Erdbebenforschung: Inwieweit sind Erdstöße vorhersehbar?
Vor 2040 wird in es Rumänien kein verheerendes Erdbeben geben. So lautet zumindest die Prognose des Ehrenvorsitzenden des Instituts für Geophysik in Bukarest, Gheorghe Mărmureanu.
Corina Cristea, 06.11.2015, 17:50
Vor 2040 wird in es Rumänien kein verheerendes Erdbeben geben. So lautet zumindest die Prognose des Ehrenvorsitzenden des Instituts für Geophysik in Bukarest, Gheorghe Mărmureanu. Die Bevölkerung ist allerdings angesichts aktueller Debatten um Sicherheitsvorkehrungen im Bauwesen eher besorgt. Wie vorhersehbar sind überhaupt Erdbeben?
Bis 2040 muss man nicht mit einem starken Erdbeben rechnen. Die meisten Erdbeben würden eine Stärke unter 5,7 auf der Richterskala erreichen, sagt Gheorghe Mărmureanu vom Institut für Geophysik. In Vrancea, der seismisch aktivsten Region in Rumänien, finden jedes Jahr 8-12 Beben der Stärke 4 auf der Richterskala statt. Überhaupt sei in Vrancea ein weltweit einzigartiges System anzutreffen, sagt Mărmureanu:
Ich habe mir die Statistik für Vrancea angeschaut. Und hier handelt es sich um ein einmaliges System, völlig verschieden von den sonstigen Erdbeben-Gebieten der Welt, auch wenn es Stimmen gibt, die die Region mit dem Hindukusch oder Himalaya vergleichen… Gut, es mag dort Beben ebenfalls in großer Tiefe geben, auch im Nordosten Kolumbiens gibt es so etwas, aber der Verlauf ist nicht zu vergleichen. Also habe ich mir die Aktivität der Erde in den letzten 600 Jahren in Rumänien angeschaut. Und für die letzten 300 Jahre habe ich untersucht, welche Erdbeben menschliche und materielle Verluste verursacht haben. Im Laufe eines Zeitraums von 312 Jahren gab es fünf große Erdbeben in dieser Kategorie, mit menschlichen Opfern und Sachschäden.“
Ein Erdbeben, das in einer geringen Tiefe stattfindet, bis etwa 100 Kilometer tief, wirkt sich insbesondere auf Bukarest, und weiter in Bulgarien und Serbien aus. Experten sprechen von einer Zerstörungskraft, die sich in diese bestimmte Richtung ausweitet. Die Beben in großer Tiefe sind vor allem in der Moldau und der Ukraine spürbar. Und außerdem lässt sich eine Abwechslung zwischen oberflächlichen Beben und Beben in großer Tiefe feststellen. Wenn man dieser Logik folgte, würde ein Erdbeben mit Auswirkungen in nordöstlicher Richtung um das Jahr 2040 erwartet, erklärt Mărmureanu weiter. Denn das große Erdbeben von 1977 habe an der Oberfläche stattgefunden.
Es gibt allerdings auch die Möglichkeit, dass dieses große Beben nicht einmal dann stattfindet. Das, weil 1986 in Vrancea ein Erbeben der Stärke 6,9 entstand, das keine Schäden hinterlassen, dafür aber einen Teil der Energie freigesetzt hat. Die Erde sei ein lebendiges System, das sich in einer ständigen Veränderung befinde, behauptet Gheorghe Mărmureanu.
Es gibt zum Beispiel den Großen Afrikanischen Rift, den Grabenbruch, der sich täglich weiterentwickelt. Wasser aus dem Roten Meer ist bereits in diese Spalte eingeflossen. Weil das Wasser immer mehr vorstößt, wird sich Afrika irgendwann in zwei spalten. Also werden der südliche und östliche Teil Afrikas getrennt und gemeinsam mit Madagaskar zu einem neuen Kontinent zusammenschmelzen, der genauso heißen wird, Madagaskar. Wir merken das nicht, aber Amerika bewegt sich jedes Jahr um circa 45-55 Millimeter von Europa weg. Alles ist lebendig. Unter uns, ab einer Tiefe von 110-200 Kilometern und bis in 3000 Kilometern Tiefe, ist Magma. Dieses Magma ist nicht fest, es bewegt sich. Das Magma ist an der Oberfläche kühl und unten warm, es entstehen Konvektionsströme, d.h. Umwälzungen des Erdmantels, an manchen Stellen von links nach rechts und an anderen Stellen andersrum. Über diesem Magma liegen die tektonischen Platten. Es sind 16 große tektonische Platten, die etwa 80-100 Kilometer dick sind, und entlang der Plattengrenzen kommt es zu nichtlinearen Phänomenen, die nicht kontrollierbar sind.“
Die Erdbeben haben unterschiedliche Ursachen. 98% werden durch die tektonischen Platten und oberflächliche Faktoren verursacht. Es gibt ein Zusammenspiel zwischen den Platten, die unterschiedliche Größen und Stärken aufweisen. Die größte tektonische Platte ist die Eurasische Kontinentalplatte, die von der Mitte des Atlantiks bis zur Barentssee reicht. Es folgen die Pazifische und die Nordamerikanische Platte, jedoch gibt es auch kleinere Platten, etwa die Philippinische Platte. All diese schwimmen auf Magma, einer Gesteinsschmelze, die Erdbeben unmöglich macht, denn dafür sind kristalline Strukturen notwendig, erklärt Gheorghe Mărmureanu. Kristalline Strukturen speichern potentielle Energie, die sie dann später freisetzen. In Rumänien werden die Erdbeben nicht durch Kontinentalplatten verursacht, die sich aneinander vorbei bewegen, sondern aufgrund eines Kollisionssystems. Wie vorhersehbar sind Erdbeben überhaupt, wollten wir von Mărmureanu wissen.
Erdbeben sind nun mal Erdbeben. Wenn man sie vorhersehen könnte, würden wir das kontrollieren, was wir eigentlich nicht können. Es gibt sie überall und jederzeit auf dieser Erde.“
Indes hat Rumänien ein Frühwarnsystem für Erdbeben eingeführt. Wie das funktioniert, weiß ebenfalls der Ehrenvorsitzende des Instituts für Geophysik:
Unser System wurde von der Europäischen Kommission ausgezeichnet. Es erlaubt uns, die Intensität des Bebens innerhalb von vier Sekunden zu ermitteln. Wenn das System die Erdbebenstärke 7 erkennt, dann werden alle Nutzer aktiviert, die Bereiche, die als stark erdbebengefährdet gelten. Das ist das einzige System dieser Art, außer dem der Japaner.“
Nach der Erkennung des Erdbebens werden alle anfälligen Anlagen automatisch abgestellt, 30 Sekunden vor Beginn des Erdbebens werden staatliche Behörden und das Notfall-Komitee eingeschaltet.