Brexit: Scheidungskrach ohne Ende
Ursprünglich für den 29. März geplant, hat die vor fast drei Jahren durch ein Referendum beschlossene Trennung Großbritanniens von der Europäischen Union noch nicht stattgefunden.
Corina Cristea, 05.04.2019, 17:30
Inzwischen hat die Europäische Kommission in Brüssel angekündigt, die Vorbereitungen für eine immer wahrscheinlicher werdende Situation eines Brexits ohne Abkommen abgeschlossen zu haben. Die Ankündigung erfolgte, als die EU London eine Frist einräumte, um seinen politischen Stillstand zu lösen, Brüssel ist aber auch skeptisch ist skeptisch, dass diese Verschiebung zu Ergebnissen führen wird. In dieser komplizierten Gleichung, in der britische Politiker von vielen als Hindernis und nicht als Lösung des Problems betrachtet werden, ist die Zahl jener nicht zu vernachlässigen, denen es immer klarer wird, dass das Verlassen der europäischen Gemeinschaft keine gute Idee ist. Diese unterschrieben in großen Zahlen ein Gesuch, wodurch sie ihren Standpunkt zum Ausdruck bringen. Polit-Analyst Cristian Pârvulescu über die Ursachen und Folgen des Austritts Großbritanniens aus der EU:
Der Brexit ist eine Absurdität. Er kann für Großbritannien nicht nützlich sein, und jeder vernünftige Mensch versteht das. Die Brexit-Erklärungen sind zahllos. Zum einen hat eine sehr zielgerichtete Kampagne, der Cambridge-Analytica-Skandal, gezeigt, wie schlecht soziale Netzwerke sind und wie Facebook ausgenutzt wurde, um Fake-News an Gruppen zu senden, die für die Abstimmung mobilisiert wurden, die EU zu verlassen. Zum einen haben die Netzwerke, zum anderen die russischen Trolle eine wichtige Rolle bei der Verbreitung dieser Ideen gespielt. Leider hat die Abhängigkeit eines großen Teils der Öffentlichkeit von Facebook, das als demokratisches und freies Kommunikationsmittel gilt, zu dieser Situation geführt. Es ist weder demokratisch noch frei. Der Beweis dafür ist, dass die ersten Ideen, die in sozialen Netzwerken verbreitet werden, extremistische Ideen sind. Wir haben also all das und dazu die Unzufriedenheit in den ländlichen und Randgebieten Großbritanniens im Verhältnis zu den Städten. Es war eine authentische Land-Stadt-Spaltung, bei der die Landbevölkerung, die sich als Opfer der Europäischen Union sah, dafür gestimmt hat, ohne zu wissen, dass sie gegen ihre eigenen Interessen stimmt. Niemand hat sich die Konsequenzen eines Brexits vorgestellt. Zum Beispiel wurde die komplizierte Situation in Nordirland oder Schottland nie als solche dargestellt. Das Abkommen kann aufgrund der besonderen Situation in Nordirland nicht bestehen. Dort setzte die EU einem blutigen Bürgerkrieg ein Ende, der seit Jahrzehnten andauerte und seine Ursprünge vor Jahrhunderten hatte. Es wird nicht möglich sein, irgendeine Lösung zu finden, sobald eine echte Grenze zwischen Nordirland und Irland entstehen würde. Die gefundene Kompromisslösung wird von den nationalistischen Fundamentalisten des Unterhauses nicht befürwortet. Daher die Blockade.“
Abgesehen von den Gründen für das Abstimmungsergebnis haben wir eine traurige Situation, sagt Professor Cristian Pârvulescu. Seiner Meinung nach spricht die Welt von Großbritannien, das entschieden habe. Allerdings besteht Großbritannien nicht nur aus 52% der Bevölkerung, die für den Austritt gestimmt haben. Eine Demokratie müsse die gesamte Gesellschaft berücksichtigen. Cristian Pârvulescu:
Eine komplizierte Angelegenheit kann nicht auf eine Frage reduziert werden, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann, du gehst oder du bleibst, denn auf solche Dinge kann man keine Antworten liefern. Viele der Fragen, die im Laufe der Verhandlungen aufkamen, entstanden, ohne dass jemand daran gedacht hat. Wir haben eine Theorie des Neoinstitutionalismus in der Politikwissenschaft, die besagt, dass eine Änderung nur völlig zufällig auftreten kann, wenn eine Institution bereits auf die Beine gestellt wurde. Die EU ist eine Institution, die im Jahr 1950 in Gang gesetzt wurde, so hat sie zu ihren Gunsten eine lange Geschichte von Erfolgen und Misserfolgen vorzuweisen, dennoch eine Geschichte, und sie könnte somit nicht in irgendeiner Weise entgleisen, sie wird fortfahren. Und diese Theorie besagt noch etwas — Politik spielt im Vergleich zu anderen Bereichen eine entscheidende Rolle. Also nicht Soziales, nicht die Wirtschaft, nicht die Kultur, Religion usw., sondern die Politik entscheidet letztlich alles. Bei dem Referendum in Großbritannien hatte David Cameron die Schnapsidee, dass dieses Referendum, das er ins Leben rief, um nationale Wahlen zu gewinnen, in der Tat leicht zu überwinden wäre und seine innere Position stärken würde. Es war ein Fehler. Es gibt bereits unzählige Experimente, die beweisen, dass das Referendum eine Möglichkeit für einen großen Teil der Wähler ist, ihre Frustration gegenüber der politischen Klasse zum Ausdruck zu bringen. Und das ist in Großbritannien passiert, man hat Frustrationen zum Ausdruck gebracht. Cameron trat aus der Geschichte und Politik aus, das Problem blieb weiterhin bestehen. Und alles ist ihm zu verdanken, jenem Politiker, der ein Werkzeug verwenden wollte, um sich zu legitimieren.“
Das Referendum reduziere die Situation auf schrecklich einfache Dinge und schaffe auch einen Druck der öffentlichen Meinung, diese Spirale des Schweigens, wie sie in der Soziologie genannt wird, sagt Cristian Pârvulescu. Diese brachte diejenigen Briten, die den Brexit eher ablehnen, dazu, sich nicht zu äußern, und somit habe die Tyrannei der Mehrheit gewirkt, die zudem die Demokratie als Ganzes gefährde, so der rumänische Politikwissenschaftler.