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Kontroverse um Massaker im Ersten Weltkrieg: Was lehrt uns die armenische Geschichte?

Papst Franziskus hat die diplomatischen Beziehungen zur Türkei mit seinen Aussagen zum Massaker an den Armeniern vor hundert Jahren nahezu auf Eis gelegt. Im Petersdom zu Rom sprach er im zeremoniellen Rahmen von einem Völkermord.

Kontroverse um Massaker im Ersten Weltkrieg: Was lehrt uns die armenische Geschichte?
Kontroverse um Massaker im Ersten Weltkrieg: Was lehrt uns die armenische Geschichte?

, 01.05.2015, 12:18

Die Menschheit habe im vergangenen Jahrhundert drei gro‎ße, unerhörte Tragödien“ erlebt, zunächst jene, die als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts“ angesehen werde und die das armenische Volk traf, sagte der Papst zur Begrü‎ßung des armenischen Staatspräsidenten Sersch Sargsjan vor Beginn einer im armenischen Ritus gefeierten Messe im Petersdom. Dabei zitierte er ein im Jahre 2000 von Papst Johannes Paul II. und dem armenischen Patriarchen unterzeichnetes Dokument. Den Völkermord an den Armeniern stellte Franziskus in eine Reihe mit den späteren Völkermorden des Nationalsozialismus und des Stalinismus.



Jerewan behauptet, dass 1,5 Millionen Armenier und damit knapp die Hälfte der damaligen armenischen Bevölkerung zwischen 1915 und 1917, den letzten Existenzjahren des Osmanischen Reiches, getötet wurden. Die Opfer der Massaker wurden von der Armenischen Kirche heiliggesprochen. Die Türkei lehnt die These entschlossen ab, wonach das Osmanische Reich die systematische Beseitigung der armenischen Bevölkerung im Ersten Weltkrieg geplant hätte. Istanbul ist ferner nicht mit dem Gebrauch des Begriffs “Völkermord” in diesen Zusammenhang einverstanden, ein Begriff, den Armenien, zahlreiche Historiker und weitere 20 Staaten einschlie‎ßlich Frankreich, Italien und Russland verwenden.



Jetzt reagierte Ankara vehement auf die Äu‎ßerungen von Papst Franziskus. Bei den Vorfällen habe es sich vielmehr um einen Bürgerkrieg gehandelt, bei dem zwischen 300.000-500.000 Armenier und ebenso viele Türken starben. Einige Mitglieder des Europäischen Parlaments wurden von der türkischen Regierung zudem eines “religiösen und kulturellen Fanatismus” bezichtigt. Das, weil sie eine Resolution zum Gedenken an die armenischen Opfer der Hinrichtungen und Massendeportationen der letzten Jahre des Osmanischen Reiches angenommen hatten. Die Legislative der EU versuche die Geschichte neu zu interpretieren, hie‎ß es aus diplomatischen Kreisen der Türkei. In der Resolution zum 100. Jahrestag der Massaker während des Ersten Weltkriegs wird die Türkei als völkerrechtlicher Nachfolger des Osmanischen Reiches zur Aufarbeitung der Vergangenheit und zur Anerkennung des Genozids an den Armeniern aufgerufen. Es gebe eine Eklärung für die Haltung Ankaras, wei‎ß Professor Consantin Hlihor.



Im Völkerrecht hat diese Art von dramatischen Ereignissen einen dunklen Schatten auf die Staaten geworfen, die eine ähnliche Politik zur Beseitigung einer Volksgruppe, einer Nation geführt haben. Das extrem negative Image bleibt haften, wenn man sich etwa auf die Ereignisse Mitte des vergangenen Jahrhunderts während des Zweiten Weltkriegs bezieht, auf die von Hitlerdeutschland gegen die Juden begangenen Verbrechen und die von Stalin gegen die eigene Bevölkerung.



Überhaupt sollte die Geschichte als Brücke zwischen den Nationen dienen und zur Stabilität und Zusammenarbeit beitragen, glaubt Constantin Hlihor. Auf keinen Fall sollte sie zum destabilisierenden Faktor werden, der zu Hass und Auseinandersetzungen führt. Zwei Aspekte müsse man in Zusammenhang mit dem armenischen Drama berücksichtigen, erklärt Constantin Hlihor.



Es geht zum einen um den historischen Aspekt, man muss die Wahrheit über die Tragödie der Armenier im Ersten Weltkrieg erfahren. Dann gibt es den politischen Aspekt, der die Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Staaten um die Definition der Ereignisse von damals betrifft. Die Türken lehnen den Begriff Genozid ab, weil die Definition ihrer Ansicht nach relativ spät, nach dem Zweiten Weltkrieg, ins Völkerrecht aufgenommen wurde und sie andere historische Ereignisse betrifft als jene Anfang des 20. Jahrhunderts. Eines ist aber unabhängig des Blickwinkels klar: Ein Volk des Südkaukasus, das armenische Volk, hat diese tragischen Ereignisse erleben müssen, weil es Teil eines Reiches war, das dabei war, seine Machtstellung in den internationalen Beziehungen zu verlieren. Das armenische Volk war Teil einer osmanischen Gesellschaft, die mit ihren Modernisierungstendenzen gescheitert war und in eine neue Entwicklungsetappe trat. Die damaligen Ereignisse kann und darf das kollektive Gedächtnis heute nicht vergessen. Andererseits dürfen historiographische Kontroversen, die bei Aufarbeitung der Vergangenheit normal sind, keine politische Dimension erhalten. Denn die Geschichte darf die Völker nicht auseinander bringen, die historische Wahrheit sollte Gemeinschaften von Menschen nicht zu feindlichen Gesten anstiften. Die Geschichte muss als Verbindungselement dienen, das für mehr Stabilität, mehr Vertrauen und Zusammenarbeit sorgt.



Ist es dann nur eine Image-Angelegenheit oder spielen die möglichen Entschädigungen eine Rolle? – fragten wir Professor Constantin Hlihor.



Es stellt sich die Frage der Entschädigungen für die Angehörigen der Opfer der dramatischen Ereignisse, die in der Stadt Van ihren Lauf nahmen, der Armenier die in die syrische Wüste deportiert wurden. Diese Ansprüche stehen nicht in Verbindung mit der Geschichte, sondern mit dem Völkerrecht. Armenien oder irgendjemand müsste ein Verfahren einleiten, ähnlich wie der Prozess gegen das Nazi-Regime nach dem Zweiten Weltkrieg und erst dann kann über Entschädigungen verhandelt werden.



Rumäniens Au‎ßenminister und Berater des Ministerpräsidenten Titus Corlăţean hat indes in einem Statement darauf hingewiesen, dass Bukarest den Dialog zwischen der Türkei und Armenien in der heiklen Angelenheit befürwortet. Im Laufe der tragischen Ereignisse vor 100 Jahren haben Wohltätigkeitsverbände, Diplomaten, Ärzte und einfache Bürger den ins Exil vertriebenen Armeniern geholfen. Rumänien zählt zu den Ländern, die den Zehntausenden armenischen Flüchtlingen Asyl gewährten.

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