Ist der Dschihad in Europa angekommen?
Scharm El-Sheikh, Beirut, Paris, Bamako – in weniger als einen Monat haben die Dschihadisten Anschläge auf drei Kontinenten verübt, die hunderte Tote hinterlassen haben.
Bogdan Matei, 04.12.2015, 18:30
Scharm El-Sheikh, Beirut, Paris, Bamako — in weniger als einen Monat haben die Dschihadisten Anschläge auf drei Kontinenten verübt, die hunderte Tote hinterlassen haben. Brüssel, der Verwaltungssitz der Europäischen Union und der Nato, stand tagelang lahm unter der Angst ähnlicher Angriffe. Die Presse in den Nachbarstaaten warf den belgischen Behörden vor, sie hätten das zugelassen, was die Journalisten die Gründung eines wahrhaftigen Dschichadistenquartiers in Brüssel nennen. Hirnlose, die ihre tödliche Inbrunst religiös begründen, befinden sich bereits im Herzen Europas. Bereits seit Anfang letzten Jahres hatte der ehemalige Kremlberater Andrei Illarionow, der danach in die Ungnade von Wladimir Putin gefallen ist, über die Risiken eines sogenannten islamischen Frühlings“ in Westeuropa gewarnt. Westeuropa, sagte er, ist verletzlicher als je zuvor. Die EU verfügt nicht über die Fähigkeit, sich zu mobilisieren, um die Krisen, mit denen es konfrontiert wird, zu lösen — glaubt der ehemalige Chefunterhändler Rumäniens mit Brüssel, Professor Vasile Puşcaş. In einem Interview mit Radio Rumänien spricht er über eine fehlende koordinierte Reaktion in der Flüchtlingskrise und über die Abwesenheit eines gemeinsamen Plans gegen den Terror.
Es ist eine Formel, die auch während der internationalen Finanzkrise keine Ergebnisse gebracht hat. Man weiß sehr wohl, dass die Beschlüsse auf EU-Ebene verspätet und uninspiriert getroffen wurden. Nun sehen wir in der Flüchtlingskrise die Unfähigkeit, die europäische Gesetzgebung umzusetzen. Lassen Sie uns etwas klarstellen! Bereits seit 2007 gibt es Maßnahmen, die von den europäischen Institutionen getroffen wurden, die eine Reaktion der Staaten in einem derartigen Fall vorschreiben. Keiner war vorbereitet, keiner hat die Beschlüsse umgesetzt, die sich sowieso gleichzeitig mit der Vertiefung der Krise ändern. Nun haben wir eine andere Krise — die des internationalen Terrors. Jetzt kommt wieder die Frage der Beschlüsse auf, die nicht nur einen Staat betreffen, nicht nur eine Unterregion der Union, sondern die ganze EU.“
Es gibt den Beweis, dass die Metastasen des Dschihad den ganzen Kontinent befallen haben. Auch wenn sie nur ungerne tun, beginnen die Befürworter der politischen Korrektheit zuzugeben, dass sich die Keime in den immer zahlreicheren muslimischen Gemeinschaften auf dem Kontinent befinden. 2010 lebten hier 44 Millionen Muslime, das heißt sechs Prozent der Bevölkerung, 19 Millionen allein in den EU-Staaten, was 4% des Gesamten entspricht. Wenn sowohl der Einwanderungszufluss als auch die Geburtenrate aufrecht bleiben, dann werden es 2050 fast 60 Millionen sein. Das heißt, dass einer von zehn europäischen Bürgern ein bekennender Muslim sein wird.
Zitiert von unserer Radio-Rumänien-Korrespondentin in Madrid, meinen spanische Experten, dass nach dem Pariser Anschlag auch andere ähnlichen Ausmaßes folgen können und dass das Anwerbungsphänomen von Personen, die solche Anschläge begehen, eine Umwandlung verzeichnet hat. Wenn das Abdriften in den Extremismus bis neulich hauptsächlich in Moscheen stattfand, ist nun das Online-Medium das bedeutendste Radikalisierungswerkzeug. 45% der Terrorverdächtigen, die in Spanien verhaftet wurden, haben spanische Staatsbürgerschaft. 40% wurden sogar dort geboren. Experten nennen dieses Phänomen Eischlupf des einheimischen Dschihadismus“. Die Studie konzentriert sich auf das Alter der Terroristen, die immer junger werden, zwischen 15 und 29 Jahren, und stellt das ständige Wachstum der Zahl derer fest, die sich zum Islam konvertieren lassen. Diese werden nach sehr kurzer Zeit zu Radikalen — aus dem Wunsch, ihre Gruppenzugehörigkeit zu legitimieren.
Vor dem Hintergrund der Debatten in Bukarest über die Pflichtquoten der Flüchtlinge aus dem Nahost und aus Nordafrika, unter die sich leicht auch Dschihadisten emischen können, wollte Präsident Klaus Iohannis betonen, dass Rumänien genauso wie andere mitteleuropäische Staaten kein beliebtes Zielland für diese ist. Terrorismus funktioniert nur, wenn er Furcht einflößt, so der Präsident:
Erst wenn wir zulassen, dass die Furcht in das Sozialgewebe unserer Staaten eindringt, dann haben die Terroristen ihr wahres Ziel erreicht, und wir dürfen so etwas nicht zulassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Fremdenfeindlichkeit, Ultranationalismus, Völkerhass relevant für unsere Gesellschaften werden. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass diese Furcht zur Stigmatisierung einiger religiöser Gemeinschaften führt, die überhaupt keine Schuld an dieser Sache tragen.“
Aus Respekt für die ethnischen und religiösen Minderheiten werde die muslimische Bevölkerung Rumäniens keinen Sondermaßnahmen ausgesetzt, fügte Iohannis noch hinzu. Die neue Bukarester Justizministerin, Raluca Prună, hat angekündigt, dass Rumänien allerdings vorbehaltslos, gemeinsam mit den anderen Staaten der Europäischen Union, dazu beitragen, entsprechende rechtliche Maßnahmen gegen den Terrorismus zu finden.
Die Mehrheit der rund 70.000 Türken und Tataren, die allgemein im der Region Dobrudscha, im Südosten Rumäniens leben, die jahrhundertelang zum Osmanischen Reich gehört hat, ist ein Vorbild für gelungene Integration und für die Treue dem rumänischen Staat gegenüber. Beide Gemeinschaft sind unmittelbar, genauso wie die anderen ethnischen Minderheiten, in der Abgeordnetenkammer in Bukarest vertreten. In den frühen 2000er Jahren, als sich die rumänische Armee an den Kampagnen zur Terrorbekämpfung in Afghanistan und im Irak beteiligt hat, war der Sprecher des Rumänischen Verteidigungsministeriums ein sehr beliebter Offizier türkischer Abstammung. Das Oberhaupt der muslimischen Kultusgemeinde in Rumänien, der Mufti Murat Iusuf, verurteilte streng die Gräueltaten, die in Paris begangen wurden, sowie diejenigen, die solche Anschläge planen. Es ist ein Verbrechen gegen die Menschheit ohne jegliche Verbindung zur islamischen Religion, sagte der Mufti. Er erwähnte den Vers aus dem Koran, laut dem wer eine Seele tötet, eine ganze Gemeinschaft tötet.