das ist kein permanenter Blutersatz, sondern vielmehr eine Übergangslösung, die dem menschlichen Körper erlaubt, die eigene Blutversorgung zu regenerieren. Das ist ein Stoff, den man in Notfällen einsetzen könnte, wenn das Opfer viel Blut verloren hat. Der erste Noteingriff wäre, eine solche Übergangslösung in den Kreislauf einzuführen, damit das Herz weiterhin Sauerstoff an die Organe liefert. Das ist kein endgültiger Ersatz für das natürliche Blut; das menschliche Blut hat viele anderen Funktionen, es enthält zum Beispiel spezielle Körperchen, die fürs Immunsystem unentbehrlich sind.“
Das Neue an der rumänischen Erfindung ist, daß die Ersatzflüssigkeit genauso wie das natürliche Blut den Sauerstoff transportiert, daß sie vollkommen keimfrei ist und als Syntheseprodukt in unbegrenzten Mengen im Labor hergestellt werden kann. Zum Herstellen von syntethischem Blutersatz wurde Hämerythrin, ein Protein aus Seewürmern, verwendet. Dieses Protein enthält Eisen, wie das Eiweiß Hämoglobin, das im natürlichen Blut enthalten ist, und hat einen höheren Widerstand gegen Stressfaktoren. Anfangs wurde Hämerythrin aus Blut von Seewürmern gewonnen; nun wird es mit Hilfe von genetisch veränderten Bakterien im Labor hergestellt. Neben dem Protein Hämerythrin enthält die Flüssigkeit Wasser, verschiedene Salzverbindungen und bei gewissen Präparaten auch Albumin, ein weiteres Protein als Schutzelement vor Stressfaktoren. Radu Silaghi-Dumitrescu mit weiteren Details:
Seit einigen Jahrzehnten versuchten die Forscher, das Problem des künstlichen Blutes zu lösen. Meine Chance war, daß ich über Jahre hinweg in zwei verschiedenen Forscherteams arbeitete. Erstens war ich Mitglied eines Teams in den Vereinigten Staaten — dort studierte ich gewisse Moleküle, die aber mit dem Blut nicht zu tun hatten, sie waren bloß Transportmittel, Instrumente im Forschungsverfahren. Dann arbeitete ich in einem Forscherteam in Großbritannien, das sich mit dem künstlichen Blut beschäftigte. Aus den zwei Erfahrungen ergab sich eine mögliche neue Lösung, und als ich nach Cluj zurückgekehrt war, versuchte ich, diese Lösung praktisch umzusetzen. Zum Glück erklärten sich unsere Kollegen aus den USA und Großbritannien bereit, uns bei den Forschungen in Cluj zu unterstützen.“
Radu Silaghi-Dumitrescu präzisierte, daß das synthetische Blut nicht länger als zwei Tage im Körper bleiben darf, weil es sich nicht um einen permanenten Blutersatz handelt:
Unser Ziel war, eine Flüssigkeit zu entwickeln, die vorübergehend den Körper mit Sauerstoff versorgt, bis die eigene Blutversorgung wieder funktioniert oder bis der Patient echtes menschliches Blut von Spendern erhält.“
Das Besondere an diesem synthetischen Blut ist der Einsatz des Proteins Hämerythrin, das Stressfaktoren deutlich stärker widersteht. Die Kunstblutreserve wurde den Forschern zufolge erfolgreich an Mäusen getestet. Dabei gelang es, das Blut der Mäuse gegen synthetisches Blut auszutauschen, ohne dass es zu Abstoßungserscheinungen kam. Die Mäuse hatten den Ersatz maximal einen ganzen Tag im Körper, bis sich ihr körpereigenes Blut wieder regeneriert hatte. Weitere Vorteile der Hämerythrin-Konserve: Sie wäre blutgruppenübergreifend einsetzbar, müsste nicht gekühlt werden und könnte langfristig aufbewahrt werden. Auch der Einsatz von Instant-Blut wäre in Zukunft denkbar, zum Beispiel in Krisen- oder Kriegsgebieten. Bis zur Anwendung am Menschen sind allerdings noch weitere Forschungen nötig. Radu Silaghi-Dumitrescu dazu:
Wir bräuchten noch etwa zwei Jahre, um das Produkt auf Zellkulturen und Versuchstieren zu testen. Wir müssen sicher sein, daß keine Nebenwirkungen auftauchen. Der nächste Schritt wären dann die Tests auf freiwilligen menschlichen Versuchskandidaten. Wenn diese Versuche, die weitere zwei bis drei Jahre dauern könnten, mit Erfolg abgeschlossen werden, könnten wir eine Genehmigung für die Verwendung von künstlichem Blut in Krankenhäusern beantragen.“
Es gab schon mehrere Unternehmen, die sogar mit Unterstützung der US-Armee versucht hatten, künstliches Blut herzustellen, aber die meisten dieser Unternehmen sind gescheitert, weil die klinischen Tests nicht die erhofften Ergebnisse brachten. Radu Silaghi-Dumitrescu ist aber zuversichtlich, daß synthetisches Blut in Rumänien hergestellt werden kann:
Ich bin sicher, daß wir es schaffen werden. In Cluj und auch in anderen rumänischen Großstätden arbeiten viele Fachleute und Forscher, wir besitzen das Know-How, es gibt auch mögliche Investoren und finanzielle Ressourcen, um diese Idee zu verwirklichen. Letzten Endes ist es nicht so wichtig, wo das künstliche Blut hergestellt wird, aber ich bin davon überzeugt, daß wir es auch in Rumänien produzieren können.“
Die rumänischen Forscher hoffen, in den nächsten Jahren klinische Tests mit Blutersatz an Menschen durchführen zu konnen. Ferner beabsichtigt das Team, künstliches Blut mit viel niedrigeren Herstellungskosten zu produzieren, als zurzeit die Vorbereitung von menschlichem Blut für Transfusionen kostet.
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