Hat Schengen noch eine Zukunft?
Wie sieht die Zukunft des Schengen-Abkommens aus? Das würden die Mitgliedsstaaten auch gerne selber wissen.
Corina Cristea, 16.10.2015, 18:25
Die von Deutschland geförderte Willkommenspolitik ist wie ein Magnet für Afghanen und Pakistaner. Es war eine schöne moralische Geste, doch nun steht Angela Merkel vor einer Prüfung der Verantwortung zum Schutz der politischen Gemeinschaft Europas und deren Außengrenzen. Diese Äußerung machte der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk. Laut ihm würden einige Nachbarstaaten der EU die Flüchtlinge als Waffe in einem hybriden Krieg einsetzen, den sie gegen den Gemeinschaftsblock angefangen haben, um Vorteile daraus zu erzielen. Donald Tusk verwies außerdem darauf, dass, falls die EU-Außengrenzen nicht gesichert werden, der Schengener Freizügigkeitsraum kollabieren würde. Außerdem würde die steigende Angst der europäischen Bevölkerung den Aufstieg der radikalen politischen Parteien fördern.
Laut den neuesten Daten sollen seit Jahresanfang 310.000 Flüchtlinge Griechenland erreicht haben, nachdem sie die Ägäis aus der Türkei überquert haben. Währenddessen hätten die türkischen Behörden nur rund einige Zehntausende Flüchtlinge daran gehindert, in den Gemeinschaftsraum einzudringen. Ein bevorstehendes Abkommen zwischen der EU und der Türkei soll die finanzielle Unterstützung Ankaras erhöhen und die Übernahme einiger Flüchtlinge aus der Türkei durch die EU vorsehen. Im Gegenzug verpflichtet sich die türkische Regierung, sechs neue Flüchtlingslager zu eröffnen.
Laut der Europäischen Agentur zum Schutz der EU-Außengrenzen Frontex sind in den ersten neun Monaten dieses Jahres 710.000 Einwanderer in die EU eingereist, während das ganze letzte Jahr deren Zahl 282.000 betragen hat. Neulich forderte Frontex alle Gemeinschaftsländer auf, ihr zum Zwecke der Verwaltung des Migrationsdrucks“ rund 800 Grenzpolizisten zur Verfügung zu stellen. Die Begründung lieferte der Exekutivleiter von Frontex, Fabrice Leggeri — einige Staaten müssen begreifen, dass es nützlicher wäre, anstelle hunderte Polizisten an die Landesgrenzen zu platzieren, sie zu den EU-Außengrenzen zu entsenden“.
Die Migrationswelle — die größte der letzten Jahrhunderthälfte — hat die Zukunft des Freizügigkeitsraumes ohne Grenzkontrollen für 400 Millionen Bürger aus 26 EU-Ländern und anderer von außen in Frage gestellt. Die Freizügigkeit bringt sowohl Vorteile als auch Risiken mit sich. Die Schengen-Staaten müssen beides verwalten. Die Situation, die durch die Hunderttausende Flüchtlinge verursacht wurde, macht alles noch komplizierter, 30 Jahre nachdem sich die Kooperation zwischen den Regierungen Belgiens, Frankreichs, Deutschlands, Luxemburgs und der Niederlande durch das Schengener Abkommen nach der schrittweisen Aussetzung der Grenzkontrollen an den gemeinsamen Grenzen verwirklicht hatte. Bukarest strebt schon seit Langem eine Schengen-Mitgliedschaft an. Dies hätte sich bereits 2011 verwirklichen müssen, unter den Bedingungen, dass Rumänien die technischen Kriterien erfüllt. Die Flüchtlingswelle kann als Test zur Prüfung der Kapazität Bukarests betrachtet werden, wie ein Schengen-Mitglied zu handeln und gleichzeitig zur Lösung der Krise beizutragen. Der Präsident Rumäniens, Klaus Iohannis:
Rumänien möchte auch weiterhin Teil der Lösung sein. Rumänien zeigt sich solidarisch mit den anderen EU-Mitgliedern. Unsere Ansätze basieren in diesem Kontext immer auf Solidarität und Verantwortung. Wir werden den anderen EU-Staaten weiterhin beistehen und zu Lösungen beitragen. Die Sicherung der Außengrenzen ist ein Kapitel, wo Rumänien sehr gut abschneidet. Auch wenn wir noch kein Schengen-Mitglied sind, nimmt Rumänien seine Mission zur Verteidigung der EU-Außengrenzen sehr ernst und verzeichnet die besten Ergebnisse. Rumänien verhält sich de facto, als wäre es ein Schengen-Mitglied.“
In den letzten Jahren wurde der Beitritt aufgrund des innenpolitischen Kalküls einiger EU-Staaten verschoben. Eine mögliche Wiederaufnahme des Themas ist erneut beim Rat für Innere Angelegenheiten Anfang des Monats gescheitert. Bukarest selbst hat die Streichung des Schengen-Beitrittes Rumäniens von der Gesprächsagenda gefordert, denn es war bekannt, dass der Beschluss negativ sein wird. Neulich sagte der ehemalige Außenminister Titus Corlăţean bei einer Sondertagung des Parlaments zum Schengen-Beitritt Rumäniens, dass der Schengen-Beitritt nicht mit der Erfüllung der technischen Kriterien durch Rumänien sondern mit der ungünstigen Atmosphäre Europas wegen der Migration zusammenhängt.
Die Berichte, die die zahlreichen Frontex-Teams erarbeitet haben, die die Grenzen Rumäniens kontrolliert haben, dienen nur der Kenntnisnahme durch Frontex und kommen nicht auf den Tisch der politischen Entscheidungsträger. Es hat immer Faktoren gegeben, die einen Beitritt für ungünstig erscheinen ließen, ich werde es direkt sagen, im Grunde waren es externe Faktoren.“
Die allgemeine Wahrnehmung ist, dass sich die Haltung der Schengen-Staaten dem Beitritt Rumäniens gegenüber in den kommenden Monaten nicht ändern wird, somit bestehen kurzfristig keine Chancen dafür.